Serie: Über das Atomabkommen mit Iran und seine Folgen, Teil 2 ·

 

Matthias Küntzel

 

Hamburg (Weltexpresso) - Der Atomwaffensperrvertrag, den 1968 auch der Iran unterschrieb, verlangt von seinen Mitgliedern, Kontrollmaßnahmen zu akzeptieren, die mit der UN-Behörde IAEA „nach Maßgabe ihres Sicherheitssystems“ auszuhandeln sind. Die Inspekteure sollen dafür bürgen, dass die Atomenergie ausschließlich friedlichen Zwecken dient.

 

Das „maßgebliche“ Sicherheitssystem der IAEA ist mittlerweile das 1997 beschlossene „Zusatzprotokoll“, das für die meisten Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages gilt. 146 Staaten hatten es Anfang Juli 2015 unterzeichnet; in 126 Staaten ist es bereits in Kraft, nicht aber im Iran.

 

Das Zusatzprotokoll regelt die Bedingungen, unter denen IAEA- Inspektoren ihre Kontrolltätigkeit durchführen. Es trägt der Erfahrung Rechnung, dass illegale Atomaktivitäten in der Regel nicht in den offiziell deklarierten Anlagen, sondern in nicht-deklarierten Einrichtungen stattfinden, deren Adresse niemand kennt.

 

Diese Erfahrung machte die IAEA insbesondere Anfang der 90er Jahre im Irak. Hier wurden den Inspektoren unter dem Vorwand, es handele sich um die Paläste Saddam Husseins, der Zutritt zu bis dato unbekannten, aber inspektionsrelevanten Anlagen verweigert.

 

Deshalb bestimmt Artikel 4 des Zusatzprotokolls, dass die Inspektoren im Falle eines konkreten Verdachts „jede Örtlichkeit“ („any location“) betreten dürfen, wobei die IAEA ihre Inspektion „mindestens 24 Stunden“ vorher anzukündigen hat. Falls die Inspektoren bestimmte Einrichtungen innerhalb einer Anlage aufsuchen wollen, beträgt die Ankündigungsfrist „mindestens zwei Stunden, wobei diese Zeit bei außergewöhnlichen Umständen auch unterhalb von zwei Stunden liegen kann.“[10]

 

Iran gehört zu den wenigen Staaten der Welt, die offenbar wichtige Gründe haben, derartige Kontrollen zu scheuen. Schon im September 2003 rief die IAEA Teheran dazu auf, das Zusatzprotokoll zu unterschreiben. Einen Monat später erklärte sich das Regime in der sogenannten “Teheraner Erklärung” bereit, dem “Protokoll” beizutreten.

 

Dies aber entpuppte sich als ein Trick, um europäische Zugeständnisse zu erlangen: Das “Protokoll” wurde zwar unterschrieben. Es trat aber niemals in Kraft, da das iranische Pseudoparlament die Ratifizierung verweigerte. Der damalige iranische Verhandlungsführer, der diesen trickreichen Zickzack- Kurs einfädelte, hieß Hassan Rohani und ist heute iranischer Präsident.[11]

 

Zehn Jahre später war auch den 5+1 – Mächten die Notwendigkeit des iranischen Beitritts zum Zusatzprotokoll klar. Als sich die 5+1 und der Iran im Genfer Abkommen von 2013 auf die „Elemente einer umfassenden Lösung“ einigten, markierte die Forderung „Ratify and implement the Additional Protocol“ einen der Eckpunkte.[12]

 

Noch Anfang März 2015 machte Barak Obama den Abschluss des Atomdeals davon abhängig, dass die Iraner “die Art von Überwachung akzeptieren, … der sie jedenfalls noch nicht zugestimmt haben.”[13] Man werde andernfalls den Verhandlungstisch verlassen.

 

Doch das Regime blieb stur. Ende März 2015 wies es die erneute Forderung von IAEA-Direktor Yukiya Amano, unangekündigte Inspektionen zuzulassen, brüsk zurück. Mit dieser Forderung, erklärte ein Sprecher Teherans, würde Amano den Erfolg der Atomgespräche gefährden.[14] Damit war klar, dass Iran das Atomabkommen nur dann unterzeichnet, wenn es sich den Kontrollbestimmungen des Sperrvertrags auch weiterhin entziehen kann.

