Serie: 'Europa wird zerbrechen, wenn es nicht zusammensteht', Teil 2

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - 'An welcher Front das geschehen wird, wissen wir nicht', so schrieb Arno Widmann in der Frankfurter Rundschau (Leitartikel vom 28.08.2015).

 

Europa befindet sich im politischen Niedergang, seinen Kern hat es begonnen aufzugeben. Es gibt zu viele Baustellen des Unappetitlichen. Allein am Thema Legale Steuerhinterziehung - soeben wieder wieder ins Gespräch gekommen –, mit der sich europäische Staaten gegenseitig aufs Kreuz zu legen versuchen, zeigt sich der erbärmliche Zustand Europas. Man hat den eigenen Laden nicht im Griff. In Hessen gab es den Skandal mit den für verrückt erklärten Steuerbeamten, die nur ihren Prüfungsjob in Banken machen wollten und durch höhere Anweisung ausgebremst wurden. Wer steckte dahinter?

 

 

Steuerhinterziehung – lange gesellschaftlich anerkannt und guter Ton

 

Europa ist nicht nur in der 'Flüchtlingsfrage' zerstritten, es arbeitet auch sonst gegeneinander. Es soll Flüchtlinge in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterrichten, aber sich selbst auch an diese Prinzipien halten. Ausgerechnet EU-Kommissionspräsident Juncker, vielfach als Lichtgestalt überhöht, erweist sich als Mitwisser, wenn nicht Mitbetreiber der hässlichen Steueroptimierungspraxis, mit der sich europäische Staaten gegenseitig zu schaden suchen. Dabei schaden sie nur außerordentlich ihren Bevölkerungen, für die sie einstehen müssten, und betreiben transnationalen Konzernen das Hinterziehungsgeschäft. Junckers konservative Freunde haben ihn im Taxe-Sonderausschuss des europäischen Parlaments am 17.09.2015 wieder geschont, wie sie auch stets Orbàn nachsichtig behandelt haben. Und mit griechischen Oligarchen haben sie auch stets kooperiert, obwohl diese der größte Schaden für das Land sind.

 

Eine Lebensreplik besagt: kein rechtlich und fair gesonnener Deutscher kann sich zu den Konservativen zählen, es sei denn, er wäre von Sinnen und Verstand. Die Staaten der Steueroptimierung im Rahmen des neoliberal-sozialdemokratisch-konservativen Projekts sind vornehmlich: Irland mit Steuersatzdumping von 12,5 Prozent – im Vergleich Deutschland: 29,8 Prozent Unternehmenssteuern - und die Niederlande und Belgien mit den erbärmlichen Hilfskonstruktionen der Steueroptimierung im Umgang mit Amazon, Apple, Starbucks, Google etc. Juncker entblödete sich nicht, Sven Giegold, den kompetent kritischen Begleiter des zerstörerischen Finanzkapitalismus im Ausschuss anzublaffen, wie Zeitungen meldeten.

 

Auch Deutschland ist mit Steuerhinterziehungs- und Geldwäschepraxis dabei. In Deutschland ist es möglich, hohe Summen von Schwarzgeld weiß zu machen. Es wird nur mäßig nachgefragt, aus welchen Quellen ausländische Investitionen in Deutschland stammen. Wichtig ist nur, dass die Wirtschaft brummt, was sie aber auch nicht tut, wenigstens nicht zugunsten der ehrlich arbeitenden Bevölkerung, jedoch zum Vorteil der übermächtigen Exportwirtschaft, wodurch Arbeitslosigkeit in andere Länder exportiert wird.

 

 

Invektiven

 

Wie die Staaten, die in Europa nicht mitaufnehmen wollen, mit Flüchtlingen umgehen, wie sie sich jetzt verhalten, ist eine Katastrophe. Das Wort Katastrophe ist eigentlich abgegriffen, aber hier zuständig. Immerhin hat es eine kraftvolle zivilgesellschaftliche Regung aus dem Lager der aufgeklärten Demokratie gegeben, die gegengehalten hat.

