Serie: Der „Rosengarten“ in Schlüchtern, Teil 3

 

Hanswerner Kruse

 

Schlüchtern (Weltexpresso) - Wenn man in der Schlüchterner Gartenstraße den Hof der Tagesstätte des „Rosengartens“ betritt, ist die Normalität überraschend - wer von den Menschen hier ist Betreuer, wer Klient? Manche spielen Tischtennis, andere rauchen und blinzeln entspannt in die Sonne oder diskutieren miteinander. Einige Leute kommen vom morgendlichen Singen, dann treffen sich alle zum Morgenkreis und besprechen die heute anstehenden Aufgaben sowie aktuelle Themen.

 

 

Etwas abseits erzählt uns die Mittfünfzigerin Sabine (alle Namen geändert) ihre Geschichte. Sie hatte einen guten Job als kaufmännische Angestellte, aber es kriselte in der Ehe, sie trennte sich von ihrem Mann. „Das war zwar wie eine Befreiung“, berichtet sie, „aber plötzlich habe ich mich verfolgt gefühlt, machte Fehler bei der Arbeit...“ Es hat einige Zeit gedauert, bis sie und ihre Umwelt merkten, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Sie ging in eine psychosomatische Klinik, nahm Medikamente, aber nach einem halben Jahr brach die Psychose erneut aus: „Ich sah überall den Teufel, der mich verfolgte.“ Sie war noch zweimal in der psychiatrischen Klinik in Schlüchtern und wurde medikamentös gut „eingestellt“, doch sie blieb wenig belastbar und bekommt seit zehn Jahren Rente. „Aber zuhause ist mir die Decke auf den Kopf gefallen, so alleine hatte ich große Ängste“, erinnert sie sich.

 

Seitdem besucht sie die Tagesstätte, die ihr einen geregelten Tagesablauf, soziale Kontakte und Verantwortung ermöglicht. Sie lebt und arbeitet nun in einer Nische, in der sie nicht die volle Härte des Erwerbslebens trifft. Gerne erledigt sie einfache, täglich anfallende Arbeiten in der Tagesstätte als 1-Euro-Job. Der Wäschedienst, das Putzen außerhalb oder gar die Mitarbeit im „Café Ludovika“ werden besser bezahlt. Dieser Hinzuverdienst zur Rente ermöglicht ihr bis heute ihren gewohnten Standard (Auto, eigene Wohnung). Sabine kann selbst entscheiden, welche Herausforderungen sie annimmt, sie ist stellvertretende Gruppensprecherin. Alle sechs Wochen hat sie einen Termin in der psychiatrischen Klinik, sie ist seit Jahren stabil und fühlt sich hier nicht überfordert. „Ich mag alle anderen und bin froh, dass so viel angeboten wird.“ Langsam wird Sabine unruhig, weil sie beim Essenmachen helfen will: „Hier ist das genau richtig für mich!“, sagt sie zum Ende des Gesprächs, „daheim würde ich verrückt (!) werden.“

 

Andrea und Susanne helfen bei der Vorbereitung der Soße für die Tortellini, die es heute gibt. Während sie Zwiebeln oder Paprika hacken, erzählen sie von „ihrem Rosengarten“, der Tagesstätte. Andrea ist Ende vierzig, und durch die Folge ihrer Angststörungen bewegungsbehindert. Die Tagesstätte hat sie vom ersten Tag an miterlebt: „Ich weiß noch, wie aufgeregt die Betreuer damals waren“, erzählt sie lachend. „Für mich mit meinen vielen Ängsten und Einschränkungen ist das hier ideal“, fährt sie fort, „die anderen helfen mir alle irgendwohin zu kommen und seit zwanzig Jahren war ich nicht mehr in der Klinik.“ Auch ihr ist der geregelte Tagesablauf wichtig, einmal in der Woche geht sie in das „Atelier 7“ zur Gestaltung mit künstlerischen Mitteln. Mit zwei anderen Frauen lebt sie ganz in der Nähe in einer betreuten WG. „Natürlich gibt es hier auch Konflikte“, räumt sie ein, „beispielsweise wenn ich unter Druck komme, doch letztlich muss hier jeder ja nur das machen, was er auch schafft.“

 

Susanne ist Anfang dreißig, hat seit ihrem 14. Lebensjahr eine Borderline-Störung „mit allen Höhen und Tiefen“, wie sie sagt. Seit vier Jahren ist sie hier und empfindet sich nicht „auf dem Abstellgleis“. Auch sie ist wenig belastbar und findet es gut mit Leuten zusammen zu sein, die das verstehen: „Früher habe ich mich mit meinen Ängsten sehr allein gefühlt. Anfangs war ich hier sehr ungeduldig“, meint sie, „aber ich lerne durchzuhalten und mich nicht zu verkriechen oder den Kontakt abzubrechen.“ Susanne ist noch jung und möchte gerne irgendwann was anderes machen, „vielleicht mit Tieren.“ Gelegentlich hat sie schon im „Café Ludovica“ gearbeitet und ist stolz, weil sie dort ihre Therapeuten bedienen konnte.