 

Wie aber reagierten die Großmächte der 5+1, die sich damit brüsten, dem Iran das wirksamste Inspektionsregime aller Zeiten abgetrotzt zu haben? Sie kippten um und zogen stillschweigend ihre Forderung nach Ratifizierung des Zusatzprotokolls zurück. Auch Außenminister Steinmeier, der noch kurz zuvor versprochen hatte, keine Vereinbarung ohne unangekündigte Inspektionen zu akzeptieren, fiel um.

 

 

Anmerkungen:

 

 

[10] International Atomic Energy Agency, Model Protocol Additional To The Agreement(s) Between State(s) and the International Atomic Energy Agency For The Application Of Safeguards (INFCIRC/540), Vienna, September 1997. Da nach Maßgabe führender Safeguards-Experten auch diese Regelung für ein Land wie Iran nicht ausreicht, forderten sie während der Verhandlungen ein “Zusatzprotokoll Plus“.

 

[11] Ausführlich hierzu: Matthias Küntzel, Die Deutschen und der Iran, Berlin 2009, S. 255ff.

 

[12] „Ratify and implement the Additional Protocol, consistent with the respective roles of the President and the Majlis [Iranian parliament]”, heißt es in der “Genfer Erklärung” unter der Überschrift “Elements of the final step of a comprehensive solution”. Diese Erkärung findet sich auf: http://edition.cnn.com/2013/11/24/world/meast/iran-deal-text/ .

 

[13] Agence France-Presse, US will ,walk away’ if verifiable Iran nuclear deal not reached, auf: http://www.globalpost.com/article/6411792/2015/03/08/us-will-walk-away-if-verifiable-iran-nuclear-deal-not-reached .

 

[14]Amir Vahdat, Iran says no snap inspections of nuclear sites, 24. März 2015, auf: http://www.huffingtonpost.com/2015/03/24/iran-no-un-nuclear-inspec_n_6935818.html?utm_hp_ref=world&ir=WorldPost

 

 

 

INFO:

 

Matthias Küntzel schrieb der Redaktion im Begleitbrief seine Einschätzung der öffentlichen Resonanz des Abkommens in Deutschland (und Europa), die wir für so wichtig halten, daß wir sie als Abspann sozusagen mitveröffentlichen. Das auch deshalb, weil die Koinzidenz es will, daß heute in den deutschen Kinos TAXI von Jafar Panahi anläuft, ein Film, der auf der Berlinale 2015 den Goldenen Bären gewann, mit Recht übrigens. Der Film läuft also ab heute als TAXI TEHERAN und Sie sollten ihn sich ansehen, weil man erleben kann, wie ein mit Berufsverbot und eigentlich zum Gefängnis verurteilter Regisseur in einem Film mit den Waffen des hintergründigen Humors zurückschlägt. Er zeigt das Volk, nämlich das Volk, das sich Gedanken macht – und auch nicht. Aber sein Film ist eine vollendete conditio humana und ein Schlag in das Gesicht der Unterdrücker. Die übrigens sind nicht 'humaner' geworden. Das ist ausdrücklich festzuhalten. Gerade – so schrieb ein persischer Freund – wird eine junge Frau aus Teheran im Gefängnis festgehalten, ohne Prozeß, aber in Haft, weil sie auf einer der Kommunikationsseiten eine positive Resonanz angeklickt hatte, ein sogenanntes Like. Wir wollen darüber noch berichten.

 

Hier erst einmal der Begleitbrief von Matthias Küntzel. Die Redaktion

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

anders als in den USA, gehört hierzulande der Beifall für das Atomabkommen mit Iran zum guten Ton. Wer nicht mitmacht, droht ins gesellschaftliche Abseits zu geraten oder – schlimmer noch! – als Freund Netanjahus denunziert zu werden. Die hysterische Reaktion grüner Spitzenpolitiker auf den harmlosen Protest der „Grünen Jugend“ gegen den Besuch des Vize-Kanzlers in Teheran spricht in dieser Hinsicht Bände (siehe auf http://gruene-jugend.de/node/27248 ).

 

 

Meine knappe Analyse des Atomabkommens geht auf dessen weltpolitische Bedeutung noch nicht ein, zeigt aber anhand des Originaltextes, wie berechtigt die nicht nur in Israel geäußerte Kritik daran ist. Sie finden den Text hier:

 

http://www.matthiaskuentzel.de/contents/manchmal-ist-der-weg-zur-hoelle-mit-guten-vorsaetzen-gepflastert