ULRICH MATTHES liest SCHILLER in Hamburg

 

Helmut Marrat

 

Hamburg (Weltexpresso) – Das letzte Mal rezitiert hörte ich Schiller im Deutschen Schauspielhaus von Will Quadflieg (1914 – 2003). Quadflieg trat gewissermaßen auf als Abgesandter der Götter. Wenn er Goethe, Hölderlin, Borchert oder Schiller sprach, dann war er weniger der Schauspieler, der einen Autor würdigt, als vielmehr deren (rechtmäßiger) Vertreter auf Erden.

 

 

Quadflieg war ein Toteleindruck von Sprechmelodie, Energie, schwebender Gestik und sicher nicht zuletzt heldenhafter Schönheit. Dabei, - das aber die immer währende Gefahr -, sprach Quadflieg so perfekt, dass der Sinn des zu Sprechenden teilweise verlorenging.

 

Ulrich Matthes ist da ganz anders. Kein Götterjüngling, der Schiller deklamiert, - und übrigens auch nicht auswendig wie damals Will Quadflieg; sondern sachlich, selbst neugierig scheinend, intellektuell den Text prüfend und zergliedernd. Unterhaltsam anfangs. Hat etwas von Talk-Show, mit Publikums-Kontakt und Befragung. Nicht so sehr als Selbstzweck, aber zur Auflockerung. Ulrich Matthes hat dieses Programm schon mehrmals in verschiedenen Theatern durchgeführt, die Reaktionen, die möglichen, sind ihm bekannt, wenngleich natürlich jede Stadt ihr eigenes Publikum hat, sehr unterschiedliches mitunter. Die Hamburger wollen erst durch strenge Form und unverschmockte schnörkellose Arbeit gewonnen werden; danach geben sie sich im besten Falle hin.

 

So stark waren die Reaktionen in Hamburg zwar nicht, aber das Haus ist mit etwa der Hälfte für eine Lesung gut gefüllt; zumal: Es ist ein Brückentag. Viele sonst vermutlich Interessierte verbringen ihr verlängertes Wochenende auf Sylt, an der Ostsee oder an anderen Orten.

 

Matthes hat sich auf Balladen Schillers beschränkt. „Der Ring des Polykrates“ heißt die erste, die er vorträgt. Die Begegnung zweier Freunde, Könige, deren einer von Glück immerzu überhäuft wird, dass dem anderen graust. Er fürchtet dahinter gerade den Vernichtungswillen der Götter – und quittiert postwendend seine Freundschaft.

 

Es folgt „Der Handschuh“. Erinnerungen an die eigene Schulzeit werden (natürlich) wach. - Dann „Die Glocke“. Den Anfang darf eine Dame aus dem Publikum bilden, sogar auf die Bühne kommen und die ersten 8 Zeilen des Gedichtes vortragen. Das ist launig, und natürlich erhält die Dame auch ihren Applaus. - Matthes spricht die Texte aufgliedernd, frisch, auch erfrischend neu oft, indem er sie spricht, als würde er sie gleichzeitig mit uns Hörern kennenlernen. - Schiller stellt in seinen Balladen immer wieder die menschliche, teils auch fast schon biedermeierlich beschränkt wirkende Ordnung losbrechenden Naturgewalten gegenüber wie Feuersbrünsten, Stürmen, Fluten, aber auch der Eigendynamik menschlicher Bewegungen von Schlacht und Aufstand bis Mob. Auch „Die Glocke“ beschreibt mehrere dieser zügellosen Gewalten, und sei es nur in ihrer Möglichkeit. So zieht der Text immer wieder dramatisch an. Dadurch erhält die Ballade ihren Rhythmus.

 

Von Theodor Fontane gibt es eine Schilderung, dass und wie er alle Schiller-Balladen auswendig lernen musste. Vielleicht eine mögliche Erweiterung des Programms ... Denn bei aller Liebe für Schiller stößt Fontane beim „Eleusischen Fest“ auch an seine Grenzen der Lernfähigkeit – und an seinen Vater, der meint, da es von Schiller sei, müsse es wohl doch gelernt werden, wozu es aber dann wohl nicht kam ...

 

Ganz besonders gut gefiel mir auch „Der Taucher“, weil hier die Naturgewalt, das Wasser, ganz besonders plastisch in der Vorstellung wird. „Die Kraniche des Ibykus“ fehlen dann ebenso wenig wie „Die Bürgschaft“, mit der das Programm schließt. Und auch hier gelingt es Matthes wieder, die Texte so zu sprechen, dass man sie neu hört; lebendig: Weniger durch ihre Energie als durch seine intelligente Durchgliederung.

 

Eine Schulklasse schickte Matthes einmal als Entschuldigung für unaufmerksames Verhalten während seiner Vorlesung das Gedicht „Das Glück“. Auch dieses Gedicht (von 1798) hat Matthes in sein Programm aufgenommen:

 

Selig, welchen die Götter, die gnädigen, vor der Geburt schon

Liebten, welchen als Kind Venus im Arme gewiegt,

Welchem Phöbus die Augen, die Lippen Hermes gelöset

Und das Siegel der Macht Zeus auf die Stirne gedrückt!

Ein erhobenes Los, ein göttliches, ist ihm gefallen,

Schon vor des Kampfes Beginn sind ihm die Schläfe bekränzt.

Ihm ist, eh' er es lebte, das volle Leben gerechnet,

Eh' er die Mühe bestand, hat er die Charis erlangt.

Groß zwar nenn' ich den Mann, der, sein eigner Bildner und Schöpfer,

Durch der Tugend Gewalt selber die Parze bezwingt;

Aber nicht erzwingt er das Glück, und was ihm die Charis

Neidisch geweigert, erringt nimmer der strebende Mut.“

 

Dies ist der Anfang und ziemlich genau ein Fünftel des Gedichtes. Und auch hier wieder stellt Schiller Zweierlei gegenüber: Die Glückhaften und Angestrengten auf dieser Erde; die beschenkt worden sind gegen die, die sich alles mühsam erarbeiten müssen; die im übertragenen Sinn reich gebetteten gegen die Verlierer, in deren Gesichtszüge nach und nach Gram und Aufgeben gemeißelt werden.

 

Aber sie, natürlich, wie ein anderes Gedicht aussagt, sind es, die immer wieder Hoffnung auf Hoffnung türmen. Das Gedicht, das ebenfalls die Balladen-Lesung anreichert, stammt von 1797 und heißt „Hoffnung“.

 

Ulrich Matthes aber, sollte man annehmen, gehört zu den glückhaften Menschen dieses Planeten, die es geschafft haben, denen es gelingt und die es sich vornehmen und einrichten können.

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Info: Der Abend, ohne Pause, dauert etwa eineinhalb Stunden. Ulrich Matthes ist Mitglied des Deutschen Theaters Berlin, wo ich ihn zuletzt großartig in dem Beziehungs-Stück "Gift" gesehen habe.

 

Ergänzung: Gegenwärtig spielt Ulrich Matthes den "Macbeth", was verwundert, denn Matthes ist ein intellektueller Schauspieler, während die Figur des Macbeth nach dionysischer Tiefe und Beeindruckbarkeit verlangt. Ebenso wenig würde man von Matthes den Othello erwarten, den Jago dagegen sofort. Man nennt das eine Gegenbesetzung. Es dürfte spannend sein, auch das kennenzulernen.