Serie: 50 Jahre nach dem Auschwitz-Prozess. Ein anteilnehmender Journalist berichtet.Teil 4/5

 

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) - „Statt einer ‘Bewältigung der Vergangenheit’, die auch damals notwendig war und die einen harten Willen zur Wahrheit erforderte, zog man den Betrug und Selbstbetrug eines angeblichen Dolchstoßes vor und suchte krampfhaft nach Sündenböcken. Man fand sie bald in ‘Marxisten’, bald in Juden. Jeder Sündenbock-Mechanismus erwächst aus Charakterschwäche; er ist ein infantiler Zug und alles andere als eine männliche Reaktion.

 

Je schwächer die Leute sind und je mehr sie von Minderwertigkeitskomplexen geplagt werden, desto mehr rufen sie nach Härte und desto gewalttätiger und brutaler treten sie auf, um ihr eigenes Ungenügen und das Fiasko ihres Daseins zu verbergen. Die Kraftmeierei des Nazismus, sein Geschrei, seine Demonstrationen, seine Verbrechen, waren die Maske von neidischen Schwächlingen.”

 

Dieser Sündenbock-Mechanismus hat die Nazizeit überlebt. Als Ende der siebziger Jahre Hakenkreuz-Schmierereien wieder einmal für peinliches Aufsehen sorgten, machte der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß kommunistische Geheimdienste für die Schändung jüdischer Friedhöfe verantwortlich. Das rechtslastige „Deutschland-Magazin” behauptete, der „angebliche Neonazismus sei in Wahrheit eine Waffe Moskaus”. Das war ein bequemer Weg, die Krankheit am eigenen Leibe zu leugnen und sich der Auseinandersetzung mit den wahren Ursachen zu entziehen.

 

Inzwischen gibt es keine DDR und keine Sowjetunion mehr, aber noch immer werden Hakenkreuze auf Grabsteine geschmiert und jüdische Einrichtungen angegriffen. Wenn es nur das wäre! Als die rechtsradikale NPD vor Jahren zu einer Demonstration gegen den Bau einer Synagoge in Bochum aufrief und die örtliche Polizeibehörde den provozierenden Aufmarsch verbot, machte das Bundesverfassungsgericht den Unbelehrbaren den Weg frei. Das Recht der Neonazis zu demonstrieren wurde höher bewertet als das Recht der Überlebenden des Holocaust, vor der Verhöhnung der Opfer des Naziterrors geschützt zu werden. (Beschluss des Ersten Senats vom 23. Juni 2004, Aktenzeichen 1 BvQ 19 / 04).

 

Nicht von ungefähr, so scheint es, verlangte zu Beginn des neuen Jahrtausends der damalige Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, beim Kampf gegen die Neonazis, nicht bestimmte Entwicklungen in der Mitte der Gesellschaft aus dem Blickfeld zu verlieren; dort gebe es immer noch hartnäckige Vorurteile gegenüber Menschen anderer Hautfarbe, anderer Herkunft und anderer Religion.

 

 

Verharmlosung des Rechtsextremismus

 

Diese Vorurteile sind das Ergebnis der Jahrzehnte langen Verharmlosung rechtsextremistischer Bestrebungen. Allzu gern wird vergessen, dass während des kalten Krieges nicht die Bekämpfung des Neonazismus im Vordergrund stand, sondern die Bekämpfung der Kommunisten und all derer, die dafür gehalten wurden. Nur so konnte es dazu kommen, dass zwei Monate nach dem Beginn des Auschwitzprozesses der damalige Bundespräsident Heinrich Lübke einem der Mitschuldigen an der Ausbeutung von Auschwitzhäftlingen das Bundesverdienstkreuz verlieh. Geehrt wurde auf Vorschlag des Bundesverbandes der deutschen Industrie der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrates der Ruhrchemie AG Oberhausen, Dr. Heinrich Bütefisch, ehemals leitender Angestellter des IG Farbenkonzerns Ein alliiertes Gericht verurteilte ihn nach Kriegsende wegen der Ausbeutung von Auschwitzhäftlingen und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sechs Jahren Gefängnis. Davon wussten die Beteiligten an dem Ordensskandal angeblich nichts. Bütefisch musste sein Verdienstkreuz zurückgeben, nachdem eine Schweizer jüdische Zeitung aufgrund eines Artikels von mir bei der Ordenskanzlei des Bundespräsidialamtes angerufen hatte. Dann wurde die peinliche Angelegenheit schnell unter den Teppich gekehrt.

 

Das ist es wohl, was Fritz Bauer meinte, als er nach dem Auschwitzprozess feststellte, in dem Verfahren sei „das Herz des Ganzen” nicht zur Sprache gekommen. Viele sahen in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eine Art Nestbeschmutzung, viele

waren verstrickt in das Gewaltregime der Nationalsozialisten und an einer Bloßlegung seiner Wurzeln nicht interessiert. Warum musste Bundeskanzler Konrad Adenauer ausgerechnet einen von ihm selbst später als „tiefbraun” bezeichneten Experten der Nazis namens Theodor Oberländer für die Neuordnung des europäischen Ostens in sein Kabinett holen?

 

Weshalb musste er ausgerechnet den Mitverfasser eines juristischen Kommentars zu den Rassegesetzen der Nazis, Dr. Hans Globke, als Staatssekretär und engsten Berater im Kanzleramt beschäftigen, ihn, der diesen Kommentar später selbst als „entsetzlich und abstoßend” bezeichnet hat.1 Musste da nicht der Eindruck aufkommen, dass es mit der Judenverfolgung wohl nicht so schlimm gewesen sein konnte, wenn einem solchen Mann dieses wichtige Amt anvertraut wurde? Heute würde man sagen: Eine schlimmere Verharmlosung des Ungeistes der Nazizeit konnte es gar nicht geben. Fortsetzung folgt.

 

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Fritz Bauer, der Hessische Generalstaatsanwalt, dem es gegen vielfachen Widerstand, auch dem der Frankfurter Justiz, gelang, den Auschwitzprozeß nach Frankfurt zu holen. Das hat ihm zeitlebens Haß und Verfolgung beschert. Zum Teil bis heute. Mit der Erinnerung an die vor 50 Jahren beendeten Auschwitzprozesse wird auch seiner gedacht, dessen Initiative und Durchsetzungskraft es zu verdanken ist, daß überhaupt Anklage erhoben wurde. Nicht der Rachegedanke und auch nicht das Strafmaß waren für ihn prägend, sondern daß die Deutschen, vor allem die deutsche Jugend, nie vergesse, was geschehen war, damit es sich niemals wiederholen könne. Das Verschweigen ist potentiell der Beginn von neuem Gräuel.

Die Redaktion