Über den Umgang mit Sophie Scholl und Graf Stauffenberg

 

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) - Es müsste mehr Typen wie mich geben“, meinte Hartmut Mehdorn mit Blick auf seine zu Ende gehende Managerkarriere in der Süddeutschen Zeitung vom 7./8.März 2015. Dazu kann ich nur sagen: Hoffentlich geht sein Wunsch niemals in Erfüllung, sonst könnte es irgendwann keine Sophie-Scholl-Schule und keine Stauffenbergstraße mehr geben.

 

Das ist vielleicht etwas übertrieben, aber was Mehdorn als Bahnchef angerichtet hat, rechtfertigt diese Befürchtung durchaus. Da gab es plötzlich keinen ICE „Sophie Scholl“ mehr und auch keinen ICE „Graf Stauffenberg“. Auf Beschluss des Bahnvorstandes unter Leitung von Mehdorn wurden auch die Namen der beiden deutschen Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky und Ludwig Quidde von den ICE-Zügen entfernt und durch Städtenamen ersetzt.

 

Ein höchst merkwürdiger Vorgang, ausgerechnet während der Kanzlerschaft des Sozialdemokraten Gerhard Schröder, dem Mehdorn seinen Posten zu verdanken hatte. Merkwürdig deshalb, weil es die Bahn selbst gewesen war, die für die Beschriftung der ICE-Züge mit Namen von Gegnern des Nationalsozialismus und Militarismus gesorgt und die ihre Kunden um Vorschläge gebeten hatte. Entfernt wurden die Namen nach und nach und ohne plausible Begründung. Irgendwann behauptete Mehdorn allen Ernstes, die Umbenennung sei aus Platzgründen notwendig gewesen, aber die neuen Namen zeichneten sich keineswegs durch besondere Kürze aus. Ein Zug wurde auf den Namen „Freie und Hansestadt Hamburg“ getauft, ein anderer hieß fortan „Ostseebad Warnemünde“, und ein dritter „Fontanestadt Neuruppin“. Angeblich sollte es sich um Städte handeln, die eine besondere Beziehung zur Bahn haben. Aber auch das war vorgeschoben. So wurde zum Beispiel ein ICE auf den Namen Jever getauft, obwohl die Kleinstadt in Friesland von der Bahn überhaupt nicht mehr angefahren wird. Reisende sind auf eine Privatbahn angewiesen. Auf der maroden eingleisigen Strecke ist nur eine Höchstgeschwindigkeit von 80 Kilometern pro Stunde erlaubt ist.

 

Die Entfernung symbolträchtiger Namen des deutschen Widerstandes gegen die Nationalsozialisten von den ICE-Zügen ist einer der schlimmsten politischen Skandale der Nachkriegsgeschichte. Auch die in den Zügen ausliegenden Informationsblätter wurden eingesammelt und vernichtet, obwohl Platzgründe dabei  keine Rolle gespielt haben können. Das alles geschah lautlos. Kein Schrei der Empörung, nichts. Was hat die Beteiligten an dem Coup angetrieben? Störte die Erinnerung an die Nazivergangenheit beim geplanten Gang an die Börse? Immerhin hat sich die Bahn, die zu 100 Prozent im Besitz des Bundes ist, ja auch dagegen gewehrt, dass auf ihrem Gelände eine Ausstellung über die Mitschuld der Reichsbahn bei der Deportation jüdischer Kinder in Vernichtungslager gezeigt wird. Verkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) hielt Mehdorn den Rücken frei. Er verschanzte sich auf Anfrage hinter dem Aktiengesetz, das eine Einflussnahme der Bundesregierung auf unternehmerische Entscheidungen der Bahn verbiete.

 

Auch der von Sozialdemokraten ins Leben gerufene Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ sah keinen Grund, den beschämenden Vorgang zu verurteilen. Auf wiederholte Nachfrage bekam ich 2003 am Telefon zu hören: „Dass auch wir diese Entscheidung zu bedauern haben, steht außer Zweifel“. Zu einem öffentlichen Protest fehlte der Mut. Vorsitzender des Vereins, der Sophie Scholl und andere schmählich im Stich ließ, war damals Joachim Gauck, der sich Jahre später ungerührt mit dem Geschwister-Scholl-Preis auszeichnen ließ. Vor illustren Gästen bedankte er sich am 29. November 2010 in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität in München dafür, „einen Preis mit einem so wunderbaren Namen zu bekommen“. Und alle saßen da mit ihrem kurzen Gedächtnis und waren wieder einmal mit sich und der Welt zufrieden. Eigentlich müsste Hartmut Mehdorn zum Ausklang seiner Managerkarriere auch geehrt werden, der Mann, der von sich sagt: „Es müsste mehr Typen wie mich geben“. Vielleicht mit einem Graf-Stauffenberg-Preis?

 

 

Foto: Weil Carl von Ossietzky nicht mehr in die Überschrift paßte, wird er hier im Bild gezeigt. Meist ist er als Häftling abgebildet, wir wollten die Zeit nehmen, als er mit Tucholsky in Deutschland wirken konnte.