Dresdner Wutbürgerbewegung schafft es, mit dem diesjährigen Unwort in die Annalen einzugehen
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Jury zur Findung des seit 1991 jährlich bekannt zu gebenden Unworts hatte diesmal - bestimmt sehr kurzfristig - das Wort „Lügenpresse“ aus der Menge der 1246 Einsendungen ausgewählt. Eine Wahl dieses Ausgangs lag in der Luft.
Das Wort „Lügenpresse“ entstammt dem Vokabular der Schriftzüge auf den Transparenten von Pegida. Es wurden 733 verschiedene Wörter eingeschickt. Gerügt wurden außerdem noch:
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„Erweiterte Verhörmethoden“
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„Russland-Versteher“
Schön an der Sache: Ein Wort wird aus dem Sprachverkehrsstrom herausgewunken wie im Straßenverkehr der Verkehrssünder durch die Kelle der Polizei. Wenn´s nur so einfach und harmlos wäre.
Wetten, dass die Pegida-Wutbürger doch weniger auf die Presse abzielen, als sie sich zuallererst und hauptsächlich als wirtschaftlich Verunsicherte betrachten, die im Gegenzug so manche Prügelknaben ausmachen dürfen? Das exkulpiert nicht im geringsten im Hinblick auf das Ausmachen einer schuldigen „Lügenpresse“ in diesem Jahr. Zornentbrannt wenden sie sich gegen das, was ihnen für ihre Wutäußerung als gerade am Geeignetsten oder Naheliegendsten erscheint. Voraussetzung hierfür ist die Machart von 'Bild', das Pegida kaum als Inbegriff von „Lügenpresse“ erscheinen dürfte; wenn nämlich niedrige Emotionen zur Steigerung der Auflage bedient werden, damit die Leserschaft sich abreagieren kann. Bild hat mit seinen eigenen Unwort-Produkten der Pegida-Bewegung vorgearbeitet. Hinter Bild standen aber immer die konservativen Politiker, die die Objekte der Aggression und Diffamierung sprachlich unters Volk brachten. Bild hat nur aufgegriffen, was eine bestimmte Art Politik geliefert hat.
Zur Methode von Bild gehört (zur Erinnerung): 1. Angst und Panikmache betreiben, 2. Vorurteile und Ressentiments bedienen, 3. ins Üble gewendete Stimmungen und Emotionen ansprechen und schließlich: die 'ausländer'- und fremdenfeindliche Karte ziehen und zum Einsatz bringen.
Pegida wird auf seinem Weg noch so manche Stereotypen und Klischees aktivieren, um zur Wutabfuhr zu gelangen. Die Bildzeitung tut das verkaufsmethodisch im Zusammenhang mit der nur suggerierten Imagination des Strafens. Aufgehängt und einen Kopf kürzer gemacht wird nur in der Phantasie und Einbildung. Gern vorgezogen werden menschliche Gruppen oder Einzelne, die noch etwas weiter unten auf der sozialen Stufenleiter stehen - womit wir wieder beim Wirtschaftlichen wären. Dieses Phänomen, dass alles im Wirtschaftlichen zusammenläuft, hatten wir schon im Nationalsozialismus (der war nämlich vor allem ein Raubzug). Es geht also auch an dieser Stelle um einen Ressourcenhintergrund.
Meint Pegida mit „Lügenpresse“ aber doch etwa auch die Arbeitsweise von 'Bild' (bei dem sie in die Lehre gegangen ist)? - Kaum. Denn dieses Blatt steht der Pegida-Kampagne sehr nahe, auch wenn Bild kurzfristig auf Abstand geht. Bild ist zwischendurch immer auch mal wieder ein wenig fremdenfreundlicher und der großen Welt aufgeschlossener. Wie auch Politik eben, die irrlichternd in Spaltung lebt, je nach Opportunität. Das Geschäft muss weitergehen und darf nicht im Exitus eines Teils enden. Die persekutive Methode aber (das Zur-Strecke-Bringen-Wollen) von Bild dürfte Pegida allzu oft in seiner dunklen Seele entsprechen. Statt wirkliche – nämlich z.B. großflächige wirtschaftliche und finanzpolitische - Verwerfungen als Ursachen für mögliche Bedrohungen und Gefährdungen zu erkennen und zu analysieren, nimmt Pegida sich wohlfeile Aggressionsobjekte vor, den unliebsamen Nachbarn von nebenan oder eine aufs Korn genommene Presse, was dann ein schweres Geschütz erfordert..
'Bild' hat Pegida und seinen Verwandten immer schon Unworte wie „Überfremdung“ (Unwort 1993) oder Spracherzeugnisse im Stil des Wörterbuchs des Unmenschen ähnlich der 'Asylantenflut' geliefert. Pegida wendet sich nicht gegen die Presse so als ungefähres Aggressionsobjekt, sondern nur gegen die Presse, die diesen Leuten nicht passt. Für Pegida wird damit die genehme Pressezone ganz schmal.
