Nina Hoss brilliert in Rezas „Bella Figura“ an der Berliner Schaubühne
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Die Berliner Theater haben mich in letzter Zeit aus verschiedenen Gründen seltener zu einem Besuch verlocken können. Das liegt zum Großteil an dem schlechten Geschmack, der von vielen Produktionen ausgeht, an Regisseuren, die Klassiker oftmals zusammenstreichen, trivialisieren, radikal bearbeiten oder „dekonstruieren“, zudem empfinde ich es als ein Armutszeugnis, wenn Schauspieler einen ganzen Abend mit Mikroports bestreiten, und sei es nur, weil sie gegen viel zu viel Musik anreden müssen.
Wenn es mich dann und wann aber doch ins Sprechtheater zieht, und zwar in die Berliner Schaubühne, dann vor allem deshalb, weil hier so grandiose Schauspieler wie Nina Hoss oder Ursina Lardi –auch aus dem Kino bestens bekannt - ohne Mikroports (!) und in Gegenwartsstücken zu erleben sind, bei denen die genannten Gefahren weitgehend entfallen.
Allen voran die phänomenale Nina Hoss ist binnen Kürze zum großen Zugpferd der Schaubühne geworden. Nachdem sie vor anderthalb Jahren ihren triumphalen Einstand in Lillian Hellmans Kammerspiel „Die kleinen Füchse“ gab, eine Produktion, die monatelang ausverkauft war, brilliert sie nun in dem jüngsten Stück der erfolgsverwöhnten Autorin Yasmina Reza, „Bella Figura“.
Es ist ein typisches Reza-Stück, das Beziehungsabgründe auslotet, wenn auch nicht so literarisch anspruchsvoll wie ein Arthur Schnitzler, Tennessee Williams oder Thomas Bernhard, aber das wäre vielleicht auch zuviel verlangt.
Der komödiantische Witz wirkt mal mehr, mal weniger geistreich und originell, hier und da verlieren sich auch einfach nur ein paar plumpe Gags in die Dialoge, eine gewisse Nähe zum Boulevard-Theater lässt sich nicht leugnen. Aber zumindest für gute Unterhaltung ist gesorgt, und das ist ja auch schon was.
Der Abend beginnt auf einem Parkplatz. Andrea (Nina Hoss) und Boris (Mark Waschke) sind noch unschlüssig, wie sie ihr Rendez-vous gestalten. Sie haben seit vier Jahren ein Verhältnis, im Augenblick ist es etwas angespannt. Boris ist verheiratet und hat Kinder, er fährt mit seiner Familie jeden Sommer in die Ferien und ist beruflich sehr belastet, ihm droht der Bankrott. Andrea hat eine kleine Tochter und hätte gerne mehr von Boris und geklärte Verhältnisse ohne Heimlichkeiten. Sie bemüht sich, Boris eifersüchtig zu machen, raucht viel, betäubt mit Tabletten und Alkohol ihre Einsamkeit.
Eigentlich wollten sie ja ins Bett, aber nun fetzen und verletzen sie sich gegenseitig, und noch bevor sie entschieden haben, was sie nun eigentlich vorhaben, treffen sie auf Eric (gelegentlich leicht vernuschelt: Renato Schuch) und Francoise (Stephanie Eidt), ein unverheiratetes Paar, das Erics alte Mutter, die von Demenz geplagte Yvonne (Lore Stefanek), anlässlich ihres Geburtstags zum Essen ausführen will. Francoise ist die beste Freundin von Boris´ abwesender Ehefrau, deshalb hat die Begegnung etwas Peinliches, denn es lässt sich schon nach kurzem Beisammensein kaum übersehen, in welchem Verhältnis Boris und Andrea zueinander stehen. Also kann man das nur vornehm übergehen oder offen ansprechen.
Nur hat Andrea keine Lust, eine „gute Figur“ zu machen. Sie legt den Finger in jede offene Wunde und will einfach nicht gehen. Ein vexierspielreicher Seelen-Striptease ist somit Programm.
Großartig, wie Nina Hoss die unterschiedlichen Facetten ihrer Figur ausspielt, zwischen Selbstbewusstsein, Trotz und Depression. Aber auch ihre Bühnenpartner sind gut gewählt, allen voran Waschke, mit dem Hoss auch schon mehrfach vor der Kamera stand, er ist der typisch mit derlei Situationen überforderte Mann und feige Fremdgeher.
Die überzeugende Ensembleleistung ist freilich auch das Verdienst des Regisseurs Thomas Ostermeier, der die Spieler mit psychologischem Spürsinn angeleitet hat. Jan Pappelbaums Bühne mit unterschiedlichen Locations - Parkplatz, Terrasse mit Sitzlandschaft, Restaurant und eine öffentliche Toilette - dreht sich abwechslungsreich mit den mal lautstark streitenden, mal vielsagend schweigenden Figuren permanent im Kreis.
Nur die sehr laute, unnötige Discomusik zwischen den szenischen Wechseln ging mir auf die Nerven. Und einmal mehr fragte ich mich, warum wohl heutzutage im Schauspiel die Musik so unverzichtbar geworden ist. Aber mehr gibt es wirklich nicht auszusetzen. „Bella Figura“ ist alles in allem eine wirklich sehenswerte Produktion, zugeschnitten und dominiert von einer fulminanten Nina Hoss im Zenit ihrer Theaterkarriere.
Foto: (c) Arno Declair