Von der Bremerin, die von Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt, hier verschwiegen wird

 

Conrad Taler

 

Bremen (Weltexpresso) - Um es vorweg zu sagen: ich selbst bin auch nur zufällig dahinter gekommen, was es mit dem Namen Martha Heuer auf sich hat. Das kam so: Mein Enkel hatte seiner Freundin erzählt, dass ich ab und zu über Leute schreibe, die während der Nazizeit verfolgt worden sind. Daraufhin meinte die Freundin, ihre Großmutter habe als Kind zusammen mit ihrer Mutter verfolgte Juden versteckt.

 

Es gebe darüber einen Artikel, den sie nun suchen wolle. Tatsächlich brachte mein Enkel eines Tages einen vergilbten Zeitungsausschnitt mit der Überschrift: „Hohe Ehre für Martha Heuer“, entnommen einem lokalen Blatt namens „Bremer Westen“ vom 24. April 1975. Im Vorspann war zu lesen:

 

Einer Hausfrau aus dem Bremer Stadtteil Gröpelingen, in dem überwiegend Arbeiter und Angestellte wohnen, wurde in Israel eine große Ehre zuteil. In einer Feierstunde in der Gedenkstätte von Yad-Vashem in Jerusalem verlieh der israelische Staat Martha Heuer, der Frau des SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Heinz Heuer, eine hohe Auszeichnung.“

 

Was war geschehen? Yad-Vashem hatte Martha Heuer 1975 in die Liste der „Gerechten unter den Völkern“ aufgenommen. In der Allee der Gerechten bei Jerusalem pflanzte Martha Heuer einen Baum, der ihren Namen bekam. Die bescheidene Frau sagte in der Feierstunde nur zwei Sätze. Einer davon lautete: „Ich würde es immer wieder tun.“

 

Martha Heuer und ihre Mutter haben dem Artikel zufolge 1942 in Warschau sechs jüdische Bürger monatelang versteckt und sie damit vor dem Abtransport in ein Vernichtungslager bewahrt. Als die Verfolgten eines Tages schon glaubten, ihre Entdeckung lasse sich nicht mehr abwenden, gelang es dem jungen Mädchen, das damals noch Martha Palme hieß, die SS-Leute durch kesses Auftreten abzulenken und von der Durchsuchung der Wohnung abzuhalten. Die sechs Menschen überlebten die Nazizeit. Sie wanderten nach Israel aus und verloren ihre Retterinnen aus den Augen. Nach Jahren führte sie ein Zufall wieder zusammen und die Bedrohten von einst erzählten nun daheim von dem Geschehen in Warschau. Das Ergebnis war die Auszeichnung durch Yad-Vashem. Die an der Rettung beteiligte Mutter Martha Heuers lebte zu jener Zeit nicht mehr. Sie hieß Melida Palme und wurde posthum ebenfalls geehrt.

 

Der Titel „Gerechter unter den Völkern“ wird nichtjüdischen Personen und Organisationen verliehen, die sich dem Naziregime widersetzt und Juden gerettet haben.

 

Wie geht die traditionsbewusste Stadt Bremen mit der Erinnerung an eine Frau wie Martha Heuer um? Hat sie vielleicht eine Straße nach ihr benannt? Trägt vielleicht eine Schule ihren Namen? Es gab ja nicht allzu viel Deutsche, die ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten, um das Leben jüdischer Mitmenschen zu retten. In der Liste der insgesamt 24.355 „Gerechten unter den Völkern“ stehen - nach dem Stand von Januar 2012 - nur 510 Deutsche; das entspricht einem Anteil von zwei Prozent.

 

Der Leiter des Bremer Staatsarchivs, Konrad Elmshäuser, sprach kürzlich im Zusammenhang mit der Umbenennung von Straßen davon, dass bei der Benennung von Straßen der Wunsch nach positiven Helden im Vordergrund stehe. Wie wäre es dann mit einer Martha-Heuer-Straße? Oder kann es die mutige Frau nicht mit Namensgebern wie Kurt-Georg Kiesinger oder Karl Carstens aufnehmen, die damals auf der anderen Seite standen? Im Bremer Staatsarchiv wusste man auf Anfrage mit dem Namen Martha Heuer zunächst nichts anzufangen. Auch der Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft, Björn Tschöpe, hatte noch nie etwas von dieser Bremerin gehört, ebenso die Bildungsbehörde, die auch nach 12 Wochen keine Antwort auf meine Frage wusste, was die Bremer Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht über Martha Heuer und deren mitmenschliches Verhalten erfahren.

 

Ich will darüber nicht rechten. Wenn selbst das Bremer Staatsarchiv nicht auf Anhieb Auskunft geben konnte, wem soll ich da noch einen Vorwurf machen? Mich hat schließlich auch nur der Zufall auf die Spur von Martha Heuer geführt – und auf die Spur eines verkümmerten Geschichtsbewusstseins, dessen sich manche schämen sollten. Immerhin hat das Staatsarchiv schließlich herausgefunden, dass im „Lexikon der Gerechten unter den Völkern. Deutsche und Österreicher“, herausgegeben von Israel Gutmann u.a. ,Göttingen 2005 auf Seite 215 f. etwas über Martha Heuer steht.

 

(Erschienen in der Zweiwochenschrift „Ossietzky“, Heft 4 / 2013).

 

P.S.: Da klingelte was bei uns, der Redaktion. Wir haben nämlich dieses wichtige „Lexikon der Gerechten unter den Völkern“ , hrsg. von Israel Gutman unter Mitarbeit von Sara Bender. Deutsche und Österreicher

aus dem Wallstein Verlag besprochen und gehen dem mal nach. Es ist ja falsch, daß nur die neuen Bücher publizistische Aufmerksamkeit erhalten. Dieses Buch auf jeden Fall gehört in deutsche Bücherregale. Und dort finden Sie dann auch etwas zu Martha Heuer.

 

Foto: Der Garten der Gerechten unter den Völkern aus Deutschland, Yad Vashem

 

INFO:

Conrad Taler ist ein Schreibname unseres Autors Kurt Nelhiebel