Serie: FLÜCHTLINGSGESPRÄCHE, Teil 19

 

Hanswerner Kruse, Marion Klingelhöfer, Clas Röhl

 

Schlüchtern (Weltexpresso) - Heute stellt unser Autorenkollektiv Nooradin aus Afghanistan vor, der bereits als Flüchtling in den Iran kam, dann als „unbegleiteter Jugendlicher“ nach Deutschland floh, während die Restfamilie blieb.

 

Aufmerksam schaut Nooradin Fathoolahi (20) in die Runde und zieht seine Freundin Melody (18) und mit ihm im Bild, mit der er seit zwei Jahren zusammen ist, neben sich auf die Couch. Geboren wurde er in Afghanistan, doch als die Taliban seine Eltern und acht Geschwister bedrohen, flüchteten sie in den Iran. Seine Mutter, gesundheitlich angeschlagen, starb während der Flucht.

 

In Afghanistan angekommen, fand der Vater schwer Arbeit, die Kinder durften keine ordentliche Schule besuchen, an eine Ausbildung war nicht zu denken.

 

Mit knapp sechzehn Jahren entschloss ich mich, aus dem Land zu fliehen“, erzählt Nooradin. Das war im Jahre 2010. Ich hielt es nicht mehr aus, ohne Rechte aufzuwachsen, diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden. Es war schlimm für mich, meinen Vater und meine Brüder hart arbeiten zu sehen und doch nichts besitzen zu dürfen. Ein klares Ziel hatte ich nicht vor Augen. Ich bin einfach losgelaufen.“

 

Auf seinem Weg Richtung Türkei wurde auf ihn geschossen, doch er schaffte es, unbeschadet nach Izmir an der Westküste zu gelangen. In einem afghanischen Restaurant erhielt er den Rat, nach Griechenland zu flüchten. Dort wurde er sofort verhaftet. Als er einige Tage später frei kam, flüchtete er nach Athen weiter, fand einen Job und kaufte sich von dem verdienten Geld eine Fahrkarte, um in die Hafenstadt Patra zu gelangen. „Als ich die großen Schiffe sah und riesige LKWs, beladen mit Obst und Gemüse, an Bord fuhren, war mir klar, was ich tun musste.“

 

Ein lebensgefährlicher Entschluss reifte in ihm. Im Schutze der Dunkelheit kroch er unter einen LKW und versteckte sich darin. “Ich hatte furchtbare Angst, entdeckt zu werden, denn die Polizei leuchtet regelmäßig mit Taschenlampen unter die Laster und sucht nach Flüchtlingen. Als der Wagen endlich losfuhr, hatte ich Angst, zu fallen und überfahren zu werden.“ Doch Nooradin schaffte es. Schmunzelnd berichtet er von dem erstaunten Gesicht des LKW-Fahrers, als er sich bemerkbar machte, um in Italien auszusteigen. (Nooradins Erfahrungen erinnern an die vielen Bilder aus Calais in diesen Tagen, wo Tausende von Flüchtlingen auf die gleiche Art und Weise versuchen, nach England zu gelangen).

 

Von Rom über Mailand bis nach Frankreich schlief er unter Brücken, auf der Straße, lief oder fuhr mit dem Bus, bis er im Anfang 2011 in Frankfurt ankam. Da er unter 18 Jahre alt war, kam er über das Jugendamt nach Bad Soden ins CJD Schloss Hausen (siehe Info unten). „Es hat mir dort gleich gefallen, und erst recht, als ich dort meine Freundin kennen lernte“, strahlt Nooradin und blickt fröhlich auf Melody. Meine Betreuer auf Schloss Hausen waren sehr nett. Sie bemühten sich ständig um mich, haben mir in allen Bereichen geholfen, besonders wenn es um behördliche Dinge ging.“

 

Nooradin schweigt einen Moment, erinnert sich. „Als ich ankam, war ich von den vielen Afghanen in meinem Alter überrascht, die dort schon wohnten. So war es mir möglich, gleich mit ihnen in Kontakt zu treten und mich mit ihnen zu unterhalten. Auch mit meiner Freundin, die aus dem Iran kommt, habe ich mich gleich verständigen können. Die meisten Menschen wissen nicht, dass die persische und afghanische Sprache ähnlich sind. Bis heute haben sich dort Freundschaften entwickelt“, strahlt er.

 

Nach seinem bestandenen Hauptschulabschluss meldete er sich berufsvorbereitend im Bereich „Holztechnik“ an. „Es macht mir Freude, mit Holz zu arbeiten, das habe ich im Iran mit meinem Vater schon gemacht. Ich möchte gerne als Schreiner arbeiten, habe sogar schon eine Lehrstelle gefunden“, freut sich Nooradin. Und eine tägliche Mitfahrgelegenheit von Schlüchtern nach Wallroth bekommt er auch. In Deutschland fühlt er sich wohl und hofft auf ein Bleiberecht. „Ich wohne in der Krämerstraße in Schlüchtern und habe zwei sehr nette Vermieter“, verrät er uns glücklich. Seinen größter Wunsch offenbart er am Ende dieses Interviews: „Ich hoffe, dass mein Heimatland irgendwann wieder lebenswert wird, damit Eltern und Kinder wieder in Ruhe zusammen leben können. Damit sie sich nicht trennen müssen, um das zu haben, was selbstverständlich sein sollte.

 

 

Foto: Hanswerner Kruse

 

 

Info:

 

Der CJD als Teil der Jugendhilfe für nicht volljährige Flüchtlinge

 

Schon seit längerer Zeit kommen sehr viele unbegleitete Jugendliche aus Afghanistan, Pakistan und dem Iran, selten auch aus Afrika, nach Deutschland. Da für jugendliche Flüchtlinge besondere Regeln und Schutzmaßnahmen gelten, ist für sie die Jugendhilfe zuständig. Das hat auch die klassische Heimerziehung in Deutschland stark verändert, weil viele Einrichtungen der Jugendhilfe jetzt diese Kids betreuen.

 

Auch der CJD, bei dem Nooradin untergebracht war, hat sich dieser Aufgabe gestellt:

Das Christliche Jugenddorfwerk Deutschlands (CJD) ist ein Bildungs- und Sozialunternehmen, das seine Arbeit auf Basis des christlichen Menschenbildes gestaltet. Der seit Gründung des Werkes 1947 geprägte Leitgedanke „Keiner darf verloren gehen!“ bedeutet heute für das CJD, dass jedem Menschen Teilhabe am Leben und an der Gesellschaft zusteht. Die Stärken des CJD sind dabei bedürfnisorientierte, vernetzte Angebote für Menschen in allen Lebensphasen, die von der Vision einer inklusiven Gesellschaft getragen sind.

 

Das CJD  bietet jährlich 155.000 jungen und erwachsenen Menschen Orientierung und Zukunftschancen. Sie werden von 9.500 hauptamtlichen und vielen ehrenamtlichen Mitarbeitenden an über 150 Standorten gefördert, begleitet und ausgebildet. Das CJD Schloss Hausen in Bad Soden-Salmünster ist in verschiedenen Bereichen der Teil- und Vollstationären Jugendhilfe tätig. Heute liegt der Schwerpunkt seiner pädagogischen Arbeit in der Betreuung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern, die ohne Sorgeberechtigte nach Deutschland einreisen und aus verschiedenen Gründen einer stationären Betreuung bedürfen. Das Angebot schließt unter anderem einen Hort und ein Betreutes Wohnen in Schlüchtern ein.