Experten fordern mehr Studien und warnen zugleich vor Selbstmedikation
Hubertus von Bramnitz
Mannheim (Weltexpresso) – Solche Veröffentlichungen sind die Vorboten von Konferenzen und Kongressen, wie es mit dem Deutscher Schmerzkongress 2015 vom 14. bis 17. Oktober 2015 in Mannheim der Fall ist, der Jahrestagung der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.
Immerhin sind in Deutschland rund1,5 Millionen Erwachsene von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen betroffen. Viele von ihnen leiden unter anhaltenden Schmerzen. Obwohl über den therapeutischen Nutzen von Cannabisprodukten derzeit intensiv diskutiert wird, fehlen für die Behandlung chronischer Schmerzen bei Rheuma-Erkrankungen mit künstlich hergestellten Cannabisprodukten jedoch bislang aussagekräftige Studien.
Welche Potentiale Cannabis als Heilmittel hat und aus welchem Grund vor allen Formen der Selbstmedikation zu warnen ist, diskutieren Schmerzexperten auf der Pressekonferenz des Deutschen Schmerzkongresses (14. bis 17.10.2015) am 14. Oktober in Mannheim.
Cannabis sativa, so der lateinische Name der Hanfpflanze, ist eine der ältesten Nutzpflanzen der Welt. Lange schon gibt es Anzeichen für ihre medizinische Wirksamkeit, um Schmerzen zu lindern und Entzündungen zu hemmen. Dass Cannabisprodukte bei einigen Erkrankungen einen positiven Effekt haben, konnten in den vergangenen Jahren auch zahlreiche klinische Studien zeigen. Privatdozent Dr. med. Winfried Häuser, Klinik Innere Medizin I des Klinikums Saarbrücken, berichtet: „Bei Tumorpatienten können Cannabinoide während der Chemotherapie den Appetit anregen und zugleich Übelkeit und Erbrechen eindämmen. Sie können auch helfen, schmerzhafte Muskelverspannungen bei Patienten mit Multipler Sklerose zu unterdrücken.“
Einige Patienten mit chronischen Schmerzen berichteten zudem über gute Erfahrungen mit hanfbasierten Substanzen, ergänzt der Experte aus Saarbrücken. Aufgrund seiner Rauschwirkung fällt das „Naturprodukt“ Hanf in Deutschland jedoch unter das Betäubungsmittelgesetzt (BTM), und der in ihm vorkommende Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) wird als ein nicht verkehrsfähiger Stoff klassifiziert. Der Verkauf und Handel von/mit THC sind also verboten, der Konsum ist es nicht. In Deutschland ist nur ein einziges künstlich hergestelltes Cannabis-Medikament, das als Mundspray verabreichte Sativex, bei einer medizinischen Indikation zugelassen, nämlich den schmerzhaften Muskelverspannungen bei Multipler Sklerose. Zwei weitere Präparate, Dronabinol und Nabilon, sind in Deutschland nicht zugelassen, können jedoch auf einem Betäubungsmittelrezept durch den Arzt verschrieben werden. Die gesetzlichen und privaten Krankenkassen weigern sich in den meisten Fällen, die Kosten zu übernehmen.
Um herauszubekommen, bei welchen rheumatischen Erkrankungen, die mit chronischen Schmerzen einhergehen, Cannabisprodukte wirken und ob sie verträglich und sicher sind, hat Dr. Häuser zusammen mit Forschern aus Deutschland – aber auch Kanada und Israel – eine systematische Literatursuche durchgeführt. Dr. Häuser erklärt: „Wichtig war für uns, nur Studien auszuwerten, die aussagekräftig sind. Wenn also das Cannabisprodukt mit einem Scheinmedikament (Placebo) verglichen wurde und zudem weder Arzt noch Patient wussten, was von beiden sie erhielten.“ Bei der Sichtung der als randomisiert doppelblind bezeichneten Studien (englisch, RCT: randomized controlled trial) stellten die Forscher schnell fest, dass die Datenlage bei der medikamentösen Therapie von Rheumaerkrankungen mit Cannabisprodukten spärlich ist.
Zwei RCTs mit Nabilon über die Dauer von zwei beziehungsweise sechs Wochen mit 71 Patienten mit Fibromyalgiesyndrom, eine vier-wöchige Studie mit Nabilon und 30 Rückenschmerzpatienten und eine fünf-wöchige Studie mit Tetrahydrocannbinol/Cannabidiol mit 58 Patienten mit rheumatoider Arthritis wurden eingeschlossen. Die Studien zeigten keine bessere Wirksamkeit der untersuchten synthetischen Cannabisprodukte gegenüber Kontrollsubstanzen (Placebo bzw. schmerzlinderndes Antidepressivum). Die Patienten berichteten, die Cannabisprodukte trotz einiger unangenehmer Nebenwirkungen wie beispielweise Konzentrationsstörungen, Sedierungen oder Müdigkeit gut vertragen zu haben.
Dr. Häuser fasst zusammen: „Wir können aufgrund der schwachen Datenlage derzeit nicht empfehlen, Rheumapatienten mit Cannabisprodukten zu behandeln. Das schließt jedoch nicht aus, dass Ärzte Patienten, die wir als austherapiert bezeichnen, das heißt, bei denen sonst nichts hilft, mit Cannabinoiden behandeln.“
Die Experten der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. plädieren dafür, dass die Bundesregierung ein Gesetz zum medizinischen Gebrauch von Cannabisprodukten erlässt und dann die Verordnungen langfristig über die Krankenkassen abgerechnet werden können. Professor Dr. med. Michael Schäfer, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V., fasst die Position zusammen: „Wir wollen Schmerzpatienten nicht die Therapie mit Cannabinoiden vorenthalten. Aber gebraucht werden mehr Studien und mehr Medikamentenzulassungen.“ Jede Form einer Eigentherapie lehnt der Experte ab. „Patienten, die sich mit dem sogenannten Medizinalhanf oder Cannabis aus Eigenanbau selbst behandeln, fügen ihrem Körper ein in seiner Dosis permanent schwankendes Medikament zu und riskieren belastende Nebenwirkungen.“
Literatur:
Fitzcharles M.-A., Ste-Marie P. A., Häuser, W. et al.: Efficacy, tolerability and safety of Cannabinoid Treatments in the Rheumatic Diseases: A Systematic Review of Randomized Controlled Trials
Arthritis Care &Research, 2015, in Druck
PD Dr. med. Winfrid Häuser, Redemanuskript, Pressekonferenz Deutscher Schmerzkongress 14.10.2015