Hessen unterzeichnet Finanzierungsvereinbarung mit der Goethe-Universität und dem Fritz Bauer Institut

 

Hubertus von Bramnitz und Claudia Schulmerich

 

Wiesbaden (Weltexpresso) – Man glaubt es nicht, aber an den deutschen Hochschulen gab es bisher keine spezielle Professur für die wissenschaftliche Aufarbeitung des industriellen Massenmordes an Juden und anderen, Verbrechen, die im Namen des Volkes der Dichter und Denker von den Nationalsozialisten in den KZs und anderswo verübt wurden.

 

In Wiesbaden unterzeichnete heute Wissenschaftsminister Boris Rhein die Finanzierungvereinbarung mit der Goethe-Universität und dem Fritz-Bauer-Institut für die Einrichtung einer Professur zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust. Das Land Hessen unterstützt die Professur mit zusätzlichen 150.000 Euro jährlich.

 

Wissenschaftsminister Boris Rhein: „Wir haben heute die erste Holocaust-Professur in Deutschland ins Leben gerufen. 70 Jahre nach Ende der Shoah ein überfälliger Schritt. Im Land der Täter darf es kein Vergessen geben. Wir sind verpflichtet uns an die Spitze der Forschung zu setzen. Das Besondere an der ersten Holocaust-Professur ist, dass es nicht nur um das Verstehen der Vergangenheit geht. Insbesondere die Auswirkungen bis in die Gegenwart sollen ein Forschungsschwerpunkt sein.“

 

Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Vizepräsident der Goethe-Universität ergänzt:

Die neue Holocaust Professur an der Goethe Universität – die erste ihrer Art in Deutschland – stellt einen Meilenstein in der Forschung dar. Wir sind dem Land Hessen und Minister Rhein für diese wichtige Initiative und die Schaffung der nötigen finanziellen Basis sehr dankbar. Von der Professur, die im Fachbereich Philosophie Geschichtswissenschaften angesiedelt sein wird, versprechen wir uns nicht nur ein besseres Verständnis des Holocaust. Von ihr sollen auch wichtige Impulse ausgehen, um mit Blick auf die Strukturen der NS-Herrschaft gegenwärtige Konflikte, Diskriminierung und Unterdrückung in der Welt besser zu begreifen.“

 

Der neue Lehrstuhl ist zugleich mit der Leitung des Fritz-Bauer-Institutes verbunden, das die Landesregierung auch weiterhin mit einer institutionellen Förderung in Höhe von 350.000 Euro unterstützt. Damit stehen für Holocaust-Professur und Institut künftig insgesamt 500.000 Euro aus Landesmitteln zur Verfügung.

 

Die Verknüpfung der neuen Holocaust-Professur mit der Leitung des Fritz-Bauer-Institutes ist eine einmalige Gelegenheit die wir nutzen, um der wissenschaftlichen Aufarbeitung einen möglichst großen Schub zu geben. Das Fritz-Bauer-Institut ist eine Bildungs- und Forschungsstätte von höchstem internationalem Rang, dessen Bedeutung sich weit über die Grenzen von Hessen hinaus entfaltet. Vor allem die Auseinandersetzung mit den ethischen und moralischen Rechtfertigungsstrukturen des Holocaust bis in die Gegenwart macht die Forschung so einmalig und bedeutsam“, erklärte Wissenschaftsminister Boris Rhein.

 

Jutta Ebeling, Stiftungsratsvorsitzende Fritz-Bauer-Institut: „Die Einrichtung der ersten Professur für Holocaustforschung im Land der Täter verbunden mit der Leitung des Fritz- Bauer-Instituts ist ein wissenschaftspolitischer Meilenstein gegen das Vergessen. Der Erforschung des Holocaust und seiner Wirkungsgeschichte in der Gegenwart wird damit die angemessene Bedeutung für die Zukunft verliehen.

 

Die Goethe-Universität Frankfurt wird nun die Professur ausschreiben und so das ordentliche Berufungsverfahren für die Besetzung der neuen W3-Professorenstelle starten.

 

 

Zum Hintergrund:

 

Das Fritz-Bauer-Institut erforscht interdisziplinär die Geschichte und Wirkung der nationalsozialistischen Massenverbrechen, insbesondere des Holocausts, und vermittelt die Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit durch Workshops, Tagungen, Vorträge und Ausstellungen. Die unabhängige Forschungseinrichtung mit einem pädagogischen Zentrum ist benannt nach dem Justizreformer und Initiator des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, Fritz Bauer. Das Institut erforscht und dokumentiert die Geschichte der nationalsozialistischen Massenverbrechen und deren Wirkung bis in die Gegenwart.

 

Die Vermittlung des wissenschaftlichen Wissens über die Geschichte der nationalsozialistischen Massenverbrechen und ihre Wirkungen auf die Gegenwart an eine breite Öffentlichkeit, nicht zuletzt in den Schulen, ist Aufgabe des Pädagogischen Zentrums, das gemeinsam mit dem Jüdischen Museum Frankfurt am Main seit 2009 betrieben wird. Auch im Jahr 2015 sind wieder ein Vielzahl gesellschaftsrelevanter Veranstaltungen und Vorträge geplant. So ist eine Konferenz geplant, auf der eine Bilanz der seit 2007 laufenden Forschungen zur Nachgeschichte des Nationalsozialismus gezogen werden soll. Im Mittelpunkt steht hier die Auseinandersetzung mit dessen ethischen und moralischen Rechtfertigungsstrukturen bis in die Gegenwart. Ein weiteres spannendes Projekt ist die quellenkritischen Neuausgabe des Tagebuchs der Anne Frank.

