Serie: FLÜCHTLINGSGESPRÄCHE, Teil 12

 

Marion Klingelhöfer und Hanswerner Kruse

 

Schlüchtern (Weltexpresso) - „Heute am Weltflüchtlingstag stellen wir Fatoumata aus Mali vor, eine neue Nachbarin, die aber schon sehr lange hier lebt und mit ihrer Familie beispielhaft im Bergwinkel verwurzelt ist.“, schreiben unsere drei Autoren, denn Clas Röhl ist derjenige, der immer das notwendige Hintergrundwissen zusammenstellt.

 

Als ich vor zwanzig Jahren in Deutschland ankam, fühlte ich mich total entwurzelt, war plötzlich von meiner Familie getrennt. Alles war anders. In Afrika ist es immer warm, von unserem Haus aus führte eine Treppe direkt an den Nil. Hier habe ich von Anfang an gefroren, friere heute noch. Aber ich habe mich daran gewöhnt. Damals kam ich mir in Deutschland auch äußerlich ganz merkwürdig vor, war ich doch so ziemlich die einzige, mit schwarzer Hautfarbe. Um mich herum liefen nur Weiße. Ich kam aus einer völlig anderen Welt und musste lernen, mich zurechtzufinden,“ lacht Fatoumata Traoré (38).

 

Seit zwanzig Jahren wohnen sie und ihr Mann Hady (49) in Schlüchtern und haben vier völlig integrierte Kinder. Madani (17) und Mahamoud (15) besuchen das Hutten-Gymnasium und weilen mit dem Schulorchester gerade in Polen. Seit der fünften Klasse spielt Madani Geige und Mahamoud mit viel Freude Bratsche. Konimba (11) besucht wie ihre Brüder das Hutten-Gymnasium und ist leidenschaftliche Fußballerin. Sie spielt im JSG Sterbfritz und darf sogar im MSG Lutter zur Probe trainieren. Sie ist glücklich in der DFB sowie in der Hessenauswahl zu stehen und ihr Traum ist es, in der deutsche Nationalmannschaft zu spielen. Youssouf, (7) spielt ebenfalls voller Begeisterung Fußball. Sein Vater, Hady Niasse, hat jahrelang in Herolz Fußball gespielt und dort die Kinder und die Jugend trainiert. „Ich verpasse kein Spiel, drücke immer die Daumen“, lächelt Fatoumata und blickt voller Stolz auf ihre Kinder.

 

Persönlich kennengelernt haben sich die Eheleute erstmals in Deutschland. Hady lebte da schon seit fünf Jahren in Schlüchtern. In Mali war seine Schwester jedoch die beste Freundin von Fatoumatas Schwester und so lernten sie sich erstmals via Fotos kennen. Doch als sie sich in die Augen sahen, hat es gefunkt. „Ein Zufall könnte man meinen, doch ich glaube, es war Schicksal!“ strahlt Fatoumata. Derzeit macht sie in Frankfurt ihren Realschulabschluss. Dabei wird sie durch ein Stipendium der CRESPO-Stiftung (siehe unten) gefördert. Nach dem Abschluss möchte sie eine Lehre als Apothekenhelferin beginnen. Es interessiert sie brennend zu wissen, wie Medikamente hergestellt werden, wie sie wirken, wie lange es dauert, bis die Arznei in den Handel kommt. Ihr Mann hat gerade seine Ausbildung als Altenpflegehelfer beendet. Nun kümmert er sich um die Kinder und den Haushalt, solange seine Frau in der Schule ist.

 

Die beiden sind ehrenamtliche Integrationslotsen, um Geflüchteten zu helfen, sich sprachlich in Deutschland zurechtzufinden. Sie gehen auf Wunsch mit zu Ämtern, in Schulen - überall dorthin, wo Übersetzungen nötig sind. Sie sprechen nicht nur ihre Heimatsprache, auch arabisch, englisch, französisch und deutsch.

 

Kämpfen, kämpfen, kämpfen mussten wir. Es war nicht leicht. Erst seit zwei Jahren genießen wir den Aufenthaltsrechtstatus und besitzen einen Pass. Es ist unglaublich, wie lange das gedauert hat. Zwei unserer Kinder leiden unter Anämie und brauchen mehrmals im Jahr eine Behandlung im Krankenhaus. Immer wieder kämpfen wir, die Kosten dafür bezahlt zu bekommen und die Bahn-Tickets zu erhalten,“ klagt Fatoumata. „Auch Kindergeld bekommen wir nicht. Wir sind aber gerne in Deutschland und haben viele Freunde gefunden.“

 

In den ersten Jahren hat Hady in der Heinrich-Hehrmann-Schule gearbeitet. Der dortige Schuldirektor kümmerte sich sehr um ihn und eine wunderbare Freundschaft ist daraus entstanden. Heute bewohnen sie eine Wohnung in dessen Haus und Hady sagt „Papa“ zu ihm.

