Serie: Der „Rosengarten“ in Schlüchtern, Teil 2

 

Hanswerner Kruse

 

Schlüchtern (Weltexpresso) - Fast den ganzen Tag lang regnete es in Strömen, als das Psychosoziale Zentrum (PSZ) „Rosengarten“ die Gründung des Trägervereins vor 25 Jahren feierte. Doch die zahlreichen Geburtstagsgäste ließen sich dadurch nicht die Laune vermiesen.

 

Der Gemeindesaal der evangelischen Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt. Mehr als einhundert Besucher kamen, um den bekannten Wiener Psychiater, Psychotherapeuten und Neurowissenschaftler Dr. Raphael M. Bonelli zu erleben. Der schaukelte noch sein drei Monate altes Baby im Saal, während die Besucher kleine Leckereien aßen, mit alkoholfreiem Sekt anstießen und miteinander schwatzten.

 

Vor dem Festvortrag präsentierte eine Spielgruppe des „Rosengartens“ mit selbst gestalteten Masken einen Reigen der Temperamente, den ein Pianist mit musikalischen Improvisationen begleitete: Fröhliches Geklimper bei der Sanguinikerin, düstere Klänge beim Melancholiker, dramatische Anschläge beim Choleriker, belanglose Töne beim Phlegmatiker. Damit führte das Maskenspiel sinnlich in die erste Behauptung Bonellis ein, die menschlichen Temperamente seien zwar angeboren, aber man könne ihren unerwünschten Aspekten entgegenwirken: Auch ein Choleriker könne lernen, sanftmütiger zu handeln.

 

Bonelli vertritt die Idee von der Willensfreiheit des Menschen, die jedem ermögliche, sich jenseits genetischer Anlagen sowie kultureller und sozialer Einflüsse durch „Selbstprägung“ zu verändern. „Selbst schuld!“, heißt das Erfolgsbuch des Autors, dessen Titel eine therapeutische Provokation ist. Denn allzu viele Helfer ließen ihre Klienten mit „Verbitterungsstörungen“ in der Opferfalle stecken, statt ihnen zu helfen, sich durch Selbsterkenntnis daraus zu befreien. Volle zwei Stunden lang begeisterte Bonelli temperamentvoll sein Publikum. Wie ein Schauspieler zelebrierte er genüsslich seine zahlreichen Fallbeispiele in unterschiedlichen Rollen - die prolligeren Protagonisten sogar im deftigen Wiener Schmäh.

 

Richtig gefeiert wurde anschließend im Festzelt hinter dem neuen Domizil des „Rosengartens“, dem ehemaligen Amtsgericht. Zahlreiche Vertreter politischer und sozialer Einrichtungen, etwa vom Main-Kinzig-Kreis oder dem Landeswohlfahrtsverband Hessen, sprachen Grußworte. Wie die Chefärztin der Schlüchterner Psychiatrie, Dr. Susanne Markwort, lobten sie die verlässliche professionelle Zusammenarbeit mit dem SPZ. Markwort brachte 34 rote Rosen mit, „für jeden Mitarbeiter eine...“

 

Die Mitgründer des Vereins und langjährigen Geschäftsführer Ilse Krabbes und Luc Laignel erzählten von den rauen Gründerzeiten. Schlüchterns Bürgermeister Falko Fritzsch (SPD) entgegnete fröhlich dem auf das Zeltdach trommelnden Regen: „Ich bin nicht der Schirmherr.“ Dann sprach er die damalige Skepsis vieler Politiker gegenüber dem neuen Projekt an. Einerseits sei die Weiterfinanzierung des „Rosengartens“ als Problem empfunden worden. Vor allem aber sei es wohl ein Irrtum gewesen, dass Familien in der Region selber die psychischen Probleme ihrer Mitglieder lösen könnten.

 

Nach den Reden hörte der Dauerregen plötzlich auf und das Kuchenbuffet wurde im Hof eröffnet. Während die Flammkuchen-Bäcker und Metzger Ludwig ihre Öfen anwarfen, groovten die „Gibsies“ mit ihren eigen-artigen Interpretationen zeitgenössischen Liedguts. Da zuckte bei manchen Besuchern schon das Tanzbein.

 

Fotos: Das zweite Foto zeigt Bonelli mit seinem Sohn auf dem Fest, (c) Hanswerner Kruse

 

Info I

Kontakt und Information

Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle, Dreibrüderstraße 12, 36381 Schlüchtern

Tel. 06661 - 7392010, Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

www.psz-rosengarten.net

 

Info II

HINTERGRUND TITEL UND BENENNUNG

Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen“ - viele Redner sprachen dieses Buch von Hannah Green (1964) an, das der Einrichtung Namen und Zielsetzung gab. Die Therapeutin sagt darin ihrer Patientin: ‚Hör mal, ich hab’ dir keinen Rosengarten versprochen. Ich hab’ dir nie vollkommene Gerechtigkeit versprochen. Ich helfe dir, damit du selber frei wirst, für alle diese Dinge zu kämpfen. Die einzige Wirklichkeit, die ich anzubieten habe, ist eine Herausforderung...“

 

Info III

HINTERGRUND Psychiatriereform

Als „menschenunwürdig“ beschrieb 1975 eine Expertenkommission in ihrer „Psychiatrie-Enquete“ die „Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik“. Doch es dauerte noch viele Jahre, bis die Empfehlungen fast überall verwirklicht wurden und die zuständigen Politiker begriffen, dass die Reformen ermöglichen, Geld zu sparen:

Die psychiatrischen Großeinrichtungen wurden verkleinert, die Unterbringung der nun gemeindenah stationär versorgten Patienten erheblich verkürzt, Therapieangebote beträchtlich erweitert. Psychisch kranke Menschen sind seitdem körperlich Erkrankten gleichgestellt. Kliniken für Psychiatrie sind nun oft - wie in Fulda, Hanau oder Schlüchtern - den allgemeinen Krankenhäusern angegliedert.

 

Beratungsdienste, tagesstrukturierende Einrichtungen und betreute Wohnmöglichkeiten, wie sie der „Rosengarten“ anbietet, werden im Sinne einer komplementären ambulanten Betreuung auf sozialgesetzlicher Grundlage gefördert.