 

Die Entwicklung im Zusammenhang mit Fluchtbewegungen und scheiternden Staaten, ja Weltgegenden, deckt sich mit der Erkenntnis, dass der Mensch dem Menschen immer wieder ein Fremder ist, obwohl vom gemeinsamen Ursprung her alles dagegen spricht. Es gehört zum Wesenszug der Hochzivilisierten, das 'Tat tvam asi' aufzukündigen, die eigene Art abzuschreiben und die einzelnen im Regen stehen zu lassen. Ausnahmen bestätigen die Regel, die Ausnahmen sind aber inzwischen keine 'Eintagsfliegen' mehr, der Entfremdung wird auch entgegengearbeitet. Dennoch: das Morgenmagazin meldete: 'Die Gemeinde Oberwil-Lieli [CH] weigert sich, Flüchtlinge aufzunehmen und zahlt deshalb lieber Strafe' (moma 21.09.2015). Der Ort hat eine hohe Millionärsdichte.

 

Warum bestellt der Papst die Ost-Fürsten nicht ein und liest ihnen ultimativ die Leviten? Warum nimmt er sich seine französischen Schäfchen nicht vor, die sich aus der Flüchtlingsaufnahme herausstehlen? Soeben hat er einen brutalen Indianermissionar heilig gesprochen. Warum wurde bisher kaum darüber berichtet, dass eine Dürre den syrischen Bürgerkrieg – mit der Folge der Flüchtlingsbewegung - mit ausgelöst hat, der also auch eine Folge der nördlichen Art zu wirtschaften und mit der Natur umzugehen ist, weil diese progressiv dynamisch das Klima verändert ('Dürre war Keimzelle der syrischen Revolte', FR 10.09.2015) Statt die Effizienzgewinne am Automobil für die Minderung des Schadstoffausstoßes und damit zugunsten des Weltklimas zu nutzen, werden die verbrauchsstarken Flotten noch mehr in die Höhe gepusht (`'Autobauer im PS-Rausch', FR 10.09.2015) Jetzt kam heraus, dass VW die Abgasmessungen manipuliert und gefälscht hat.

 

Je länger ein Zivilisationsabschnitt läuft, desto mehr wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Katastrophen, Barbareien und Exzesse wiederkehren. Menschen vergessen gern, vergessen auch schon Verstandenes wieder. Der Krisenmodus der letzten Jahre bestätigt das. Die Brände in Kalifornien könnten ein Menetekel darauf sein, was global bevorsteht, wozu nicht nur Dürren, sondern auch Sintfluten gehören. 'Kalifornien trocknet aus' (FR 11.09.2015) und zu Birma wird gemeldet: 'Der Monsun kommt später. Die Trockenzeiten dauern länger, und dann kommt viel zu viel Regen' (FR 10.09.2015) Alles bereits Bekannte, das die Spatzen von den Dächern pfeifen, wird wieder verdrängt. Daher: ohne wenigstens eine Barbarei, große Torheit oder Verfehlung seitens der Menschheit scheint es in einer Lebensspanne nicht zugehen zu können.

 

Die Schwäche des Verleugnens der eigenen Art ist ungebrochen. Ein Fall, im privaten Kreis kommuniziert, kann geschildert werden: Als ein junger Mann, der sich eine Eigentumswohnung gekauft hatte, durch einen schweren Autounfall querschnittsgelähmt wurde, beschwerten sich die Nachbarn, die auch Wohnungen erstanden hatten, darüber, dass sie nun in der Situation seien, 'seinen schrecklichen Anblick' ertragen zu müssen, von dem sie abgestoßen seien, wo sie sich doch ein unbeschwertes Leben in ihrer neuen Eigentumswohnung ausgemalt hätten.

 

Eigentumswohnungsbesitzer dieser Art wie auch der angehende Ethnofaschist Orbàn sind auch ein Beleg für das Scheitern des Christentums, das zur sinnlich entleerten Institution verkam. Einzelne und Staaten lösen die Verbindung zum Humangenom, das über lange Zeiten wenigstens das Kulturpotential beflügelt hat. Obwohl es geeignete Genschalter gibt, wird bei Gelegenheit alles widerrufen. Der Papst könnte bei Gefahr im Verzug umgehend ex Cathedra die Schäfchenstelle entziehen und abtrünnigen Schafen, die ihr Humangenom verleugnen, mit Konsequenzen wedeln. Die Zeit drängt und wird knapp.

 

Die nur rein wissenschaftlich ausgeführte Widerlegung des Faschismus bleibt unzureichend. Die Kreise, die ihn vertreten, sind verblendet und geistfeindlich. Widerlegung geht besser durch die in eine besondere Sprache überführten Gestimmtheit der Humangenetik, die auch als Empathie bezeichnet werden kann.

