Die zweitgrößte Atommacht der Welt wird Kriegspartner von Teheran, Teil 1

 

Matthias Küntzel

 

Hamburg (Weltexpresso) - „Gestern schlug Rußland eine neue Seite der Weltgeschichte auf“ – begeisterte sich am 1. Oktober 2015 die Hisbollah-nahe Zeitung Al-Akhbar; die „Frankfurter Allgemeine“ sprach von einem „Wendepunkt“.[1]

 

In der Tat markiert der russische Kriegseinsatz in Syrien eine Zäsur. Erneut machte sich Wladimir Putin die „Selbstentmachtung“ (J. Joffe) der USA zunutze, um binnen weniger Tage Pflöcke einzuschlagen, die die Welt verändern.

 

In der ersten Septemberhälfte 2015 errichtete Rußland im syrischen Jableh, nahe der Hafenstadt Latakia, eine Operationsbasis für russische Luftangriffe. In 25 großen Antonow-Flugzeugen wurden 250 Wohncontainer und 2.000 Marineinfanteristen nach Syrien geschafft, sowie mehr als 50 Kampfflugzeuge und „neben modernen Schützenpanzerwagen, Militärlastwagen und Granatwerfern auch Fernmelde- und Lasertechnik.“[2] Die Details dieser Aufrüstung deuten darauf hin, dass ihr offizieller Grund – Kampf gegen den Islamischen Staat – ein Vorwand ist. So wurden russische Flugzeuge vom Typ Su-30M Flankers nach Syrien geschafft, die allein für Luftkämpfe verwendet werden. Da die Anti-Assad-Gruppen keine Flugzeuge haben, obliegt ihnen die Aufgabe, andere Mächte abzuschrecken, um die Einrichtung von Flugverbotszonen zur Eindämmung des Assad-Terrors zu vereiteln.[3]

 

Am 27. September gab die Regierung in Bagdad bekannt, dass Rußland mit Iran, Irak und Syrien eine militärische Kooperation vereinbart und in Bagdad ein Zentrum gegründet habe, um Kampfeinsätzen abzustimmen und Geheimdiensterkenntnisse auszutauschen. Der Westen wurde von dieser Koalitionsbildung kalt erwischt.

 

Am 30. September flog Rußland erstmals Luftangriffe, allerdings nicht, wie von Moskau behauptet, gegen den Islamischen Staat. Die Angriffe wurden „in Zusammenarbeit mit dem syrischen Militär in Syrien ausgewählt“, so ein Sprecher Putins [4] und richteten sich gegen andere Gruppen, die Assad bekämpfen. Erneut wurde der Westen überrumpelt: Eine knappe Stunde vor Beginn dieser Luftschläge verlas ein russischer General dem amerikanischen Militärattaché in Bagdad eine Botschaft, die die Luftschläge ankündigte und die USA aufforderte, syrischen Luftraum zu meiden.[5]

 

Alles weist darauf hin, dass Moskau die gemäßigte Opposition gegen Assad militärisch ausschalten will, „um den Westen am Ende vor die Wahl zu stellen, sich zwischen dem IS und dem Assad-Regime entscheiden zu müssen.“[6] Der momentane Nutznießer dieser Kampfeinsätze ist somit Syriens Diktator Baschar al-Assad, der in seinem Land aber kaum noch was zu sagen hat. Der strategische Gewinner der neuen russischen Politik aber heißt Iran.

 

 

Die russisch-iranische Achse

 

Syrien ist für den Iran ein zentrales Kettenglied der antisemitischen „Achse des Widerstands“, die auf Israels Beseitigung zielt. So ist Teheran auf ein pro-iranisches Regime in Damaskus schon deshalb angewiesen, um die Verbindung zur Hizbollah im Libanon zu halten. Ende 2012 begann die Intervention der Mullahs mit dem Ziel, den syrischen Diktator und damit die schiitische Gruppe der Alaviten an der Macht zu halten.