 

Im Café arbeitet auch die bald fünfzigjährige Carola von Anfang an mit. „Ich brauche Kontakte nach außen“, meint sie, „sonst wird es mir hier zu eng.“ Sie hatte Probleme mit Alkohol und eine Borderline-Störung, mit 35 Jahren ging bei ihr „alles in die Brüche.“ 2001 war sie in der Psychiatrie, das anschließende Betreute Wohnen gab ihr nicht genug Stabilität, widerwillig kam sie vor zehn Jahren in die Tagesstätte. „Nach einiger Zeit hatte ich das Gefühl, hey, die Betreuer sind ja Menschen, die erzählen von sich, haben Gefühle, lassen sich auf die Begegnung mit mir ein. Das sind ja nicht nur Weiße Kittel, die was von mir wissen wollen.“ Carola findet, sie sei hier wesentlich stabiler geworden, jedoch würde sie gerne irgendwo außerhalb der Einrichtung arbeiten. Deshalb plant sie derzeit mit ihrer Betreuerin Berufspraktika.

 

FAZIT:

Die Atmosphäre in der Tagesstätte vermittelt Gemütlichkeit und Entspanntheit, aber die eigene Auseinandersetzung mit der psychischen Krankheit und deren Folgen stellt für die Betroffenen eine Herausforderung dar, der sie sich täglich neu stellen müssen. Ängste ertragen lernen, extreme Stimmungsschwankungen ausgleichen, Depressionen überstehen und das Aushalten von Enttäuschungen und geplatzten Lebensträumen sind Themen, an denen unsere Klienten über lange Zeiträume arbeiten. Die Aufgehobenheit in der Gruppe und die Kontakte untereinander helfen, auch Krisenzeiten zu überstehen.“

Eckhard Siebers, Leiter der Tagesstätte

 

Foto: Gespräche ergeben sich auch beim Miteinanderspielen

 

 

Info I

Kontakt und Information

Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle, Dreibrüderstraße 12, 36381 Schlüchtern

Tel. 06661 - 7392010, Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

www.psz-rosengarten.net

 

Info II

HINTERGRUND TITEL UND BENENNUNG

Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen“ - viele Redner sprachen dieses Buch von Hannah Green (1964) an, das der Einrichtung Namen und Zielsetzung gab. Die Therapeutin sagt darin ihrer Patientin: ‚Hör mal, ich hab’ dir keinen Rosengarten versprochen. Ich hab’ dir nie vollkommene Gerechtigkeit versprochen. Ich helfe dir, damit du selber frei wirst, für alle diese Dinge zu kämpfen. Die einzige Wirklichkeit, die ich anzubieten habe, ist eine Herausforderung...“

 

Info III

HINTERGRUND Psychiatriereform

Als „menschenunwürdig“ beschrieb 1975 eine Expertenkommission in ihrer „Psychiatrie-Enquete“ die „Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik“. Doch es dauerte noch viele Jahre, bis die Empfehlungen fast überall verwirklicht wurden und die zuständigen Politiker begriffen, dass die Reformen ermöglichen, Geld zu sparen:

Die psychiatrischen Großeinrichtungen wurden verkleinert, die Unterbringung der nun gemeindenah stationär versorgten Patienten erheblich verkürzt, Therapieangebote beträchtlich erweitert. Psychisch kranke Menschen sind seitdem körperlich Erkrankten gleichgestellt. Kliniken für Psychiatrie sind nun oft - wie in Fulda, Hanau oder Schlüchtern - den allgemeinen Krankenhäusern angegliedert.

 

Beratungsdienste, tagesstrukturierende Einrichtungen und betreute Wohnmöglichkeiten, wie sie der „Rosengarten“ anbietet, werden im Sinne einer komplementären ambulanten Betreuung auf sozialgesetzlicher Grundlage gefördert.