 

Dass Helldeutschland jetzt so handelt wie es tut, markiert eine Wende größeren Formats, es könnte ein Anstoß für eine Neuausrichtung der größeren Politik sein. Eine Wegmarke ist erreicht, kann ausgebaut werden. Die Deutschen haben ihre dunkle Geschichte vergleichsweise gut aufgearbeitet. Weil sie durch die Verursachung einer Weltkatastrophe gefehlt haben wie kein anderes Land und keine andere Kultur, haben sie durch ihre Aufarbeitung mehrheitlich verstanden und begriffen, worauf es ankommt. Die Einwanderung von Flüchtlingen wird sich künftig als Vorteil für Deutschland erweisen, sie erbringt ein Potential, während Staaten, die sich nicht oder kaum an der Willkommenskultur beteiligen, weiter zurückfallen werden. Besonders, wenn man bewusst empfängt und aufnimmt, ist das ein psychologischer Kredit. Die sprachliche Integration der Eingewanderten muss eine Unterweisung in demokratischer Rechtskultur und in die grundrechtlich verankerten Umgangsformen Europas einschließen. Es braucht aufwendige Sprachkurse, immer in Verbindung mit Erklärungen, welche demokratischen und diskriminierungsfreien Umgangsformen gelten.

 

Relativierend wäre hinzuzufügen, dass die Nachrichten über rechte Umtriebe und Untaten, die Ostdeutschland in besonderem Maße betreffen, explosionsartig zugenommen haben, wie die Archivlage erweist. Das deckt sich mit den NSU-Morden.

 

Würden 60 Millionen jeweils 50 Euro spenden (die anderen Europäer entsprechend) käme leicht ein hübsches Sümmchen zusammen, mit dem die Integration der ankommenden Flüchtlinge finanziert werden kann. Gesamtstaatliche Finanzierung ist aber Grundbedingung. Die engagierte Arbeit der freien Helferinnen und Helfer ist ein gutes Omen, das nicht zu erwarten war. Es gibt offenbar Reserven für Menschlichkeit. Auch könnten die Quandts und Klattens 500 Millionen locker machen, um den NeuankömmlingInnen, besonders den Kindern, ein Fahrrad zu spendieren.

 

Zuguterletzt sollte auch immer mal wieder unter die Leute gebracht werden, dass unsere Grundlagen und Errungenschaften historisch nicht allein unser Verdienst waren und sind, nicht eigentlich eine nordische Erfindung sind, sondern an fernen Gestaden zuerst auftraten. Der Süden ging dem Norden in jeder Hinsicht der höheren Kultur voraus, dort bildete sich unsere Lehrstube, die wir fortgeführt, erweitert und perfektioniert haben.

 

Woher die Grundlagen stammen? Es ist ein alter Hut: die Grundlagen unserer Kultur stammen aus dem Orient, dem Zweistromland und Ägypten, wurden im Mittelmeerraum, in Griechenland und Rom, gelegt und zwar wesentlich und unbestreitbar. Hitler faselte davon, dass in Germanien der Ursprung der Kultur läge, aber das war Quatsch. In Germanien war lange nicht viel los in Sachen höherer Kultur. Andererseits muss man Stämme, die Naturgottheiten anhängen und ihre Kulte pflegen, nicht schlechtreden. Zentralgott und Naturgötter können vielleicht miteinander. Die wichtigste Brücke aber war: erst als die maurische Kultur Südspaniens die Schriften des Aristoteles ins Arabische und dann ins Lateinische übersetzt hatte und diese Texte dem Abendland überbracht wurden, ging es richtig los mit Hochkultur in unseren Breiten. Es war Aristoteles, der den nordischen Geist schliff. Al Andalus war Brücke und mehr. Der Süden hat etwas gut, was wir ihm zurückgeben können. Was kann er für seine Diktatoren und Despoten? Im Istanbuler 'Museum für Geschichte der Wissenschaft und Technik im Islam' – akademisch verbunden mit Frankfurts Universität als Kooperationspartner -, gibt ausgiebig Kunde von kulturellen und technisch-wissenschaftlichen Leistungen, die unserer Entwicklung voraus waren.

 

Wenn Dunkeleuropa so weitermacht, wie es zur Zeit tut, könnte es sich selbst ausbremsen und zum Dunklen Kontinent werden.