Serie: Wie mit ihnen umgegangen wird – daran entscheidet sich Europa, Teil 1
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ob Weltweisheit sich durchsetzt oder nicht, das entscheidet sich jetzt. Es ist schon erstaunlich, dass ein Land wie Ungarn (ähnlich wie weitere EU-Länder) Flüchtlinge, die hochmotiviert und vielfach gut ausgebildet sind, nicht aufnehmen will, obwohl es dadurch seine Entwicklung, die ins Stocken geraten ist, neu begründen könnte.
Ungarn schmort, es kippt, es braucht Erneuerung. Aber auch Frankreich, die Nation von 'Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit' zeigt sich geizig.
Menschen sind Potentiale. Sie misstrauisch anzugehen und abzulehnen, empfiehlt sich nicht. Menschen, die als Flüchtlinge anlanden, an unsere Pforten klopfen, sind wie der Mensch, der wie wir alle ist, gemäß dem Vermerk des Philosophen Arthur Schopenhauer (vergl. Manuskripte von 1826): 'Tat tvam asi', 'Das bist Du!', damit eine Feststellung aus den altindischen Upanishaden übernehmend. Der Ausruf ist aus tiefster Weisheit geboren. In den Upanishaden (entstanden zwischen 700 -200 v.Chr.) sah Schopenhauer eine Bestätigung seiner Lehre...dass sich in allen Erscheinungen dieser Welt ein metaphysischer Wille manifestiert und somit alles Leben letztendlich wesensgleich ist' (zitiert nach Wikipedia). Gleichzeitig verdienen Menschen auch Wertschätzung, weil sie individuell und vielfältig sind und nicht homogen. Migrationsbewegungen waren immer Teil ihrer Natur.
Das Faszinierende an den Weisheitslehren ist, dass sie von der Stoa der Alten bis zur Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 reichend, gemeinsam aus der Tiefe des unverdorbenen Menschenverstandes eine Welt des Friedens und der Menschlichkeit einfordern und begründen.
Flüchtlinge die fordern – eine alte Tradition
Wer Flüchtlinge quält, missachtet, brandmarkt, handelt letztlich gegen sich selbst. Er handelt nach dem Ungeist der Diffamierung des eigenen Fleisches, fällt einer Verwirrung anheim. Wer Flüchtlingen ein Bein stellt, sie schlecht behandelt, handelt gegen das Sein der eigenen Art und Natur, gegen die Menschheit im Einzelindividuum und gegen sich selbst.
Menschen flüchten aus Ländern, die von Mord, Totschlag und Verheerung, wie jetzt durch Assad, den IS und terroristische Marodeure unterschiedlicher Art 'heimgesucht werden'. IS hat es in der Geschichte schon immer gegeben, er ist kein Alleinstellungsmerkmal des Nahen Ostens. Die geschichtliche Durchgängigkeit der Verheerung ist kein Kulturgesetz. Sie entspringt der mörderischen Verirrung des zu Zeiten von allen guten Geistern verlassenen Menschengeschlechts, geht von Kriegsherren und einer Soldateska der Entwurzelten aus, die schon immer weite Landstriche zu verwüsten gewohnt war. Und Verheerungen haben stets Fluchtbewegungen ausgelöst.
Und ist es nicht doch so, dass womöglich der Mann das Problem ist, wie Udo Jürgens in einem Lied ansprach? Wer sind denn die Diktatoren, Despoten und Rechtspopulisten? In hohem Maße handelt es sich bei den Exzessen von Männern um Desperados, die mit einem Selbstbildproblem herumirren und sich einen gewaltsamen Männlichkeitsentwurf zugelegt haben, in höherer Bildung auf der Strecke geblieben sind bzw. sich verweigert haben - und nun als wandelnde Sprengkörper des Energieüberschusses Staaten unsicher machen. Kurz- und mittelfristig gesehen sind Frauen die sozialkompetentere und bildsamere Ausgabe des Homo sapiens sapiens.
