Serie: Über das Atomabkommen mit Iran und seine Folgen, Teil 1 ·

 

Matthias Küntzel

 

Hamburg (Weltexpresso) - Beim Atomabkommen mit Iran steckt der Teufel nicht im Detail, sondern in der Substanz. Ursprünglich ging es bei den Iran-Verhandlungen darum, eine Grenze zwischen ziviler und militärischer Atomenergie ziehen. Später wurden die Parameter verschoben. Inzwischen geht es nicht mehr darum, ob Iran Atomwaffen bauen kann, sondern um die Frage, wie lange das Regime hierfür braucht.

 

Im Wiener Abkommen vom 14. Juli 2015 ist das „breakout window“, also die Zeitspanne, die für den Bau der Bombe erforderlich ist, mit einem Jahr definiert. Um diesen Abstand zu gewährleisten, sieht das Abkommen eine stark verminderte Kapazität für die iranische Urananreicherung und die Plutoniumerzeugung vor.[1]

 

Mit diesem Zustand könnte man leben, gäbe es da nicht zwei Tatbestände, die die gute Stimmung verderben. Das erste große Problem ist die Frist: Die Existenz des komfortablen „breakout windows“ ist auf 10 bis 15 Jahre begrenzt.

 

Direkt danach wird das Regime mit dem Segen der Staatengemeinschaft sämtliche Bombenrohstoffe ohne Einschränkung produzieren dürfen. Dann wird „die ,breakout time‘ auf nahezu Null schrumpfen“, erklärte US-Präsident Obama in einem Interview.[2] Dann kann der Bau einer Bombe binnen weniger Wochen erfolgen.

 

Ein „Manhattan-Projekt“ à la Iran

 

Es kommt bei einem langfristigen Abkommen auf die Richtung an. Bei diesem Deal ist die Richtung klar: Irans Ambition, nach 15 Jahren atomwaffenfähig zu sein, zieht sich wie ein roter Faden durch die Vereinbarung. Nehmen wir das Beispiel der Plutoniumverarbeitung, ein Gebiet, auf dem der Iran Nachholbedarf hat.

 

Nach amerikanischer Darstellung hatte Iran noch im Abkommen von Lausanne (April 2015) erklärt, „unbefristet“ auf die Plutoniumgewinnung durch Wiederaufarbeitung verzichten zu wollen.[3] Im jetzt verabschiedeten Abkommen rückt das Land davon ab und behält sich vor, nach 15 Jahren Plutonium zu extrahieren.[4]

 

Bis dahin will Teheran den Einstieg in die Plutoniumindustrie geschafft haben. So sollen laut Abkommen am Standort des modernisierten Arak-Reaktors „Heiße Zellen, abgeschirmte Zellen oder abgeschirmte Handschuhboxen in einer Größe von bis zu 6 Kubikmetern“ gebaut und betrieben werden.[5]

 

Derartige Zellen werden benötigt, um kostbare Inhaltsstoffe aus bestrahlten Brennelementen herauszulösen, sei es Molybdän 99 für medizinische, sei es Plutonium 239 für militärische Zwecke.

 

Während der Übergangsfrist soll das Regime dort lediglich „zerstörungsfreie Nachbestrahlungs-Untersuchungen“ mit Brennelementen durchführen dürfen. „Zerstörungsfrei“ bedeutet: Das im bestrahlten Brennstoff gebundene Plutonium wird nicht freigesetzt.

 

Dabei soll es aber nicht bleiben: „Die 5+1 werden ihre Anlagen zur Durchführung von zerstörenden Testreihen mit iranischen Spezialisten, wie vereinbart, zur Verfügung stellen“, heißt es in dem Abkommen.

 

Das Abkommen bietet iranischen Spezialisten also Einführungskurse in eine Technik, mit der Plutonium extrahiert werden kann.[6] Auf diese Weise fördern die 5+1, was sie einmal verhindern wollten: Irans Einstieg in die Plutoniumtechnologie.

