Das T-Raum-Theater in Offenbach am Main macht sich das religiöse Zwangsregime zum Thema

 

Heinz Markert

 

Offenbach am Main (Weltexpresso) - Was vielfach schon als Vergangenheit einer Illusion begriffen wurde, kehrt wieder: die Kompensation einer mangelhaften Realität durch die Religion, mit Annahmen, die endliche Naturen philosophisch gar nicht befugt sind zu machen.

 

Weder durch Dogmen noch durch Taten (die sich aus Dogmen legitimieren). Besser wäre eine kritische Bestandsaufnahme der Kultur und der Art des Wirtschaftens.

 

Schon während der ersten Szene des Zweipersonenstücks 'Hand in Hand“, übertragen nach der Vorlage des Romans „Ihr ständiger Begleiter“ - gemeint ist damit der Gott fundamentalistischer Baptisten – denkt sich der Zuschauer: welche Vorvergangenheit, abgestandene, längst vergangene Realität, überwundene Praktiken werden hier nochmal behandelt? Ist uns das nicht altbekannt aus den dunklen Fünfzigerjahren?

 

Jedoch, die Gegenwart bringt gegenwärtig ein Wiederaufflammen jener unrühmlichen „Zukunft einer Illusion“ - nach Freud – , zwar weniger in den gemäßigten Breiten, aber in den Welten, die gänzlich aus den Fugen sind. Womit sich die kompensatorische Funktion der Religion erneut bestätigt. „Die Religion ist der Seufzer einer bedrängten Kreatur“ (Marx). Es gab und gibt immer noch überall Zonen der verhängnisvollen Religionspraxis. Tod, Not und irdische Bedrängnisse sind der Motor der Religionen, mit denen sie ihr Geschäft unterhalten. Aufklärung muss immer wieder neu einsetzen, um dem religiösen Missbrauch zu begegnen.

 

Die drei monotheistischen Religionen arbeiten in ihren Regelvorschriften sehr ähnlich, das bestätigte die Beobachtung über die Jahre. Es gibt ein gemeinsames Grundmuster, wie die Religionen sich gesellschaftlich am Laufen halten, während die Beziehung zu einem denkbaren Gott – einer menschlichen Sprachschöpfung -, eigentlich reine Privatsache sein sollte.

 

Der Abend beginnt: Während das Leben noch im Religionswahn gefesselt ist, kommt eine erwachsene Frau durch eine plötzlich entstandene Rückerinnerung in die Situation, ihr bisheriges Leben Revue passieren zu lassen und damit endlich der notwendigen Aufarbeitung ihrer Vergangenheit sich zu stellen und das Leben neu zu orientieren. Mit der Arbeit der Selbstbefreiung kommt es zur eigenständigen Erfahrung, es gibt Licht und Schatten, aber das ist allem Leben eigen. Ist erst mal die Erkenntnis der Unvorausberechenbarkeit und Offenheit=Freiheit des Lebens gemacht, hat die Religion keine Chance mehr, weiter am Umstand des auch Problembehafteten einzuhaken, um sich dadurch im Leben einzunisten und ein Spiel zu treiben, ein Spiel vollführt von den übermächtigen Autoritäten der Gemeinde und eines strengen, rechtgläubigen Vaters.

 

Wer eine gewisse Zeit den religiösen Anstellungen ausgesetzt war oder diesbezügliche Beobachtungen gemacht hat, darf vieles noch einmal sich wieder in den Formen des Theaters zurückrufen lassen, z.B. die Sache mit der absurden Annahme der Sündhaftigkeit des Waschens des eigenen Körpers - denn es lässt sich nicht vermeiden, dass er angeschaut wird und dabei die sexuelle Dimension aufflackert. Kürzlich wurden die Rolling Stones Thema mit ihrem herausgekommenen Foto-Foliant 50 mal 50: gerade diese Gruppe wird ausdrücklich in der fundamentalistischen Szene als 'des Teufels' betrachtet, die Musiker sind nicht künstlerische Aufarbeiter, Bearbeiter der Wirklichkeit und Künstler, sondern Agenten des Teufels.