Geschichte als Schlachtbank
Wer von Franken, Langobarden, Vandalen, Sachsen oder Angel-Sachsen abstammt, stammt auch mehr oder weniger von Horden der Verwüstung ab, die ab 400 n. Chr. auch schon wie IS gewütet haben. Wer`s bestreitet, sehe sich die Dokus an, die regelmäßig in den Programmen der Dokumentarabteilung laufen. Er darf getrost eines bislang Verkannten belehrt werden. Die Perversion im Krieg von Stämmen und ähnlichem ist, dass auch das, was als Sachgut weiter nutzbar wäre, ebenfalls in Trümmer gelegt und gebrandschatzt wird. Der mörderische Haß wird immer wieder zum Thema: 'Sächsischer Dauerzustand...Wut und Hass haben sich in Heidenau tief eingegraben' (FR 29.08.2015) Heidenau ist aber nicht ganz Sachsen; gleichwohl: die Historie vergeht nie rückstandslos, sie wirkt lange fort. Wir alle - zu betonen ist: wir alle - sind aus Fluchtbewegungen vor Mord und Verheerung geformt und verformt worden, waren mit ihnen konfrontiert, wie beispielsweise die Hugenotten, die unter anderem im Odenwald, Hanau oder Kassel eine neue Lebensgrundlage fanden. Hitlers Terror und Vernichtung war nichts anderes als IS in Potenz, begangen von menschlich Gefallenen, die ein Problem mit sich herumschleppten und aus ihrer Zuständlichkeit falsche Schlüsse zogen.
Wer von Franken abstammt (Opa stammte aus Franken, die Urgroßmutter von den Hugenotten ab), hat auch Vorfahren, die entweder selbst wie IS waren oder die IS als Einbruch in ihr Leben erfahren haben, wenn sie zu Opfern wurden. Anzunehmen ist eine Mischform über lange Zeiten. Wir sind Nachfahren von Opfern und Tätern. IS ist jetzt in hiesigen Landstrichen überwunden, soweit das einschätzbar ist. Im Nahen Osten aber wütet er gerade in voller Wut. IS hat weniger mit Religion - die mitverstrickt ist - zu tun als mit einer polymorph perversen Horde Mensch, die sich von allen guten Geistern abwendet.
Freud lieferte Erklärungen zu Überlegungen wie: 'Warum Krieg, warum Gewalt, warum Hass?' Es hat auch mit dem Misslingen der Zivilisation, ja der Kultur selbst zu tun, was wir einsehen sollten. Die Dunkelmänner der Menschenfeindschaft sind in hiesigen Breiten jetzt in der Minderheit. IS, grausame Potentaten oder anderes Gelichter, wie Milizionäre und Wegelagerer, die es in ähnlichen Ausführungen immer gab - später wurden sie sogar zu Rittern geschlagen!-, stehen im Kampf gegen das 'Tat tvam asi' der indischen Weisen -und wir im Gegenkampf. Das 'Tat tvam asi' ähnelt übrigens nach Sinn und Gehalt dem Nous der Griechen. Nous könnte mit 'Geistnatur' übersetzt werden. Warnung: wenn das 'Tat tvam asi' und das 'Nous' nicht die globale Oberhand gewinnen, wird es die Welt bald nicht mehr geben. Sie ist im Begriff sich auf verschiedenen Ebenen selbst zu zerstören, aber nicht nur mit IS, sondern auch z.B. mit toxischen Finanzprodukten.
In Europa ist der Wurm drin, es zerfällt
Europa ist in Gefahr. Wenn am Tunnel in Calais ein Flüchtling durch Stromschlag getötet wird, dann stirbt Europa in Scheibchenform. Dem kann begegnet werden, indem das Kern-Europa, nicht das einer Geldmacht, sondern das der menschenfreundlichen Überzeugung und Sorge, sich zusammentut und die Prinzipien der aufgeklärten Demokratie zu seinem Anliegen macht. Wer blockiert, benötigt Sanktion (wenn nichts anders hilft), Sanktionen müssen nicht quälen, aber Nachsicht ist unangebracht, sonst tanzt der ziellose Teil Europas dem zielgerichteten, dem zu recht ehrgeizigen Modell auf der Nase herum. Das Europa der menschenfreundlichen Zukunft – dafür steht es mehr als andere Weltgegenden und ist damit Vorbild - muss sich zu einem von Solidarität erfüllten Kerneuropa zusammenschließen und verbünden. Nach erfolgter Einsicht können die desorientierten und in die Nachdenk-Ecke verwiesenen Teile Europas sich wieder dem Kern hinzugesellen. Zuständige Instrumente sind hierzu Mittel und Diplomatie.
