Der Wegbereiter des Datenschutzes warnt in der aktuellen Ausgabe von „Forschung Frankfurt“
Susanne Sonntag
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Man nennt ihn „Pfadfinder“, „Vater“ und „Doyen“ des Datenschutzes – oder einfach nur „Prof. Dr. Datenschutz“: Spiros Simitis, der im Oktober vergangenen Jahres 80 Jahre alt geworden ist, verfasste das erste Datenschutzgesetz der Welt. Es trat 1970 in Hessen in Kraft. Dort war Simitis 15 Jahre lang Beauftragter für den Datenschutz.
Die Europäische Datenschutzrichtlinie von 1995 entstand unter seiner maßgeblichen Beteiligung. Auch danach beriet der Frankfurter Rechtswissenschaftler die Kommission und in jüngster Zeit das Parlament bei Gesetzgebungsprozessen. Doch „Datenschutz ist nicht nur eine Frage der Normen, die den Umgang mit den Daten regeln“, wie Simitis in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Forschung Frankfurt“ betont, „sondern zunächst und vor allem ein Appell an die Betroffenen: Es geht um Eure Daten!“
Und wenn wir in der Überschrift nur allgemein schrieben: Simitis warnt, so ist hinzuzufügen, er warnt vor der Steuerbarkeit des Einzelnen und einem Datenschutz, der zur Fiktion gerät. Der Datenschutz, so Simitis in dem Interview mit „Forschung Frankfurt“ (Ausgabe 1/2015), sei von Anfang an als Reaktion auf eine sich ständig weiterentwickelnde und verfeinernde Informationstechnologie entstanden. Mittlerweile hätten sich mit dem Internet auch die Kommunikationsbedingungen radikal geändert. „Sie zeichnen sich auch und vor allem durch ein bislang nie erreichtes Maß an Öffentlichkeit aus“, so Simitis. Allein in Deutschland hat beispielsweise Facebook rund 28 Millionen aktive Mitglieder, von denen einige sehr viel von sich preisgeben. Das könne und solle man nicht verbieten, sagt Spiros Simitis. „Aber man kann versuchen, ein entsprechendes Bewusstsein zu wecken.“
Wo eine weite Veröffentlichung der Daten, ob mit oder ohne bewusstes Zutun der Betroffenen, zur Regel werde, gerate „der Datenschutz zur Fiktion“. Die Technologie habe einen Punkt erreicht, wo tendenziell alle Daten gespeichert und verarbeitet werden könnten. „Gleichzeitig habe ich es als Einzelner mit Kommunikationsmethoden zu tun, bei denen ich immer mehr Daten offenbare. Aber keiner kümmert sich ernsthaft darum, was im Internet damit geschieht und wo die Grenzen sind.“ Simitis weiter: „Wir sind – ich sage das mal sehr bewusst – an einem Punkt angelangt, wo es für den Datenschutz nicht gut aussieht.“
Bereits seit einigen Jahren wird auf EU-Ebene über neue, den veränderten Bedingungen angepasste Regelungen diskutiert. In diesen Monaten stehen konkrete Verhandlungen über einen Entwurf des Parlaments zu einer sogenannten Datenschutz-Grundverordnung auf dem Programm, die bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein könnten. „Dem Parlament ist es durchaus gelungen, den Datenschutz weiter zu festigen, aber auch auszubauen“, so Simitis. Doch wie auch immer die finale Grundordnung aussehen mag, sie wird erst nach einer Übergangszeit von zwei Jahren in allen EU-Staaten gelten. Simitis hätte sich angesichts des rasanten technischen Fortschritts eine „möglichst unmittelbare Anwendung der neuen Vorschriften“ gewünscht. „So wie es aber jetzt ist, riskiert die Reform, schon teilweise sichtlich überholt zu sein, wenn sie zuerst umgesetzt wird.“
Bei der Frage, wie sehr ein Staat die Freiheit seiner Bürger begrenzen dürfe, um sie beispielsweise vor terroristischen Anschlägen zu schützen, verweist Simitis auf „die Grundlage allen Datenschutzes“, die „Forderung, dass personenbezogene Daten immer nur für einen bestimmten Zweck verarbeitet werden dürfen und dass sie nur so lange in Anspruch genommen werden dürfen, wie dieser Zweck es erfordert“. Gleiches gelte für die kommerzielle Nutzung von Daten. Hier sehen manche Beobachter sogar eine noch größere Gefahr für die Demokratie, als sie selbst von Geheimdiensten ausgeht. „Gefährlich ist beides“, sagt Spiros Simitis. Es ergebe „keinen Sinn, solche Gegenüberstellungen zu machen“. In beiden Fällen bestehe die Gefahr einer „Steuerbarkeit des Einzelnen“.
Eine systematische Verarbeitung personenbezogener Daten vermittle, so Simitis, zugleich eine immer präzisere Information über die jeweils betroffenen Personen. Dadurch könne das Verhalten dieser Personen nicht nur besser beurteilt, sondern auch beeinflusst oder gesteuert werden. Wenn man beispielsweise einer Versicherung erlaubt, Daten der persönlichen Lebensführung zu erheben und zu verarbeiten, um einen günstigeren Tarif zu bekommen, könne das – so Simitis – durchaus gewisse Vorteile für den Einzelnen haben. Aber auch hier stelle sich die Frage: „Sind diese Vorteile mit ihren Rückwirkungen auf sein weiteres Leben so hinzunehmen, oder führt das Ganze zu einer Steuerbarkeit, die man nicht akzeptieren muss?“
Spiros Simitis ist emeritierter Professor für Arbeitsrecht, Bürgerliches Recht und Rechtsinformatik, insbesondere Datenschutz, an der Goethe-Universität. Hier ist er nach wie vor an der von ihm gegründeten Forschungsstelle Datenschutz tätig. Den Begriff „Datenschutz“ hatte er übrigens zunächst gar nicht gemocht, wie er in dem Gespräch mit dem Journalisten Bernd Frye erzählt. Denn er ließe nicht erkennen, „was der eigentliche Gegenstand der angestrebten Regelung ist: eben nicht der Schutz der Daten, vielmehr der Schutz des Einzelnen sowie der Respekt vor seinen Grundrechten in einer Gesellschaft, in der gerade die Informationstechnologie mehr und mehr die Chance bietet, ihn zu instrumentalisieren“.
INFO:
Informationen: Prof. Dr. Spiros Simitis, Fachbereich Rechtswissenschaft, Forschungsstelle Datenschutz, Campus Westend, Tel. (069)798-34230, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Die aktuelle Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ kann kostenlos bestellt werden: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Im Internet steht sie unter: www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de.