 

Unsere Kinder kennen Afrika nur vom Globus her, doch eines Tages wollen wir es ihnen zeigen. Das ist unser großer Traum. Wir fühlen uns aber als Deutsche, die Kinder sowieso, sie sind ja hier geboren!“, meint Fatoumata glücklich.



Fatoumata wird durch die Crespo-Stiftung gefördert. Wofür steht sie?

 

Mit ihrem Stipendienprogramm Saba bietet die Crespo-Stiftung seit 2006 jungen Frauen und Müttern mit Migrationshintergrund die Chance, ihre Bildungskarriere neu anzugehen. Das Programm wendet sich an Migrantinnen im Alter zwischen achtzehn und fünfunddreißig Jahren. Saba zielt darauf ab, die biographische Selbstbestimmtheit seiner Teilnehmerinnen zu fördern. Pro Jahr werden acht neue Stipendiatinnen aufgenommen. Die Frauen erhalten die Möglichkeit, einen adäquaten Schulabschluss nachzuholen und sich damit Perspektiven für einen neuen Lebensentwurf zu sichern. An finanziellen Leistungen enthält das Stipendium die Übernahme der Schul- und Fahrtkosten, eine Beteiligung an den Kinderbetreuungskosten sowie Bildungsgeld für Nachhilfe, Weiterbildung und Schulmaterial.

Neben einer individuellen Beratung und Begleitung durch die Projektleitung bietet Saba Bildungsseminare an, die auf die spezifischen Anforderungen der Stipendiatinnen zugeschnitten sind. Die Themenpalette der Seminare reicht von Kommunikationstraining über Phonetik, Knigge-Training und Rhetorik bis hin zum Zeit- und Stressmanagement. Mehrmonatige, in Zusammenarbeit mit Künstlern und Kulturschaffenden entwickelte Kreativprojekte, etwa Fotografie, Tanz oder Kreatives Schreiben, bieten den Frauen die Chance, Lebenserfahrung und Visionen künstlerisch umzusetzen. In diesen gemeinsam absolvierten Schulungen erlangen die Frauen neues Selbstwertgefühl, bilden solidarische Netzwerke und erkennen ihre Stärken und Möglichkeiten. (Clas Röhl)



Hintergrund: Die Republik Mali

 

Die Republik Mali ist ein Binnenstaat in Westafrika, in dem 14,5 Millionen Menschen leben. Seine Hauptstadt heißt Bamako. Trotz der Fortschritte der letzten 15 Jahre sieht sich das malische Bildungssystem zahlreichen Problemen gegenüber. Heute sind 74 Prozent aller mindestens 15 Jahre alten Personen Analphabeten. Außerhalb des formellen Bildungssystems arbeiten Koranschulen, wo die Kinder ausschließlich in arabischer Sprache und Koranversen unterwiesen werden.

Mali gehört zu jenen Staaten, in denen die Beschneidung junger Mädchen am weitesten verbreitet ist. Im Jahr 2006 gaben 85 % der Frauen an, beschnitten zu sein. Ebenso viele Frauen gaben an, ihre Töchter beschneiden lassen zu wollen. Die Praxis ist dabei fast unabhängig von Einkommen, Ausbildungsniveau oder Religion: auch zwei Drittel der Frauen christlicher Religion sind beschnitten.

Die wichtigsten Wirtschaftszweige sind die Landwirtschaft, die Fischerei und in zunehmendem Maße der Bergbau. Zu den bedeutendsten Bodenschätzen gehören Gold, wovon Mali den drittgrößten Produzenten Afrikas darstellt, und Salz. Etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. In dem seit Anfang der 60-Jahre unabhängigen Staat führte ein Militärputsch 1991 zur Verabschiedung einer neuen Verfassung und zur Etablierung eines demokratischen Mehrparteienstaates. Anfang 2012 eskalierte ein bewaffneter Konflikt in Nordmali. Er  wurde durch einen Putsch und Kämpfe zwischen Islamisten und den sog. Tuareg-Rebellen noch verkompliziert. Im Verlauf von 2013 eroberten malische und französische Truppen den Großteil des Nordens zurück. (Clas Röhl)