Serie: FRANKFURT LIEST EIN BUCH: Mirjam Pressler, „Grüße und Küsse an alle“ vom 13. bis 26. April, Teil 13

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wer etwa glaubt, immer schon genug zum Thema Nationalsozialismus zu wissen, erfährt in der Bildungsstätte Anne Frank, dass die Facetten des menschlichen Abgrunds keine Schranken haben könnten, der Unmensch kann immer noch etwas weiter wissenschaftlich und damit gewinnbringend für Erkenntnis ausgelotet werden.

 

Jugendliche sind größtenteils offener; aber wie viele Erwachsene Frankfurts dürften den Weg in die Bildungsstätte noch nicht gefunden haben? Ist Alltagsstress der Grund hierfür oder ist es mehr das Verdrängen, die große Macht der Ignoranz? Die Parole 'Bildung ist Sünde', wurde jüngst zur größten Lachnummer seit Anbeginn der Zeiten. Das maurische Al Andalus in Spanien um das Jahr 1000 ging noch anders.

 

 

Lesefest“! · 'Frankfurt liest ein Buch 2015 - zur Geschichte der Familie von Anne Frank - lässt auch gern in die 'Bildungsstätte Anne Frank' schauen

 

Betritt man in die Bildungsstätte, so stellt sich unmittelbar der Eindruck einer Grotte oder Halle her. Sie wurde zum Haus der Familie Frank, deren Schicksale hier in einem Basiskurs, der über das Familiäre hinausweist, nachvollzogen werden kann. Vor dem Gang durch die Halle kann schon im Netz die Zeitleiste gefunden werden, mit deren Hilfe zwar multimedial, aber keineswegs übermedialisiert ein erster Überblick zu erhalten ist (1). Auf dieser Leiste kann mit den Pfeiltasten des heimischen Computers die Zeitgerade zwischen 1914 und 2010 durchlaufen werden, während eine damit zugleich ausgelöste Bild- und Tonspur zu den Entwicklungen und Ereignissen an Aug und Ohr dringt, die historisch spannend zusammengestellt ist.

 

http://www.annefrank.org/de/Subsites/Zeitleiste-/#!/de/Subsites/Zeitleiste-/Zwischenkriegszeit-1918-1939/Ein-Familienbetrieb/

 

 

Mit dem Eintritt in die Halle aber wird es bei weitem noch anschaulicher, Atmosphäre kommt zum Tragen, die in einen Besuch eingeht, der fern ist von zu viel rein Sachlichem. Informationshappen bleiben vermieden. Zunächst findet sich die Entwicklung der Familie Frank, was das Geschäftliche anbelangt, besprochen und illustriert - das Veranschaulichende steht übrigens durchweg im Vordergrund. Die Familie wird nach und nach zu einer prosperierenden - entgegen aller Nöte, die auch später, durch Reparationen und Weltwirtschaftskrise bedingt, hinzukommen. Es geht professionell sachlich zu im Hause Frank, von ausdrücklichen Hahnenkämpfen zwischen Mannspersonen ist nichts zu berichten. In der Familie Frank gilt der Grundsatz des Zusammenhalts aller Mitglieder.

 

Der Mittelpunkt der Ausstellung ist Otto Franks Tochter Anne. Nicht dass es im Ausstellungsraum darum ginge, das Publikum leicht zu entzünden für Annes Leben, das durch herumstolzierende Nazigockel und Scheusale wie Himmler gewaltsam enden sollte; Anne ist, wie die Ankündungszeile lautet, 'ein Mädchen aus Deutschland' - und Frankfurt, mit den ihr und ihren Altersgenossinnen ganz gemäßen Regungen, Freuden, Ängsten und Sehnsüchten. Aber sie war auch eine früh bereits Bildungsaffine, die wache Teenagertochter ihres Vaters, der ihr Anregungen vermittelte - die im Leben Bedeutendes vorhatte, wovon ihr berühmtes Tagebuch Zeugnis gibt.