 

Kommentar:

 

Als der 1961 in Frankfurt geborene Hanno Loewy – seine Eltern waren aus Israel, wohin sie sich vor den Nazis retten konnten, zurück in die alte Heimat gezogen – die Idee einer Institutionalisierung der Holocaustforschung in Frankfurt hatte und sie nach Fritz Bauer benannte, hat er etwas in die Welt gesetzt, was jetzt durch die ordentliche Holocaustprofessur auch akademische Weihen erhält.

 

Gerade, wenn es um Erinnerungskultur geht, die oben zitiert wird, gehört dazu aber auch, Peter Loewy zu danken, der von 1990 bis 2000, ab 1995 als Gründungsdirektor, das Fritz Bauer Institut erst selbständig aufgebaut und dann in die Frankfurter Universität integriert hatte, was zur Folge hatte, daß er – so hieß es: mangels höherer akademischen Würden – die Leitung anderen überlassen mußte und bis 2003 nur noch als Leiter der Abteilung für Erinnerungskultur und Rezeptionsforschung an der Universität verblieb.

 

Hanno Loewy, ein unglaublich begabter und vielseitiger Mann, ging 2004 nach Hohenems, wo er das Jüdische Museum leitet, im österreichischen Bundesland Vorarlberg, nahe von Bregenz. Heute werden seine Ausstellungen in der ganzen Welt diskutiert und er selbst ist seit 2011 Präsident der Vereinigung europäischer jüdischer Museen.

 

Wie kam er auf Fritz Bauer als den Namensgeber für die Erforschung der Naziverbrechen? Fritz Bauer hatte listenreich die Zuständigkeit von Frankfurt am Main als Gerichtsort für die Verbrechen von Auschwitz, was nach 1945 polnisch wurde, erreicht und konnte als Generalstaatsanwalt von Hessen hier von 1963 bis 1965 die Auschwitzprozesse durchführen lassen. Das ist gut so. Und dennoch passiert im Umkehrschluß immer wieder, daß dieser deutsche Sozialdemokrat, der sich vor den Hitlerschergen nach Dänemark und Schweden retten konnte, auf Auschwitz: auf seine politische, gerichtliche und wissenschaftliche Aufarbeitung reduziert wird.

 

Das Hauptanliegen von Fritz Bauer, daß die Jugend Deutschlands aus dem Geschehen lerne und eine demokratische Gesellschaft aufbaue, in der nie wieder so etwas passieren könne, ging aber viel weiter, umfaßte beispielsweise auch die verbrecherische „Euthanasie“, vor allem aber die Grundlage jeglichen Handelns in demokratischen Gesellschaften: die Aufforderung, den Mund aufzumachen, sich eine Meinung zu bilden und diese auch gegen den Widerstand einzelner und Mächtiger zu formulieren, Bündnispartner für den Widerstand zu suchen und gemeinsam zu handeln.

 

Warum man dies betonen muß? Weil die historische Aufarbeitung der Person Fritz Bauers mit der Namensnennung im Fritz Bauer Institut nicht erledigt ist, sondern damit überhaupt erst seinen Anfang findet. Aber nicht getan wird. Leider verhält man sich in Frankfurt nämlich so, als ob mit der Benennung des Holocaust-Institutes das Gedenken an Fritz Bauer schon alles war. Was aber Not tut, wäre seine hinterlassenen und auch die schon einmal veröffentlichten Schriften zu edieren und zu veröffentlichen, damit sich jeder ein Bild machen kann davon, welche Kraft in seinen Worten noch heute steckt und inwiefern er heute noch eine politische Orientierungsfigur ist.

 

Beispielhaft kommt dies im Film FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN von Ilona Ziok zum Ausdruck, der auf Aussagen von Zeitzeugen und Originalaufnahmen basiert und einen so eminent politischen Kopf zeigt, daß man sich wundert, daß das Fritz Bauer Institut diesen Film nicht kontinuierlich im Programm hat, sondern stattdessen die Aufführungen blockiert, untersagt, wo es ihm möglich ist. Wir werden dem nachgehen und hoffen erst einmal, daß ein neuer Leiter des Fritz Bauer Instituts auch neuen Wind für das Institut und Aufwind für die eminent geschichtliche Figur Fritz Bauer bedeutet.

 

P.S.: Obwohl mit keinem Wort seitens der drei Institutionen darauf eingegangen wurde, daß die Unterzeichnung der ordentlichen Professur als Leitung des Fritz Bauer Instituts an einem geschichtsträchtigen Datum, dem 20. Juli, stattfand, wollen wir dies ansprechen und  kurz darauf verweisen, daß es ebenfalls Fritz Bauer war, der die in der jungen Bundesrepublik immer noch als Vaterlandsverräter beschimpften Attentäter vom 20. Juli 1944 im sogenannten Remerprozeß als Widerstandskämpfer rehabilitierte, deren Witwen eine Rente möglich machte und das Nazi-Regime als Unrechtsstaat brandmarken lassen konnte. Er hatte dies Verfahren als Generalstaatsanwalt von Braunschweig 1952 selbst geführt und juristisch gewonnen, was ein Meilenstein in der Entwicklung der Bundesrepublik bedeutete, wie später auch der Auschwitzprozeß.