Serie: FLÜCHTLINGSGESPRÄCHE, Teil 16

 

Hanswerner Kruse

 

Schlüchtern (Weltexpresso) - Heute stellen wir Fadime ?imsek (44) vor, die schon lange keine Neue Nachbarin mehr ist und im landläufigen Sinn auch kein Flüchtling. Sie lebt seit ihrem 6. Lebensjahr in Deutschland und hilft türkischen Nachbarinnen, die deutsche Kultur kennenzulernen oder umgekehrt, den Deutschen das türkische Leben nahezubringen.



Fadime empfängt uns ohne Kopftuch und locker gekleidet in ihrer modern eingerichteten Wohnung. Anatolischen Kitsch gibt es hier nicht, aber sie reicht uns die süchtig machende, traditionelle Süßigkeit Baklava zum Tee. Die liberale türkische Muslimin lebt in zwei Welten, sie ist stolz auf ihre Heimat und verteidigt die gegenwärtige politische Entwicklung dort. Sie ärgert sich, dass die meisten türkischen Jugendlichen so schlecht ihre Muttersprache können und macht sich über Weihnachten feiernde Muslime lustig. „Ich fühle mich in beiden Kulturen heimisch“, meint Fadime, die auch deutsche Tugenden, wie Pünktlichkeit und Zielstrebigkeit schätzt: „Was die Deutschen sich vornehmen, das machen die auch.“ Die südländischen Türken seien lebenslustiger und lockerer: „Die Deutschen machen oft aus Mücken Elefanten“, witzelt sie, „bei uns ist das umgekehrt, Elefanten werden häufig zu Mücken gemacht.“

 

Früher waren sie und ihre Schwestern zuhause türkische und außerhalb deutsche Mädchen, sie konnten problemlos von einer Kultur in die andere schlüpfen. „Aber heute bin ich, ich“, erklärt sie, „ich will mich nicht verstellen.“ Sie mag die unterschiedlichen Kulturen und würde später am liebsten in beiden Ländern leben, falls die Rente das ermöglicht. Den Deutschen und den Türken empfiehlt sie, die wechselseitigen Vorurteile und Ängste abzubauen und aufeinander zuzugehen.

 

Aus diesem Grund engagiert sich Fadime seit zehn Jahren intensiv im Türkisch Islamischen Kulturverein in Schlüchtern (Osthessen). Sie ist 2. Vorsitzende und organisiert für türkische Frauen Kulturreisen nach Berlin oder Straßburg. Oder Fadime ermuntert sie zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten, etwa zum Besuch im Frankfurter Zoo: „Oft haben die Frauen keine Gelegenheit da hinzukommen oder sie trauen sich nicht.“ Zusammen kochen die Frauen auch für nicht-türkische Veranstaltungen, jede von ihnen kann irgendetwas besonders gut. Gerade haben sie bei einem Inklusionsfest gekocht, einen Catering Service bieten sie auch im privaten Bereich an. Fadime schwärmt vom neuen „deutsch-türkischen Geschmack“ - dem traditionellen deutschen Kartoffelsalat wird viel Pfeffer, Basilikum, Thymian, Chili und Kreuzkümmel zugemischt.

 

Über Hundert türkische Familien wohnen im Bergwinkel in Osthessen, schätzt Fadime und sie weiß, dass in letzter Zeit immer mehr türkische Männer auch deutsche Frauen heiraten. Einige ihrer türkischen Freundinnen haben auch deutsche Männer. „Seltsamerweise lernen die Kinder immer die Sprache der Mütter“, meint sie, „den Männern scheint das egal zu sein...“

 

Die Türkin aus der Gegend von Antalya wuchs in Mannheim auf, heiratete dort 1991 und kam mit ihrem Mann nach Osthessen, weil er hier bei seiner Verwandtschaft leben wollte. Acht Jahre wohnten beide in Steinau-UImbach, wie viele „Gastarbeiter“ arbeitete Fadime auch bei „Alsa“, bis sie zwei Söhne bekam. Die junge Familie zog im Jahr 2000 nach Schlüchtern, Fremdenfeindlichkeit hatten sie bis dahin nie erlebt. Doch nach dem Umzug wurde ihr auch in Schlüchtern lebender Onkel Enver Şimsek in Nürnberg das erste Opfer der Mörderbande „Nationalsozialistischer Untergrund“. Dieses Verbrechen lässt sich nicht vom weiteren Leben ihrer Familie trennen.

 

Spontan übernahmen die Şimseks den Blumengroßhandel des Ermordeten und sein Geschäft. Obwohl Fadime sogar Floristin lernte - „ich hätte nie gedacht, dass ich mal Blumenmädchen werde“ - mussten sie den Laden aus diversen Gründen aufgeben. Die Angst nach dem Mord ist heute noch da, ihr Mann hat die Simsek-Blumenwerbung vom Kleinlaster entfernt. Als ihre Söhne erwachsen wurden, wollte sie eigentlich viel verreisen - doch dann bekam sie vor zweieinhalb Jahren noch ihre Tochter Ceren. Deshalb bleibt sie dem Bergwinkel als „Integrationslotsin“ weiterhin erhalten!

 

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Fadime im Gespräch mit Hanswerner Kruse