Zur aktuellen Situation in Bremen, wo die SPD nach dem Rücktritt des OB sicher mit Carsten Sieling und – wenn es geht – mit Rot-Grün antreten will
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Liebe Redaktion, Sie haben mich gefragt, ob mir der Wahlausgang in Bremen nahe geht. Auch wenn es Sie überrascht: Er geht mir überhaupt nicht nahe, auch wenn mir Jens Böhrnsen leid tut. Einer wie ich findet mitunter in der Bremer CDU, ja, Sie lesen richtig, in der Bremer CDU, eher Verbündete, als in der schlafmützigen saturierten SPD.
Wenn es darum ging, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor einem weiteren Abrutschen in die Quotengeilheit der Privatsender zu bewahren, konnte ich im Rundfunkrat eher auf den Bremer CDU-Vorsitzenden Bernd Neumann setzen, als auf jemanden in der SPD. Bernd Neumann hat als Kulturstaatsminister dafür gesorgt, dass die unsägliche Erika Steinbach keinen Sitz im Stiftungsrat der Vertriebenenstiftung in Berlin bekommen hat, und deshalb den Mund nicht mehr so weit aufreißen konnte.
Das ist es ja nicht allein, was mich beschäftigt. Es gibt einen Bremer und eine Bremerin, die von Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt worden sind, Ferdinand Duckwitz und Martha Heuer. Wie geht die Bremer SPD mit den beiden um? Ferdinand Duckwitz hat während der NS-Zeit als deutscher Botschafter in Dänemark die Rettung der dort lebenden Juden ermöglicht. Nach ihm wurde in Bremen-Nord immerhin ein kleiner Platz oder eine kleine Straße benannt. Martha Heuer, ein Arbeiterkind, hat während des Krieges zusammen mit ihrer Mutter in Warschau Juden versteckt und ihnen dadurch das Leben gerettet.
Auf Martha Heuer bin ich durch Zufall gestoßen. Eine Freundin meines Enkels Nicolai hatte sich, als sie erfuhr, dass ich mich mit der NS-Vergangenheit befasse, daran erinnert, dass ihre Oma wegen der Rettung von Juden geehrt worden ist. Sie fand darüber tatsächlich einen alten Zeitungsartikel. Ich habe daraus einen Beitrag für die Zweiwochenschrift "Ossietzky" gemacht. Die Überschrift lautete "Kennen Sie Martha Heuer?"(1)
Niemand in Bremen wusste etwas von einer Martha Heuer, obwohl ihr Mann SPD-Abgeordneter in der Bürgerschaft war. Es gibt keine Straße und keinen Platz, der nach ihr benannt ist. Nicht einmal im Bremer Staatsarchiv wusste man etwas von ihrer Geschichte. Dort hat man immerhin angefangen zu recherchieren. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft, BjörnTschöpe, ein Rechtsanwalt, den ich gefragt hatte, ob die SPD vielleicht in ihrem Parteiarchiv etwas über Martha Heuer findet, hat meinen Brief bis heute nicht beantwortet. Das nennt man Bürgernähe. Dass Jens Böhrnsen sich in diesem Milieu auf Dauer nicht wohl fühlen konnte, verstehe ich sehr gut.
Ich habe mir abgewöhnt, Menschen wegen ihrer Parteizugehörigkeit mit einem Bonus oder einem Malus zu versehen. Idioten gibt es überall und Vernünftige gibt es überall. Als Journalist sollte man den Politikern nicht allzu nahe kommen; der Umgang mit ihnen trübt den Blick. Seit ich in diesem Land lebe, also seit es die Bundesrepublik Deutschland gibt, gehe ich wählen. Egal wie eine Wahl ausging - die Brötchen wurden weder teurer noch billiger. So lange Neonazis und Rechtskonservative nicht mit einer Mehrheit im Parlament rechnen können, ist mir der Ausgang einer Wahl ziemlich schnurz.
Wenn ich daran denke, was dieser Gerhard Schröder als Bundeskanzler gemacht hat, wird mir noch im Nachhinein schlecht. Den Ausstieg aus der Atomenergie hätte er, im Gegensatz zu Frau Merkel, als Genosse der Bosse nie fertig gebracht. Dafür hat er gemeinsam mit seinem grünen Schildknappen Joschka Fischer den Amerikanern binnen 15 Minuten zugesagt, dass sich die deutsche Luftwaffe am Krieg gegen Jugoslawien beteiligen wird, obwohl es dafür kein UNO-Mandat gab. Diese SPD braucht Druck von links, sonst schläft sie noch ganz ein.
Der Neue
Als Kandidaten für die Nachfolge von Böhrnsen hat der Bremer SPD-Landesvorstand den Bundestagsabgeordneten Carsten Sieling vorgeschlagen. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler machte bisher hauptsächlich durch seine so genannten Praxistage von sich reden. Er schmiert dann in einer Obdachlosenküche Butterbrote, schleppt Koffer am Flughafen, fährt Pakete aus oder arbeitet im Bremer Mercedes-Werk. Alles nicht unsympathisch. Ob das rot-grüne Bündnis fortgesetzt wird, ist noch nicht sicher. Erst wenn Sieling durch einen Landesparteitag als Kandidat bestätigt worden ist, will die SPD Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Eine Große Koalition mit der CDU ist nicht ausgeschlossen. Ob das den Sozialdemokraten gut tun würde, ist zu bezweifeln. Bei der Wahl am vergangenen Sonntag erzielte die SPD mit 32,8 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 70 Jahren.
Es grüßt Sie
Kurt Nelhiebel.
(1) Weltexpresso druckt diesen Beitrag von Kurt Nelhiebel hier als Folgeartikel nach.
Foto:
Es zeigt den bisherigen Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen im Gespräch mit dem Absender diese Briefes während der Feier zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an dessen Sohn Klaus im Alten Bremer Rathaus