Serie: FLÜCHTLINGSGESPRÄCHE; Teil 5
Hanswerner Kruse
Schlüchtern/Hessen (Weltexpresso) - „Auf den Mann, Sami!“, brüllt jemand, als der dunkelhäutige Sami den Ball abgeben will. Die Schlüchterner Löwen spielen Fußball gegen Elm II, es wird viel herumgeschrien und gemotzt, doch rassistische Sprüche fallen nicht auf oder am Platz.
Fremde Sprachen sind zu hören, in beiden Mannschaften spielen dunkelhäutige oder türkischstämmige Fußballer. Nach wie vor ist der Sport das beste Mittel zur Integration fremder Menschen, die hier bei uns ein Zuhause finden wollen.
Eineinhalb Jahre lebt der Einundzwanzigjährige jetzt in Deutschland, die ersten drei Monate war er im Auffanglager in Gießen untergebracht, wo er auch als Fußballer entdeckt wurde. Jetzt wohnt er im Hof Reith. Der Eritreer wurde in Saudi-Arabien geboren, von seinen Eltern weiß er nichts, eine saudische Frau hat ihn adoptiert. Zum Verprügeln ihrer Schwester kamen drei woanders lebende Brüder der Adoptivmutter häufig vorbei. „Die hatte als Frau keine Chance“, meint Sami. Die Schule durfte er nur unregelmäßig besuchen, die Brüder terrorisierten auch ihn und beleidigten ihn rassistisch. „Sie haben mir immer zu verstehen gegeben, dass ich als Afrikaner anders bin und nicht zur Familie gehöre.“
Vom elften Lebensjahr an schleppte ihn seine Stiefmutter zu öffentlichen Morden. Der Anblick von abgeschlagenen Köpfen oder gesteinigten Frauen sollte ihn, nach Meinung der saudischen Mutter, zu einem „guten“ Muslim machen. „Ich kriege die Bilder nicht aus meinem Kopf“, meint Sami dazu. Als die Brüder der Mutter ihn mit 16 Jahren aus deren Haus trieben und die saudischen Behörden ihn nach Eritrea auswiesen, wurde er dort zunächst ins Gefängnis gesteckt, gefoltert und geprügelt. Nach der Entlassung sollte er zum Militärdienst gezwungen werden.
Sami entkam jedoch nach Libyen, versuchte auf einem Schiff nach Italien zu flüchten, das Boot wurde vom libyschen Militär aufgebracht, erneut landete er im Knast und war dort wieder der Quälerei sadistischer Rassisten ausgesetzt. Den UN-Besuchern mussten er und andere Gefangene Theater vorspielen, um die brutale Erniedrigung zu verschleiern. Ein Jahr brauchte er, um über den Sudan, Algerien, Marokko schließlich im spanischen Almería zu landen. Nun war er den Quälereien der hellhäutigen Araber entkommen, aber in Europa begann eine neue, zwar gewaltfreie, aber hoffnungslose Odyssee durch Spanien, die Schweiz und Holland. Erst in Deutschland wurde er ordentlich untergebracht und angemessen ernährt. Sami ist zwar durch die Erfahrungen in seiner Kindheit und Jugend schwer traumatisiert, aber hier in Hof Reith kann er sich endlich in Sicherheit fühlen, denn er wird als Mensch behandelt.
Begeistert hat er schon viel Deutsch in den Kursen des Brücken-Cafés gelernt, das Gespräch führen wir, ohne aufs Englische ausweichen zu müssen. Seit einiger Zeit besucht Sami zweimal die Woche in Fulda den Deutschkurs für Fortgeschrittene, gemeinsam mit der Äthiopierin Saba und Soheila aus dem Iran - untereinander reden sie nur Deutsch. Die Kosten für die Bahnfahrt und das Schulgeld übernimmt das Brücken-Café.
„Ich bin kein Saudi, ich bin kein Eritreer“, erklärt Sami ohne Larmoyanz, „ich bin heimatlos und weiß nicht wohin.“ Doch trotz seiner Traumatisierung, die von einer Psychotherapeutin behandelt wird, zieht er sich nicht zurück und geht aktiv auf Menschen zu. Er will unbedingt zur Schule gehen, dann beispielsweise Krankenpfleger lernen und in Zukunft anderen Menschen helfen: „Denn ich habe ja selber so viel Schmerzen erlebt“, meint er. Natürlich wünscht er sich auch, recht bald für seinen Schlüchterner Verein Tore zu schießen, denn gegen Elm II haben sie an diesem Tag hoch verloren.
FOTOs Hanswerner Kruse