Scheiterndes Christentum
Traurig ist, dass das christliche Osteuropa mit der Treiber der augenblicklichen Verfallsform ist. Einzelne Staaten scheinen ein Problem mit der Modernisierung in der aufgeklärten Demokratie zu haben, mit ihrer Flüchtlingspolitik und der Abwendung von der individuellen Freiheit entfernen sie sich entschieden von Kerneuropa. Es schwingt der alte Impuls der vormundschaftlich-patriarchalischen Tradition mit, Menschen vorzuschreiben, wie sie leben, nach welcher Façon sie selig werden und wie sie aussehen sollen.
Die Despotie schreitet aus Zentralasien fort und will die Oberhand gewinnen. Rudi Dutschke forschte zur 'asiatischen Despotie'. Im Westen ist sie Vergangenheit, aber Teile unserer Vorfahren entstammen auch östlichen Weiten. Über diese nahm der Zug aus Afrika den Umweg. Humangenetische Forschungen besagen – eine Zumutung für die rechten Propheten der völkischen Lehre -, dass 90 Prozent der Mitteleuropäer aus Zentralasien und dem Nahen Osten stammen. Es gibt neben dem Erbe der Demokratie also auch das der Despotie, die aus Tradition stammt.
Bayern 'ein Land voller Schönheit', hält viel auf seine Originalität. Aber die ist zusammengesetzt. Das Volk der Bayern ist ein 'Volk von Ausländern', wie Heimatforscher wissen. Edmund Stoiber äußerte, an asylsuchende Ausländer gerichtet: '...also bitte geht nach Hause, es ist ein Schaden und eine Belastung für Bayern...'. Die Bayern sind aber gar kein Stamm, nicht mal eine Landsmannschaft pur. Der Heimatforscher Dr. Josef Habisreuthinger: 'Wenn man sich die historischen Quellen einmal anschaut, muss man feststellen, dass es den Bayer an sich gar nicht gibt'. 'Weil, die Bayern sind ja schon vom Ursprung her ein Mischvolk aus aller Herrgottsländern'. 'Das heutige Bayern wurde zuerst besiedelt von keltischen Boiern und Illyrern aus Albanien.' 'Mit den römischen Besatzungstruppen kamen dann vor allem Legionen aus Nordafrika und Vorderasien'. 'Zusammen mit den durchziehenden Stämmen der Osier, Vandalen und Ostgoten entsteht ein multikulturelles Völkergemisch, das im 6. Jht. erstmals als Bajuwaren bezeichnet wurde'. 'Im berühmten mittelalterlichen Annolied - einem Dokument von unschätzbarem Wert - werden besonders die armenischen Wurzeln der Bayern hervorgehoben'. (Monitor 18.02.1999)
Problemzone Osteuropa
Viktor Orbán, vom Typ Bitterling, handelt aus einer beklemmenden Defensivlage – das Land ist unentschieden und gespalten, hat die Modernisierung abgebrochen, wie auch Putins Rußland - zugunsten einer gefährlichen Form des Ethnozentrismus, der auf dem Weg in einen Ethno-Faschismus ist. Putin fraternisiert mit westlichen Rechtspopulisten und diese gern mit ihm. Ethno-Faschismus beginnt mit gefühlten Defiziten des Selbst und der eigenen Gruppe, mit Frustrationen fängt es an. Ethnisches Denken und Fühlen ist profilneurotisch. Orbàn will eine 'illiberale Demokratie' errichten, Kanzlerin Merkel begreift ihn hierin nicht. 'Autoritäre Regime wie Putins Rußland, Erdogans Türkei und China nennt Orbàn als Vorbild' (FR 06.09.2014)
Ungarn war um 1989 'Speerspitze' des osteuropäischen Fortschritts. Aus Budapest kamen Anrufe zur aktuellsten Datenverarbeitung. Ethnozentrismus ist die Blaupause für Faschismus und Nationalsozialismus. In der letzten Stufe geht es dann um Raub, Mord, Folter und Vernichtung durch Arbeit, d.h Ausbeutung. Antisemistismus und Rassismus sind nur Fake (vorgetäuscht). Wer zu solchen Konzepten und Einstellungsmustern greift, hat ein Problem des Selbst. Der Großverband wird zum Sammelbecken Frustrierter. Mit Ethnofaschismus wird die Idee der Menschheit in der Zusammengehörigkeit einer geschaffenen Gattung ausgelöscht. Dunkelland und Dunkelgestalten beginnen zu dominieren. Modernisierung ist gescheitert. Und dann? Nationalsozialisten fallen zuletzt übereinander her, weil die grenzenlose Vernichtung das eigentliche Ziel ist.
Fortsetzung folgt