 

Das Tagebuch ist das zentrale Exponat, es besetzt den räumlichen Mittelpunkt. Die Ordner mit den Biographien der Familienmitglieder, der Helfer oder auch Verräter der Familie sind ebenso nützlich wie jener alte Empfänger auf dem knappen Abstelltisch an der Seite, aus dem Beiträge aus gesendeten Meldungen und Nachrichten der bedrängten Zeit im Versteck hörbar gemacht werden können, Hitler mit der Schnarrstimme des Irrsinnigen natürlich inbegriffen.

 

Die Dauerausstellung legt Anne ganz zutreffend das Motto in den Mund, mit dem sie sich vorzugsweise herumtrieb, indem sie fragte: 'Wer bin ich? Was geschieht mit mir? Was ist mir wichtig'. Das ist das Leitmotiv, das die Ausstellung überschreibt.- Ein Film, der abgerufen werden kann, handelt von der Erforschung des Stammbaums der Familie, die Anne zusammen mit Vater Otto betrieb. Was aber meint in diesem Sinne überhaupt Film?

 

In der räumlichen Mitte der Halle ist ein Vorführer-Pult gelagert. Dieses kann von den Besucherinnen und Besuchern selbst bewegt werden, um damit Filmsequenzen auszulösen und zu projizieren. Das Pult kann durch 90º-Bewegungen Stück für Stück zu den vier Wänden hin ausgerichtet werden, auf denen dann der Film läuft, der durch das Tippen auf einen bestimmten Auszug aus dem Tagebuch der Anne Frank gestartet wird. Damit werden anschauliche und informative Zeitfenster geöffnet, die in persönlicher, historischer und politischer Hinsicht Auskunft erteilen. Das Filmmaterial ist sorgsam ausgewählt und entbehrt jeder zu ausgedehnten Länge.

 

Der Clou der Stätte aber ist, dass im absoluten Mittelpunkt der Einrichtung in einem Gehäuse das Tagebuch der Anne Frank mit einem perfekt nachgebildeten - also täuschend echten - Faksimile liegt. Zum Auslösen des Gewünschten dient dann aber die digitalisierte Kopie des Tagebuchs, auf dem entsprechend der farbkräftig unterlegten Eintragungen des Tagebuchs berührt und somit der hierzu entsprechende Film gestartet werden kann.

 

Die Bildungsstätte bietet eine Möglichkeit, Informationen zur Geschichte der Anne und ihre Familie zu erlangen, in gut begehbarer und effektiv nutzbarer Weise. Wie gesagt, nicht nur einmal, sondern immer wieder mal, wenn das so Unglaubliche und Einzigartige, das sich damit verbindet, eine neue Erinnerung einfordert. Für Neuankömmlinge in der Stadt ist sie eine der besonderen Möglichkeiten der Information über die Geschichte und ihre Menschen in Frankfurt.

 

Die Bildungsstätte ist eine lohnende Komplementierung zum Programm 'Frankfurt liest ein Buch': Lesen der Geschichte der Familie von Anne Frank (2).

 

Info:

Bildungsstätte Anne Frank e.V.
Hansaallee 150
60320 Frankfurt am Main
Tel.: 069 / 56 000 20
Fax.: 069 / 56 000 250
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Bürozeiten: Montag bis Freitag 9.30 Uhr bis 16.30 Uhr.

Vorher fragen, wann die Zeit am günstigsten ist – für einzeln oder in Gruppe - wäre von Vorteil.

 

1)

http://www.annefrank.org/de/Subsites/Zeitleiste-/#!/de/Subsites/Zeitleiste-/Zwischenkriegszeit-1918-1939/Ein-Familienbetrieb/

 

(2)

Mirjam Pressler/Gerti Elias „Grüße und Küsse an alle“

Die Geschichte der Familie von Anne Frank

Fischer Taschenbuch Verlag

432 Seiten. Kartoniert.

10,99

ISBN 978-3-596-18410-1

 

 

Das 16 seitige DIN A4 Programm FRANKFURT LIEST EIN BUCH liegt an verschiedenen Stellen der Stadt aus. Sie finden es auch unter:

www.frankfurt-liest-ein-buch.de