Rechtswissenschaftler Matthias Goldmann und Archäologe Nikolas Gestrich erhalten begehrtes Stipendium der VolkswagenStiftung

 

Hubertus von Bramnitz

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein großer Erfolg für die Goethe-Universität: Gleich zwei ihrer Nachwuchsforscher sind von der Jury für das begehrte Freigeist-Fellowship der VolkswagenStiftung ausgewählt worden – zusammen mit sechs anderen jungen Wissenschaftlern aus ganz Deutschland. Und diesmal sind es nicht nur die Rechts- oder Wirtschaftswissenschaftler, die unterstützt werden, sondern auch ein Archäologe (im Bild).

 

Der Jurist Dr. Matthias Goldmann nimmt das Verhältnis zwischen Wirtschaftswissenschaften und Recht unter die Lupe. Der Archäologe Dr. Nikolas Gestrich befasst sich mit der Beziehung zwischen Staat, Stadt und Handel im vorkolonialen Westafrika. Zur Finanzierung der insgesamt acht Forschungsvorhaben stellt die VolkswagenStiftung in den kommenden fünf Jahren 5,3 Millionen Euro zur Verfügung.

 

 

Dr. Matthias Goldmann

 

Matthias Goldmann, Jahrgang 1978, hat in Würzburg Jura mit Schwerpunkt Europa- und Völkerrecht studiert und war nach dem Ersten Staatsexamen für ein Jahr am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda). Anschließend trat er eine Promotionsstelle am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg an. Nach dem Zweiten Staatsexamen verbrachte er ein Jahr an der New York University School of Law. In seiner Doktorarbeit bei MPI-Direktor Prof. Armin von Bogdandy entwickelte Goldmann den Begriff der „internationalen öffentlichen Gewalt“ für einen Bereich, der im Zuge der Globalisierung immer mehr wächst. Er untersuchte die Frage, inwiefern Instrumente internationaler Organisationen wie die PISA-Studie oder die Basler Bankenaufsicht völkerrechtlich zu bewerten sind. Der neue Begriff soll dabei die bestehende Praxis konstruktiv fortentwickeln.

 

Mit seiner Habilitation wendet sich Goldmann dem Finanzwesen zu, sein Projekt ist aber erneut der Grundlagenforschung zuzurechnen. Wirtschaftswissenschaften und Recht stehen in einem engen Bezug miteinander. Aber wie ist das gegenseitige Verständnis? Verbesserungswürdig, meint Goldmann. „Stability through Deliberation: Finance and Public Law“: So lautet der Titel des Freigeist-Projekts. Wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse unterliegen den Rechtsnormen, mit denen der Staat das Finanzwesen und die Finanzmärkte regelt. Oft sind diese Rechtsnormen aber so vage, dass sie die Erwartungen wirtschaftswissenschaftliche Ansätze an die Fähigkeit des Rechts, das Verhalten von Akteuren zu steuern, enttäuschen. Wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse wiederum sind aber auch wenig hilfreich für den Rechtsanwender, da sie umstritten und dem Wandel unterworfen sind. Kein guter Befund für eine dauerhaft stabile marktwirtschaftliche Ordnung.

 

Ein Beispiel sei das so genannte Bail-Out-Verbot, die Nichtbeistandsklausel in den europäischen Verträgen: Die meisten Wirtschaftswissenschaftler waren sich im Zuge der Finanzkrise einig, das Verbot sei gebrochen worden, der Europäische Gerichtshof jedoch urteilte anders. „Es gibt keine rote Linie, die nicht überschritten werden könnte“, formuliert Goldmann. Seine These: Man muss das Recht als ein viel flexibleres Instrument begreifen, das vor allem zur Strukturierung von Entscheidungsprozessen dient. Daraus könnte eine Prinzipienlehre des öffentlichen Finanzrechts entstehen, die das Finanzwesen stabilisieren helfen könnte. Auf alle Fälle müssten Wirtschaftswissenschaftler und Juristen in einen intensiveren Diskurs treten.

 

Matthias Goldmann, der schon seit längerem mit dem Exzellenzcluster Normative Orders zusammenarbeitet, wird für die Zeit seines Stipendiums am House of Finance angesiedelt sein, für ihn eines der „renommiertesten Institute im Bankenwesen“. Ob er sich als „Freigeist“ fühlt? „Nicht unbedingt mehr als andere. Jeder Wissenschaftler sollte doch danach streben, seine Limits auszutesten. Das Streben nach Erkenntnis setzt Freiheit voraus“, so Goldmann, der das Fellowship im Januar 2016 antreten wird.

