Dem Rassismus der Pegida-Bewegung zum Trotz: Islamkritik ist heute wichtiger denn je, Teil 4

 

Matthias Küntzel

 

Hamburg (Weltexpresso) - Daneben entwickelt sich im arabischen Raum eine neue Tendenz, die in Deutschland bislang unbemerkt blieb: die Hinwendung zum Atheismus. Am 17. Dezember berichtete hierüber die Neue Zürcher Zeitung:

 

2014 befragte die Al-Azhar-Universität … 6000 Bürger und kam zum Ergebnis: 12,3 Prozent von ihnen sind Atheisten. 2012 befragte das renommierte Marktforschungsinstitut Win/Gallup International 502 Saudiaraber und kam zum Ergebnis: 19 Prozent von ihnen sind ,nicht religiös‘, weitere fünf Prozent gar überzeugte Atheisten. Vorausgesetzt, das diese Zahlen repräsentativ sind, hiesse das: Fast ein Viertel der rund 29 Millionen Saudis ist latent oder akut religionsmüde.“[13]

 

Eine besondere Rolle fällt hier den sozialen Netzwerken zu. So konnte der Wiener Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker 2013 die Existenz von über 70 arabisch- und englischsprachigen Facebook-Seiten mit atheistischen Inhalten nachweisen.[14] Im November dieses Jahres bestätigte auch die BBC und die New York Times, dass in den sozialen Medien Saudi-Arabiens und Ägyptens eine rege Debatte über das Unheil der Scharia in Gang gekommen sei.[15]

 

Die Regierungen in Kairo und Riad haben die Gefahr erkannt: Im März 2014 erklärte das saudische Regime, dass bereits die Infragestellung des Islams einen „terroristischen Akt“ darstelle und dementsprechend zu verurteilen sei. Demgegenüber lässt die ägyptische Regierung Atheisten einerseits verhaften, versucht sie aber auch argumentativ in den Schoß der Gesellschaft zurückzuholen. Dies aber stößt, wie die Neue Zürcher Zeitung berichtet, auf Schwierigkeiten:

Um die Dialoge, zu denen aufgerufen und eingeladen wird, fruchten zu lassen, müssten die Religionsgelehrten die Intelligenz der jungen Zweifler ansprechen. Gerade das aber misslingt ihnen zumeist. ,Das Gros von ihnen hat nie gelernt, logische Fragen zu stellen, geschweige denn, solche zu beantworten‘, erklärt die 22-jährige Ägypterin Aynur. Stattdessen schwinge der Klerus vorzugsweise die Keule buchstabentreuer Gottesfurcht und traktiere seine Kritiker mit Szenarien von Höllenfeuern. ,Allerdings wirkt das neben all dem, was wir hier wirklich durchmachen, irgendwann ausgesprochen lächerlich‘, meint Aymur.“[16]

 

Dies alles beweist: Der arabische Frühling hat eine Diskussion über den Islam eröffnet, die angesichts des ISIS-Terrors an Fahrt gewinnt. Mutige Araberinnen und Araber nutzen die Teilnahme Ägyptens und Saudi-Arabiens am Kampf gegen ISIS, um den landläufigen Umgang mit dem Islam oder die Religion insgesamt infragezustellen.

 

Doch sie dringen noch nicht durch. „Sie werden an den Rand gedrängt“, erklärt der syrische Dichter Adonis, „zum Verstummen gebracht, als Apostaten verfolgt und mit dem Tod bedroht.“[17] Zwar stellt der neue Totalitarismus eine globale Bedrohung dar, zwar sind die freien Gesellschaften weltweit auf derartige Verbündete im Kampf gegen den Islamismus angewiesen. Doch „der Westen hört sie nicht, weil er nicht auf sie hört. … Er betrachtet den arabischen Raum als islamischen Block.“[18]

 

Dies gilt in besonderem Maße für Deutschland, wo die kulturalistische Fiktion eines “homo islamicus” weiter hoch im Kurs steht – eine Fiktion, die man seit der Begegnung mit Hadschi Halef Omar – dem Antipoden zu Kara Ben Nemsi in den Schriften Karl Mays – lieb gewonnen hat. In dieses Gemälde vom hyperaggressiven oder Mitleid erheischenden Muslim passen arabische Atheisten nicht hinein.

 

Wir Muslime distanzieren uns heute vom ,Islamischen Staat‘“,erklärt Ednan Aslan aus der Türkei. „Aber solange wir uns von der dazugehörigen Theologie nicht distanzieren, machen wir uns unglaubwürdig“.[19] In der Tat!

 

Wenn man auch den Koran von seinem Wortlaut nicht befreien kann, so kann man ihn doch langfristig neu interpretieren. Ein Beispiel lieferte die katholische Kirche, die mit ihrem „Vatikanischen Konzil“ in den Sechzigerjahren eine Konsequenz aus ihrem Versagen zur Zeit des Holocaust zog. Während der Text der Bibel unverändert blieb, sorgte das Konzil für ein aggiornamento, für eine Aktualisierung der katholischen Doktrin, und zog den christlichen Antijudaismus zumindest ansatzweise zurück.

 

Zwar gibt es im Islam keine dem Katholizismus vergleichbare Struktur. Gleichwohl hat der weltweite Vormarsch und Terror der Islamisten einen vergleichbaren Prozess längst überfällig gemacht. Man wird ihn ohne ein Höchstmaß an politischem und gesellschaftlichem Druck nicht anstoßen können.

 

Diesen Druck zu erzeugen, ist eine strategische Aufgabe – auch für die nicht-muslimischen Welt. Militärische Gewalt ist gegen ISIS vonnöten – sie allein wird ISIS aber nicht besiegen. Anstatt Islamkritik zu behindern, kommt es heute mehr denn je darauf an, sie an der Seite aufgeklärter Muslime zu entfalten – auch in Deutschland und Pegida zum Trotz.

 

 

Anmerkungen:

 

[13] Mona Sarkis, Atheismus im Mittleren Osten: Eine postislamische Generation?, in: Neue Zürcher Zeitung, 17. Dezember 2014. Auf: http://www.nzz.ch/feuilleton/eine-postislamistische-generation-1.18445785

[14] Rüdiger Lohlker, Arab Atheism, Occacional Papers Nr. 5, Institut für Orientalistik der Universität Wien, August 2013. Auf: http://islamicstudiespapers.files.wordpress.com/2013/08/op5.pdf

[15] BBCtrending: Why some Arabs are rejecting strict interpretations of Sharia, 25. November 2014, auf: http://www.bbc.com/news/blogs-trending-30181494 . Friedman, a.a.O. verwies in der NYT auf die säkulare Homepage www.freearabs.com .

[16] Mona Sarkis, a.a.O..

[17] „Schrei nach Freiheit“, Gespräch mit dem syrischen Dichter Adonis, in: Spiegel 51/2014, 15. Januar 2014, S. 136.

[18] A.a.O..

[19] „Diese Gewalt wird gepredigt“, a.a.O. .