 

Doch es geht noch weiter. Ein wunder Punkt in dem Abkommen, über den die Kommentatoren schamvoll schweigen, betrifft die Genehmigung von Techniken, wie sie „für einen nuklearen Sprengkörper“ oder „für die Entwicklung eines nuklearen Sprengkörpers geeignet“ sind.[7] Wer hatte die Idee, derartige Themen im Abkommen zu erwähnen? Hier ist sogar ein ganzes Kapitel mit dem Titel „Aktivitäten, die zum Design und der Entwicklung eines Atomsprengkörpers beitragen“ überschrieben.[8] Lässt sich drastischer dokumentieren, wohin die Reise geht?

 

Gleichzeitig werden schon im Vorfeld von „Tag X“ immer mehr Beschränkungen gekippt: Nach 5 Jahren entfällt laut Wiener Abkommen das allgemeine Waffenembargo für Iran, nach acht Jahren dürfen auch Bauteile für nuklear bestückbare Mittel- und Langstreckenraketen nach Teheran geliefert werden, nach 8 ½ Jahren darf Teheran seine Forschungen an Hochleistungszentrifugen um den Faktor 30 ausweiten und nach 10 Jahren seine Anreicherungskapazität vervielfachen.

 

Natürlich sind Irans sunnitische Nachbarn über diese Dynamik alarmiert. Irans Projekte werden das atomare Wettrüsten in der Region keineswegs verhindern, sondern viel eher anstacheln: Keine sunnitische Macht der Region kann es sich erlauben, in 10-15 Jahren ohne Gegenmittel dazustehen. Dieses Abkommen wird den „Frieden und die Sicherheit in der Region“ nicht erhöhen, wie es in seinem Vorwort heißt, sondern Unsicherheit und Krieg.

 

Hat man aber wenigstens während der 10-15 Jahre, für die das „breakout window“ gilt, seine Ruhe? Leider nicht. Kommen wir also zu dem zweiten Tatbestand, der die verheißungsvollen Hoffnungen durchkreuzt: Der Verzicht auf wirksame Kontrollen.

 

Die Vorstellung von der einjährigen Vorwarnzeit setzt voraus, dass das „breakout window“ für die Außenwelt wirklich offen steht. Sie unterstellt, dass Irans Revolutionsregierung so dumm ist, dass sie das, was verboten ist, vor aller Welt praktiziert, nämlich in den sorgfältig kontrollierten Anlagen von Natanz, Fordow oder Arak. Diese Annahme ist aber absurd.

 

Schon immer war das Kennzeichen der iranischen Atomwaffenpolitik dessen Intransparenz. Seit Jahren weigert sich das Regime, die Fragen der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) über seine Atomwaffenexperimente zu beantworten. Wiederholt hat es seine Anlagen heimlich errichtet und der Kontrolle entzogen. Immer wieder bedurfte es geheimdienstlicher Informationen, um deren Existenz zu beweisen.

 

Wir konnten und können deshalb nur eine Vereinbarung akzeptieren”, erklärte der deutsche Außenminister im April 2015, “die kein Vertrauen gegenüber Iran voraussetzt”, sondern ganz im Gegenteil sicherstellt, “dass es umfassendere und intensivere Kontrollen gibt als jemals zuvor. … Dazu gehören unangekündigte Inspektionen aller Anlagen.”[9]

 

Es reicht also nicht, wenn das Kontrollsystem in den bereits bekannten Anlagen Natanz oder Arak funktioniert. Entscheidend ist das Zugangsrecht der IAEA-Kontrolleure zu den nicht-deklarierten Anlagen; entscheidend ist das Recht auf Überraschungsinspektionen. Gewährt das Wiener Abkommen der IAEA dieses Recht? Hier begeben wir uns auf ein wenig bekanntes Terrain. Schauen wir uns das Safeguards-System zunächst an.

 

 

Anmerkungen:

 

[1] Das Regime verpflichtet sich, in den kommenden 15 Jahren Uran ausschließlich in der Natanz-Anlage und lediglich bis zu 3,67 Prozent anzureichern; seine niedrig angereicherten Uranbestände werden für diesen Zeitraum auf 300 kg beschränkt. Der Schwerwasserreaktor Arak wird umgebaut und künftig mit halber Leistung sowie mit angereichertem Uran statt Natururan betrieben, was die Menge des anfallenden Plutoniums reduziert. Alle bestrahlten Brennelemente dieses Reaktors werden ins Ausland verbracht.