Die Bekanntgabe des Unworts in der karo 5 Lounge der TU Darmstadt ging in der universitären Unruhe etwas unter. Zu wenige waren gekommen. Das hr-Fernsehen war auch da, der Bericht zum Unwort in der 'hessenschau' währte aber nur 35 Sekunden. Der Aufwand für so wenig Beitrag war völlig unwirtschaftlich. Die Medien, die die alltäglich laufenden Bilder herstellen, schienen sich im Vorfeld der diesjährigen Bekanntgabe des Unworts nicht potentiell mit betroffen zu sehen.
„Lügenpresse“ ist für Pegida eine aufgeklärte, nicht zu offenen oder versteckten Diffamierungen und Diskriminierungen neigende Presse, eine Presse die differenziert, abwägt - und nicht vereinfacht. Dass eine unabhängige Presse auch Verstrickungen in fragwürdige wirtschafts- und gesellschaftspolitische Entwicklungen, begleitet von kurzfristigen Polit- und Wirtschaftsmoden, aufweisen kann, ist nicht der entscheidende Punkt. Der pauschale Vorwurf, dass die Presse ihren Aufgaben nicht gerecht werde, ist daneben, es sei denn man führt Schlimmes im Schilde.
Es ist immer das alte Lied. Menschen, die sich selbst nur als Werkzeuge größerer Mächte sehen dürfen, die vormundschaftlich geführt und verwaltet werden, über die hinweg regiert wird, werden von Zeit zu Zeit aufsässig und wenden sich gegen diese oder jene unterschwellig wie offen verbreiteten Feindbilder, in denen sich das Übel der Welt vermeintlich konzentrieren soll.
Den Begriff „Lügenpresse“ zu nehmen erschien für die Jury angebracht, war aber vielleicht etwas zu kurzphasig entschieden. An der Zeit wäre auch gewesen, einmal einen Begriff der globalen Kosmopolitik aufzugreifen, wie jene - zusätzlich gerügte - Bezeichnung: „Erweiterte Verhörmethoden“, womit gemeint ist: Folter; eine Ausdrucksweise, die verhehlend und mit Euphemie rüberkommen soll.
Für die Bezeichnung „Lügenpresse“ als Unwort sprach die Tatsache, dass mit genau demselben Wort eine Vorgeschichte im Ersten Weltkrieg und im Sprachgebrauch des Reichspropagandaministeriums gegen die freie und unabhängige Presse, vornehmlich die englische, verbunden ist.
Es ist übrigens unwahrscheinlich, dass die Wutbürger - die keinesfalls als harmlos anzusehen sind, denn der Horror entsteigt auch dem Biedermannsmilieu – ausdrücklich an diese Vorgeschichte des Ausdrucks anknüpfen wollten. Wahrscheinlicher ist, dass Alt-und Jungnazis in den eigenen Reihen den Ausdruck in die politisch und menschlich sehr armselige Bewegung eingeschleust haben.
Prof. Dr. Nina Janich (TU Darmstadt) war die Sprecherin der Jury und gab bekannt.
Aus dem Wortlaut der Pressemitteilung zum Unwort des Jahres und zu den beiden gerügten Wörtern:
Wort „Lügenpresse“: „Das Wort 'Lügenpresse' war bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegiff und diente auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien. Gerade die Tatsache, dass diese sprachgeschichtliche Aufladung des Ausdrucks einem Großteil derjenigen, die ihn seit dem letzten Jahr als 'besorgte Bürger' skandieren und auf Transparenten tragen, nicht bewusst sein dürfte, macht ihn zu einem besonders perfiden Mittel derjenigen, die ihn gezielt einsetzen“.
Gerügt 1: „Erweiterte Verhörmethoden“: „Aktuell geworden durch den CIA-Bericht 2014, hat sich der Begriff 'erweiterte Verhörmethoden' in der Berichterstattung zu einem dramatisch verharmlosenden Terminus Technicus entwickelt. Der Ausdruck ist ein Euphemismus, der unmenschliches Handeln, nämlich Folter, legitimieren soll. Auch wenn er in deutschen Medientexten in distanzierenden Anführungszeichen steht, dient er letztlich dazu, das in seiner Bedeutung sehr klare Wort 'Folter' zu umgehen“.
Gerügt 2: „Russland-Versteher“: „Zum Unwort wird dieser in der aktuellen außenpolitischen Debatte gebrauchte Ausdruck vor allem, weil er das positive Wort 'verstehen' diffamierend verwendet (und zwar ohne Ironie, wie sie beispielsweise hinter der analogen Bildung des 'Frauen-Verstehers' steht) [...] Andere polemisierend als 'Versteher' zu kritisieren, ist damit unsachlich und kann die inhaltliche Diskussion nicht ersetzen. Ein ganzes Volk zudem pauschal für eine politische Richtung haftbar zu machen...zeugt von mangelnder Sprachreflexion oder aber gezielter Diffamierung“.
Foto: Heinz Markert
INFO:
Bekanntgabe: Dienstag, 13. Januar 2015, 10.00 Uhr
in der karo 5 Lounge der TU Darmstadt
Karolinenplatz 5, 64289 Darmstadt