50 Jahre nach dem Auschwitz-Prozess. Vortrag in der Villa Ichon in Bremen am 5. September 2015, Teil 1/5

 

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) – Wer in diesen Tagen über das Thema „Offizielles Gedenken und politische Wirklichkeit 50 Jahre nach dem Auschwitz-Prozess“ sprechen will, kommt an den Ausbrüchen von Fremdenhass im Zusammenhang mit dem Zustrom von Asylbewerbern und Flüchtlingen nicht vorbei. Neu ist das alles nicht, nur die Dimensionen haben sich verändert.

 

Von Januar bis August gab es nach offiziellen Angaben in Deutschland 337 derartige Übergriffe. Das heißt, so etwas passiert jeden Tag. Warum nur bei uns?

 

Das hässliche Bild wird etwas aufgehellt durch die Spendenbereitschaft vieler Deutscher, die den Ankömmlingen über die ersten Tage hinweghilft. Aber milde Gaben ändern nichts an den Problemen, die dem aktuellen Geschehen zugrunde liegen. Wenn die Bundesregierung etwas gegen die rechte Gewalt und gegen die Konflikte tun möchte, die Menschen zu uns treiben, dann sollte sie die vier Milliarden Euro, die sie für neue Panzer und ein neues Luftabwehrsystem ausgeben will, zur Bekämpfung der sozialen Ursachen rechter Gewalt und bestehender Konflikte verwenden. Waffen helfen da sowieso nichts. In Afghanistan haben 3.285 Soldaten aus westlichen Ländern ihr Leben gelassen, darunter 40 Deutsche. An den Lebensverhältnissen hat das nichts geändert, sonst kämen nicht so viele Menschen aus Afghanistan zu uns.

 

Vor 35 Jahren hat der SPD-Vorsitzende Willy Brandt vor einem „explosiven Gemisch aus Rassenhass und Neidkomplexen“ gewarnt, das sich in Deutschland zusammenbraue. Aber im Bundestag redeten die meisten Abgeordneten jenen 82 Prozent der Deutschen nach dem Munde, die damals laut Umfragen der Meinung waren, in Deutschland gebe es zu viele Ausländer. Die Justiz tat das ihre dazu. 1984 hob der Bundesgerichtshof ein Urteil auf, mit dem ein 30Jähriger wegen Volksverhetzung zu 26 Monaten Haft verurteilt worden war.

 

Der Mann hatte „Ausländer raus“ und Hakenkreuze auf Häuserwände gesprüht. Das höchste deutsche Strafgericht argumentierte, ihrem Wortsinn nach sei die Parole zwar – so wörtlich - „als an Ausländer gerichtete Aufforderung zu verstehen, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen“. Bei ihr fehlten aber – im Gegensatz zur Parole „Juden raus“ - „allgemein bekannte geschichtliche Erfahrungen, die sie ohne weiteres als Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen erscheinen lassen“. ( 3 StR-36/84)

 

Den Richtern hätte es nachträglich die Sprache verschlagen müssen, als das Gemisch aus Rassenhass und Neidkomplexen, von dem Willy Brandt gesprochen hatte, explodierte. Von Hoyerswerda über Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen bis hin zur Jagd auf Ausländer in Magdeburg hinterließen Neonazis eine blutige Spur quer durch das inzwischen vereinte Deutschland. Ungehindert konnte eine Gruppe, die sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ nannte, zehn Jahre lang gezielt Ausländer ermorden, weil Polizei und Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind waren

 

Eine couragierte CDU-Politikerin, die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, schrieb 1993: „Der Rechtsradikalismus und die Gewalttaten haben ein gesellschaftliches Umfeld. Begreifen wir vor allem, dass Demokratie nicht erst dann gefährdet ist, wenn Brandsätze fliegen. Es ist vielmehr das Klima der Duldung, des Zulassens, der Gleichgültigkeit und Passivität, in dem die Gewalt wuchert und Nahrung findet.“ Die Sätze stehen im Manuskript ihrer Rede zum 55. Jahrestag des Pogroms vom 9. November. Auf der Veranstaltung hat Frau Süßmut sie dann ausgelassen.

 

 

Medienpolitischer Skandal

 

Ein guter Mensch sein? Ja, wer wär’s nicht gern? Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so“, lässt Bertolt Brecht in der Dreigroschenoper den Bettlerkönig Peachum singen. Die Bundestagspräsidentin wird ihre Gründe gehabt haben, nicht laut zu sagen, was sie dachte. So ist das manchmal. Auch ich behalte heute etwas für mich, weil ich darum gebeten wurde. Es ging um Fritz Bauer, den legendären Generalstaatsanwalt, der Auschwitz vor Gericht brachte. Aber ich habe dazu noch eine andere Geschichte:

 

Sie erinnern sich vielleicht, dass vor fünf Jahren der Dokumentarfilm „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ in die Kinos kam, der Fritz Bauer dem Vergessen entriss. Der mehrfach ausgezeichnete Film findet immer noch sein Publikum, nicht nur bei uns, sondern auch in vielen anderen Ländern. Aber die ARD weigert sich, ihn im Ersten Deutschen Fernsehen zu zeigen.

 

Im geschichtlichen Arbeitskreis der ARD seien „gravierende Einwände“ laut geworden, die insbesondere die These vom Mord an Fritz Bauer beträfen, argumentierte ihr stellvertretender Programmdirektor gegenüber der international renommierten Regisseurin Ilona Ziok, obwohl in dem Film an keiner Stelle behauptet wird, der hessische Generalstaatsanwalt sei ermordet worden. Zeitzeugen erinnern lediglich daran, dass Fritz Bauer auf bis heute ungeklärte Weise zu Tode kam.

 

Das Verhalten der ARD ist ein medienpolitischer Skandal. Wenn das russische oder das chinesische Fernsehen so etwas machten, wäre das Geschrei groß. Der mit öffentlichen Mitteln geförderte und mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ ausgezeichnete Dokumentarfilm über den Initiator des Auschwitz-Prozesses lief bereits auf Phoenix, dem gemeinsamen Dokumentationskanal der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Auf 3sat wurde er als „gut recherchierte Würdigung des Aufklärers“ Fritz Bauer angekündigt und erreichte auch dort beachtliche Einschaltquoten. Einwände gab es weder vorher noch nachher.

 

Da drängen sich Fragen auf. Welche Kriterien haben die Mitglieder des geschichtlichen Arbeitskreises der ARD ihrer Entscheidung zugrunde gelegt? Gab es ein Petitum des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt, das den Film als einzige Einrichtung in Deutschland boykottiert, weil er – wie der Regisseurin vorgehalten wurde - die Gegner Fritz Bauers nicht zu Wort kommen lässt? Welche Gegner? Die aus der Nazizeit? Fortsetzung folgt.