 

Mittlerweile sind in Syrien 7.000 iranische Revolutionsgardisten engagiert. Daneben hat der Iran für Syrien auch irakische, jemenitische und afghanische Schiiten rekrutiert; zuweilen unter Einsatz von Zwang. So wurden Söhne von afghanischen Armutsflüchtlingen, die im Iran gestrandet waren, gegen ihren Willen nach Syrien geschickt.[7] Recherchen der Universität in Maryland zufolge, trafen allein diesen Sommer 5.000 nicht-iranische Schiiten in Syrien ein; die Gesamtzahl der nach Syrien eingesickerten nicht-iranischen Schiiten wird auf 20.000 geschätzt.[8]

 

Zusätzlich befinden sind auch die Schiiten Syriens im Kampf. Sie werden von iranischen Militärs befehligt und stellen nach Angaben des Wall Street Journal mittlerweile 150.000 bis 190.000 Mann. Zahlenmäßig dürften sie damit stärker als die offiziellen syrischen Streitkräfte sein, denen es aufgrund massenhafter Desertationen an Nachwuchs fehlt.[9]

 

Ohne Teherans Beistand hätte Assad vor Jahren bereits abtreten müssen. Deshalb treten die Revolutionswächter in Assads Einflußbereich wie Besatzer auf. „Das syrische Regime ist kaum mehr als eine Marionette in der Hand der Revolutionswächter“, resümiert Shiar Youssef, ein Mitarbeiter der Gruppe Naame Shaam, die die iranische Rolle in Syrien detailliert untersucht.[10]

 

Kein Wunder also, dass Russland seine Luftangriffe in Absprache mit den iranischen Revolutionsgarden, den eigentlichen Machthabern in Damaskus, vorbereitete. Im Sommer 2015 gaben sich in Moskau iranische Diplomaten, Generäle und Strategieplaner die Klinke in die Hand. Im Juli traf hier Qassem Soleimani, der legendäre Chef der iranischen Qods-Brigaden mit Russlands Verteidigungsminister Sergei Shoygu zusammen. Im August folgte der Besuch des iranischen Außenministers Zarif in Moskau.[11]

 

 

ANMERKUNGEN

 

[1] Chairman Of The Hizbullah-Affiliated ,Al-Akhbar‘ Daily On Russian Air Campaign In Syria: ,Yesterday Russia Turned A New Page In The History Of The World“, MEMRI, Special Dispatch No. 6171, October 1, 2015; Rainer Hermann, Kampf um Syrien, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 2. Oktober 2015.

 

[2] Moskauer Muskelspiele, in: FAZ, 14. September 2015.

 

[3] Helene Cooper and Michael R. Gordon, Russia Buildup Seen as Fanning Flames in Syria, in: New York Times (NYT), 29. September 2015.

 

[4] Laila Bassam, Iran unterstützt Assad-Regime mit Bodentruppen, in: Welt, 1. Oktober 2015.

 

[5] Russland fliegt Angriffe in Syrien, in: FAZ, 1. Oktober 2015.

 

[6] Michaela Wiegel und Majid Sattar, Eisige Stunden im Elysée-Palast, in: FAZ, 5. Oktober 2015.

 

[7]Afghan MPs Slam Iran For ,Forcibly Sending Afghan Refugees’ To Fight In Syria Alongside Bashar Al-Assad’s Troops; Afghan Senate Orders Probe, in: MEMRI, Special Dispatch No. 5748, 19. Mai 2014; Rainer Hermann, “Iran bildet Iraker für Einsätze in Syrien aus”, in: FAZ, 2. August 2013.

 

[8] Sam Dagher und Asa Fitch, Iran Expands Role in Syria in Conjunction With Russia’s Airstrikes, in: Wall Street Journal (WSJ), 2. Oktober 2015.

 

[9] Ebd.

 

[10] http://www.naameshaam.org/naame-shaam-releases-report-on-role-of-iranian-regime-in-syria-war/

 

[11] Jay Solomon and Sam Dagher, Russia, Iran Seen Coordinating on Defense of Assad Regime in Syria, in: WSJ, 21. September 2015.