 

Abgründig ist die Praxis der Religionen mit der Krankhaftigkeit des Überwachens und Strafens – das hat viel mit den Urhebern zu tun, die hierzu extra angetreten sind. Die Methode des Überwachens prägt auch die funktionalistische Moderne in den Sachbeziehungen ('Überwachen und Strafen', Michel Foucault). Die Religion hat die Vorlage geliefert (nicht auch für die NSA?). Aus dem Überwachungsregime resultiert die Technik der unablässigen Selbstüberprüfung, der peinlichen Gewissenserforschung und endlosen Bearbeitung von Schuldgefühlen, die das Leben bis zu einer Grenze des Erträglichen belasten. Grundlage ist, dass Gott alles bis ins Allerkleinste mitbekommt, jede Handlung misstrauisch beäugt, bei allen Verrichtungen und Handlungen, insbesondere denen in Zusammenhang mit den Körpern – auch wenn sie noch so banal erscheinen -, anwesend ist und wacht.

 

Der Komplex der kleinlichen Auflistung 'sündiger' Regungen und Neigungen in der Religion trägt die zentralen Szenen der Aufführung, macht Auftritte in reicher Folge. Die Sprache ist schnell, furios, sie nutzt eine sprachlich virtuose Klaviatur, greift die Bedrängung des Subjekts auf und hilft religiös Verfestigtes und unbewusste Einlagerungen auszudeuten und aufzulösen. Die Protagonistin hat zwei Brüder, Markus und Lukas. Die Mutter kam bei einem mysteriösen Unfall früh ums Leben. Auch ein plötzlicher Todesfall vermag als Strafe für eine Schuld zu dienen. Damit ist ein Spiel zu machen. Die geplante Opferhandlung des Abraham an Isaak, seinem Sohn - Schlachtung wäre gefordert gewesen - erinnert an die tödliche Praxis der religiösen Handlungs- und Deutungsmuster in archaischer Zeit.

 

Das kleine T-Raum-Theater in der Offenbacher Wilhelmstraße ist ein ganz besonderer Ort. Wer den institutionellen Großbühnen nicht mehr traut, ist hier recht am Platz. Ein großer Bühnenraum ist zwar nicht zu erwarten, aber die unmittelbare Nähe zu den hier viel dichter und intensiver choreographierten Körpern, mit den Gebärden, Gesten und Mimiken, entwickelten Sprechweisen, die das Handwerk durch Stimme und körperlichen Ausdruck prägen, ist einzigartig - und alle sitzen in der ersten Reihe, denn die Rampe ist gänzlich überbrückt, so wie es einst bei Dieter Wellershoff (1976) beschrieben und gefordert war.

 

Das Theater hat die Romanvorlage zu einem Bühnenstück umgeschaffen. Die Romanautorin hatte sich selbst am Beginn des Erwachsenenalters von den rigiden Verhältnissen der Baptistengemeinde abgewandt und gelöst, der sie durch den Vater angehörte. Die Romanvorlage war also biographischer Natur. Sarah C. Baumann spielt die Protagonistin, Birgit Schön macht die saloppe Göttin, die sich immer mal einschaltet, was bleibt ihr auch anderes übrig. Göttin hat gar keine Chance, das geschaffene Werk entscheidend zu verändern und besser zu machen.

 

Die Vergangenheit lebt, auch wenn das leichthin bestritten wird. Für alle, die sich mit dem Verhandelten noch einmal konfrontieren und sich mit ihm auseinandersetzen wollen, gibt es die Gelegenheit einer erneuten Wiederaufarbeitung oder Neubearbeitung. Die Ableitung der Affekte und Leidenschaften ist nach klassischem Vorbild garantiert.

 

Mit der Brandrede einer sehr menschlich geratenen Göttin gegen Ende, einer Rede des politischen Appells auch, kommt heraus, dass Göttin nicht gar so verschieden im Verstand und Innenleben tickt wie 'ihre' geschaffenen Wesen, denn die Bewältigung von Himmels- oder Weltlagen ist gemeinsam eine Schwierige, sofern nun mal alle - die Handeln - in der Einzelexistenz einer begrenzten Person stecken, Göttin wie ihre Abbilder.

FOTOS: (c) Heike Bandze

 

INFO:

t-raum-theater, 63065 Offenbach, Wilhelmstraße 13, 'hand in hand', stück nach dem roman 'ihr ständiger begleiter von claudia schreiber; t-raum-produktion, sarah c. baumann und birgit schön, bearbeitung sarah c. Baumann; weitere Aufführungen: 31.01. und 07.02.2015, 20.00 Uhr; www.of-t-raum.de

 

Romanvorlage: Claudia Schreiber,'Ihr ständiger Begleiter', Piper, 2008