Zum Tode Richard von Weizsäckers

 

Peter Nau

 

Berlin (Weltexpresso) - In der Reihe der Bundespräsidenten nimmt Richard von Weizsäcker einen herausragenden Platz ein, nicht nur wegen seiner berühmten Rede zum 40. Jahrestag der Kapitulation Nazideutschlands, sondern auch wegen seiner intellektuellen Redlichkeit und seiner persönlichen Ausstrahlung.

 

Das Ansehen dieses Bundespräsidenten reichte weit über die Grenzen der eigenen Partei, der Christlich-Demokratischen Union, hinaus. Einen dauerhaften Platz in der Geschichte verschaffte er sich durch das Bekenntnis: „Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung.“

 

Richard von Weizsäcker hatte sich behutsam an diese Aussage herangetastet. „Viele Völker gedenken heute des Tages, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging“, sagte er zu Beginn seiner Rede am 8. Mai 1985 in einer gemeinsamen Veranstaltung des Bundestages und des Bundesrates. Seinem Schicksal gemäß habe jedes Volk dabei seine eigenen Gefühle. „Wir Deutschen begehen den Tag unter uns, und das ist notwendig. Wir müssen die Maßstäbe allein finden.“ Die meisten Deutschen hätten geglaubt, für die gute Sache des eigenen Landes zu kämpfen, bis sich herausstellte, dass alles nur den unmenschlichen Zielen einer verbrecherischen Führung gedient habe. „Und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: der 8.Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“

 

Neben dieser zentralen Aussage enthält die Rede Richard von Weizsäckers einen Abschnitt, in dem der Bundespräsident mit einem Tabu bricht, der Ausgrenzung des Widerstandes der Kommunisten gegen Hitler. Er sagte „Als Deutsche ehren wir das Andenken der Opfer des deutschen Widerstands, des bürgerlichen, des militärischen und glaubensbegründeten, des Widerstands in der Arbeiterschaft und bei Gewerkschaften, des Widerstandes der Kommunisten. Wir gedenken derer, die nicht aktiv Widerstand leisteten, aber eher den Tod hinnahmen, als ihr Gewissen zu beugen.“

 

Der israelische Botschafter in der Bundesrepublik, Yitzhak Ben Ari, bezeichnete die „mutige und verantwortliche Rede“ des Bundespräsidenten als eine „Sternstunde der deutschen Nachkriegsgeschichte“. Das Echo aus der rechten Ecke in Deutschland klang ganz anders.

 

Er sei über Weizsäckers Wort von der Befreiung „erschrocken“, sagte der CSU-Bundestagsabgeordnete Lorenz Niegel. Für einige sei der 8. Mai sicherlich ein Tag der Befreiung gewesen, aber nicht für alle. Er sei nach wie vor der Ansicht, dass es zur Erinnerung an den 8. Mai keiner besonderen Gedenkstunde bedurft hätte. Niegel kritisierte Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundestagspräsident Philipp Jenninger (CDU), die die Veranstaltung zugelassen, beziehungsweise den Plenarsaal des Bundestages zur Verfügung gestellt hätten. „Unter Adenauer und Erhard wäre das nicht passiert“, meinte Niegel.

 

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Joseph Höffner rief während eines ökumenischen Gottesdienstes am 8. Mai 1985 dazu auf, die Frage nach Schuld und Unrechts des Zweiten Weltkrieges endlich ruhen zu lassen. Wörtlich sagte er: „Wir sollten vergangene Schuld und gegenseitig zugefügtes Unrecht nicht immer wieder selbstquälerisch hervorholen, nicht Schuld gegen Schuld aufrechnen.“ Wie falsch Kardinal Höffner mit seiner Aufforderung lag, das Geschehene zu vergessen, zeigte sich vor wenigen Tagen, als der Opfer deutschen Größenwahns anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz gedacht wurde. Richard von Weizsäckers Appell an die jungen Menschen vom 8. Mai 1985 dagegen hat nichts von seiner Gültigkeit verloren: „Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen, gegen Russen oder Amerikaner, gegen Juden und Türken, gegen Alternative oder Konservative, gegen Schwarz oder Weiß. Lernen Sie miteinander zu leben, nicht gegeneinander.“