 

 

Dr. Nikolas Gestrich

 

Dr. Nikolas Gestrich kehrt für sein Freigeist-Projekt aus Großbritannien zurück. Der heute 31-jährige Deutsch-Brite ist in Stuttgart aufgewachsen und hat in Durham Archäologie studiert, seinen Master hat er am University College London gemacht, wo er auch promoviert wurde mit einer Arbeit zum Thema: „The Archaeology of Social Organisation at Tongo Maaré Diabal”. In Großbritannien sei das Studium stärker methodisch-praktisch ausgerichtet, man müsse sich nicht so früh festlegen, erklärt Gestrich. Inzwischen ist sein Fokus jedoch klar: Besonders die komplexen Gesellschaften im vorkolonialen Westafrika mit all ihren Implikationen interessieren ihn. Der Titel seines Freigeist Projekts: „The Relationship of Urbanism and Trade to State Power in the Segou Region of Mali“.

 

Die frühe Geschichte Malis ist sehr interessant, aber noch kaum erforscht“, erklärt Gestrich. Zwar gebe es weder schriftliche Zeugnisse noch Paläste, dennoch habe es sich eindeutig um eine Hochkultur mit großen Städten gehandelt, 50.000 Einwohner waren durchaus möglich. Die Gegend um den mittleren Nigerlauf in Mali war bereits um 800 vor Christus ein Zentrum dieser Entwicklung. Ab etwa 400 nach Christus entstanden Staaten, die einen großen Teil Westafrikas kontrollierten. Am Beispiel der Markadugu, einem Netzwerk ehemaliger Handelsstädte, will Nikolas Gestrich nun die Beziehung zwischen Staat, Stadt und Handel im vorkolonialen Westafrika untersuchen und deutlich machen, dass deren Strukturen wesentlich vielschichtiger und wandelbarer waren als bislang angenommen.

 

Bei seiner Arbeit will Nikolas Gestrich archäologische und geschichtswissenschaftliche Methoden kombinieren: Archäologische Fundstellen wertet Gestrich mit Hilfe moderner Technologien aus und bringt sie in Verbindung mit schriftlichen Überlieferungen aus dem arabischen Raum – und mit mündlich tradierten Erzählungen. „Noch heute lebt in Mali ein ganzer Berufsstand davon, sich Geschichten zu merken und öffentlich vorzutragen. Und auch in den Familien werden zurückliegende Ereignisse über Jahrhunderte weitererzählt“, erklärt Gestrich, der auch afrikanische Wissenschaftler in sein Projekt einbinden will. Sein Standort ist das Frobenius-Institut an der Goethe-Universität, wo er dank Afrika-Archäologie und Afrikanistik ideale Bedingungen erwartet. „Außerdem hat das Institut eine Bibliothek, die ihresgleichen in Deutschland sucht“, freut sich Gestrich. Dass er für ein Freigeist-Fellowship ausgewählt wurde, hat Gestrich durchaus überrascht: „Es waren ja so viele Fachrichtungen einbezogen, dass ich mich schon wundere, dass ausgerechnet mein Projekt ausgesucht wurde – es ist ja schon eine eher ungewöhnliche Fragestellung.“

 

 

Freigeist-Fellowship

Exzellente und zugleich außergewöhnliche Forscherpersönlichkeiten – sie stehen im Fokus der Freigeist-Fellowships, die in diesem Jahr zum zweiten Mal vergeben werden. Die VolkswagenStiftung will damit erklärtermaßen Forscherpersönlichkeiten fördern, die sich zwischen etablierten Forschungsfeldern bewegen und unkonventionelle, risikoreiche Wissenschaft betreiben möchten. Das Fellowship gewährt ihnen einen großen inhaltlichen Freiraum und eine klare zeitliche Perspektive. Bewerben können sich Nachwuchswissenschaftler, deren Promotion nicht mehr als fünf Jahre zurückliegt. In diesem Jahr wurden insgesamt 156 Förderanträge gestellt. Die offizielle Verleihung findet am 25. September im Tagungszentrum Schloss Herrenhausen in Hannover statt.

 

 

Kurzkommentar:

 

Wir finden diese Förderung hervorragend, weil sie auch Seitenwegen und nicht auf Gewinn ausgerichteten Fachrichtungen Chancen gibt. Aber wir haben zwei Einwände: Das eine ist die Bezeichnung der Förderung, das andere, daß zwei Männer ausgewählt worden. Wie viele von den 156 Förderanträgen sind von Frauen gestellt worden. Wie viele sind ausgewählt worden? Wir bekommen noch nicht einmal heraus, wie viele Personen normalerweise gefördert werden. Im letzten Jahr waren es elf , davon acht Männer und drei Frauen.

Ärgerlich ist der Ausdruck Fellowship, der an diesen so aussagekräftigen Begriff Freigeist angehängt wird und dieses schöne Wort geradezu verunstaltet. Warum heißt es nicht FREIGEIST STIPENDIUM oder warum spricht man nicht von den FREIGEISTLERN. Muß man alles dem englischsprachigen Raum, besser: den USA nachmachen?

 

Foto: Nikolas Gestrich (c) Uni Frankfurt