 

[2] Michael R. Gordon and David E. Sanger, With Details of Iran Deal Still in Flux, White House Opens Sales Effort, in: New York Times, 7. April 2015.

 

[3] http://www.timesofisrael.com/full-text-of-iran-nuke-deal-parameters-as-set-out-by-state-department/, S. 3.

 

[4] Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), Vienna, 14 July 2015, S. 25f. Das 159 Seiten umfassende Dokument findet sich auf http://justsecurity.org/wp-content/uploads/2015/07/271545626-Iran-Deal-Text.pdf .

 

[5] JCPOA, S. 25.

 

[6] JCPOA, S. 26. : „However, the E3/EU+3 will make available their facilities to conduct destructive testing with Iranian specialists, as agreed.“

 

[7] JCPOA, S. 145f: “The Joint Commission will perform the following functions: … Review and approve in advance, upon request by Iran, the design, development, fabrication, acquisation, or use for non-nuclear purposes of multi-point explosive detonation systems suitable for a nuclear explosive device and explosive diagnostic systems (streak cameras, traming cameras and flash x-ray cameras) suitable for the development of a nuclear explosive device, as provided for in paragraphs 82.2 and 82.3 of Annex I.”

[8] JCPOA, S. 45: „Activities which could contribute to the design and development of a nuclear explosive device“.

 

[9] Frank-Walter Steinmeier, Umfassendere Kontrollen als jemals zuvor, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.April 2015, Hervorhebung von mir.

 

 

 

INFO:

 

Matthias Küntzel schrieb der Redaktion im Begleitbrief seine Einschätzung der öffentlichen Resonanz des Abkommens in Deutschland (und Europa), die wir für so wichtig halten, daß wir sie als Abspann sozusagen mitveröffentlichen. Das auch deshalb, weil die Koinzidenz es will, daß heute in den deutschen Kinos TAXI von Jafar Panahi anläuft, ein Film, der auf der Berlinale 2015 den Goldenen Bären gewann, mit Recht übrigens. Der Film läuft also ab heute als TAXI TEHERAN und Sie sollten ihn sich ansehen, weil man erleben kann, wie ein mit Berufsverbot und eigentlich zum Gefängnis verurteilter Regisseur in einem Film mit den Waffen des hintergründigen Humors zurückschlägt. Er zeigt das Volk, nämlich das Volk, das sich Gedanken macht – und auch nicht. Aber sein Film ist eine vollendete conditio humana und ein Schlag in das Gesicht der Unterdrücker. Die übrigens sind nicht 'humaner' geworden. Das ist ausdrücklich festzuhalten. Gerade – so schrieb ein persischer Freund – wird eine junge Frau aus Teheran im Gefängnis festgehalten, ohne Prozeß, aber in Haft, weil sie auf einer der Kommunikationsseiten eine positive Resonanz angeklickt hatte, ein sogenanntes Like. Wir wollen darüber noch berichten.

 

Hier erst einmal der Begleitbrief von Matthias Küntzel. Die Redaktion

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

anders als in den USA, gehört hierzulande der Beifall für das Atomabkommen mit Iran zum guten Ton. Wer nicht mitmacht, droht ins gesellschaftliche Abseits zu geraten oder – schlimmer noch! – als Freund Netanjahus denunziert zu werden. Die hysterische Reaktion grüner Spitzenpolitiker auf den harmlosen Protest der „Grünen Jugend“ gegen den Besuch des Vize-Kanzlers in Teheran spricht in dieser Hinsicht Bände (siehe auf http://gruene-jugend.de/node/27248 ).

 

 

Meine knappe Analyse des Atomabkommens geht auf dessen weltpolitische Bedeutung noch nicht ein, zeigt aber anhand des Originaltextes, wie berechtigt die nicht nur in Israel geäußerte Kritik daran ist. Sie finden den Text hier:

 

http://www.matthiaskuentzel.de/contents/manchmal-ist-der-weg-zur-hoelle-mit-guten-vorsaetzen-gepflastert