Ein Attac-Abend mit Ali Fathollah-Nejad in Rüsselsheim
Thomas Adamczak
Rüsselsheim /Weltexpresso) - Jubel im Iran am 14. Juli 2015, nachdem in Wien das Atomabkommen zwischen dem Iran und der P5+1-Gruppe (China, USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und Deutschland) nach monatelanger Verhandlung (21 Monate) unterzeichnet worden war.
Jubelstürme in Teheran, weil sich die Bevölkerung von diesem Abkommen eine Verbesserung der Lebenssituation im Iran erhofft. Eher verhaltene Reaktionen in der EU, Streit zwischen Demokraten und Republikanern in den USA, scharfe Kritik aus Israel.
Die Regionalgruppe von Attac hatte zum Thema für den 5. Oktober im Zusammenwirken mit den Naturfreunden und dem DGB Rüsselsheim zu einer Informationsveranstaltung mit anschließender Diskussion in die Rüsselsheimer Stadthalle geladen.
Referent des Abends: Dr. Ali Fathollah-Nejad, Politologe bei der DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.) mit dem Schwerpunkt Mittlerer Osten und Nordafrika.
Der Referent ging in seinem Vortrag zunächst auf die Genese des Atomstreits ein, trug dann Erklärungen für die Einigung vor und erörterte abschließend die sich aus dem Abkommen ergebenden Chancen und Probleme.
Der Beginn des Konflikts datiert auf das Jahr 2002. Iran wurde vorgeworfen, nach der Atombombe zu streben. Mit dem Mittel der „Zwangsdiplomatie“ wurde versucht, dem Iran in seiner Atompolitik Konzessionen abzuringen, und zwar durch Wirtschafts- und Finanzsanktionen. Leidtragende der Sanktionen war hauptsächlich die breite Bevölkerung. 40-50 Prozent leben nach Einschätzung des Referenten unterhalb der Armutsgrenze. Unter anderem deshalb wohl die große Begeisterung der iranischen Bevölkerung über das Abkommen.
Bedingt durch die Ereignisse im Zusammenhang mit dem sogenannten „Arabischen Frühling“ und einer Verlagerung der amerikanischen Außenpolitik zum ostasiatischen Raum kam es nach einer zwischenzeitlichen Verschärfung der Krise Anfang der 2010er Jahre zu Bemühungen, einen Verständigungsprozess zwischen Iran und USA/EU in Gang zu setzen.
Für den Iran ging es darum, eine Aufhebung der Sanktionen zu erreichen, für die Gegenseite darum, diesen bedrohlichen Dauerkonflikt endgültig zu bereinigen. Der Iran machte Zugeständnisse in seiner Atompolitik: Reduzierung der Forschungsvorhaben, Rückbau von Anlagen, Reduzierung von Zentrifugen zur Urananreicherung und weitgehender Zugang für Inspektoren. Doch erst wenn Ende 2015 von der Wiener Atomenergiebehörde bestätigt wird, dass der Iran seine vertraglichen Zusagen eingehalten hat, sollen die Sanktionen gelockert werden. Die Drohung bleibt bestehen, dass die Sanktionen sofort wieder eingeführt werden, falls der Iran sich nicht an Verabredungen halte.
Abschließend ging Fathollah-Nejad auf die Interessenskonstellation der betroffenen Mächte ein. Der Iran erhofft sich wirtschaftliche Vorteile und eine Verbesserung der Lage Bevölkerung. Das Land leidet unter hoher Arbeitslosigkeit, hat zudem gewaltige Drogen- und Umweltprobleme. Der Referent ist angesichts des Machtgefälles in der iranischen Gesellschaft skeptisch, ob es zu einer Verbesserung der Lage der gesamten Bevölkerung kommen wird, zumal die Gewerkschaften vom Regime massiv unterdrückt werden.
Allgemein bekannt ist, dass der Iran die weltweit zweitgrößten Erdgasvorräte und die viertgrößten Erdölvorkommen sein eigen nennt. Nach Einschätzung der Fachzeitschrift MEED könnte der Iran bis zum Jahre 2020 mit ca. dreihundert Milliarden Direktinvestitionen rechnen, bei Aufhebung der Sanktionen. Das Bruttoinlandsprodukt könnte sich sogar, wird prognostiziert, bis zum Jahre 2030 verdoppeln. Zudem hofft der Iran, die nicht unerheblichen ausländischen Guthaben endlich wiederzubekommen. Unschwer kann man sich vorstellen, dass es ein erhebliches Interesse der Wirtschaft gibt, diesen iranischen Markt zu erschließen.
In der anschließenden Diskussion verdeutlichte der Referent seine Kritik am iranischen System, aber auch an den westlichen Ländern. Der Iran werde von einer islamistischen Elite beherrscht. Eine Partizipation der Bevölkerung gebe es nur ungenügend. Der Iran habe ein zutiefst undemokratisches Regime. Nach einem Bericht von Amnesty International sind im ersten halben Jahr 2015 nahezu siebenhundert Todesurteile vollstreckt worden. Der Westen wisse das alles, das hindere ihn aber nicht daran, im Iran Geschäfte machen zu wollen. Der Referent, der seit zehn Jahren in der Friedensbewegung aktiv ist, erwartet vom Westen und besonders von Deutschland, dass die „Schattenseiten“ der iranischen Republik nicht tabuisiert werden.
Nach Einschätzung von Fathollah-Nejadwar der „völkerrechtswidrige Angriffskrieg“ der USA gegen den Irak die „Ursünde“, die einen Großteil der Konflikte im vorderen Orient sowie eine bedrohliche Instabilität der gesamten Region zur Folge hatte. Seiner Einschätzung nach sollten militärische Interventionen vermieden werden, denn die führten zu einer sehr hohen Zahl von Todesopfern und in der Folge zu einer unermesslichen Zahl von Flüchtlingen. Insofern sei, das betonte der Referent, die sich abzeichnende friedliche Konfliktlösung durch das Atomabkommen nicht hoch genug einzuschätzen, trotz aller Skepsis gegenüber dem undemokratischen System im Iran und gewissen Vorbehalten gegenüber den sich um Wirtschaftskontakte mit dem Iran drängenden Unternehmen, die demokratische Werte unter den Tisch fallen lassen.
Ein Teilnehmer an der Veranstaltung sagte im Anschluss, er habe sich von dem Abend das Aufzeigen eines Auswegs aus der schwierigen Situation im vorderen Orient erhofft, sehe nun aber eher das gigantische Ausmaß der Konfliktkonstellation. In der Diskussion wurden ja auch noch der aktuelle Syrienkonflikt mit den verheerenden Flüchtlingsbewegungen, die Intervention von Russland und Iran in Syrien, die unversöhnliche Haltung zwischen Iran und Saudi-Arabien sowie die fragwürdige Rolle der Türkei mit ihren militärischen Maßnahmen gegen die kurdische Bevölkerung (PKK) und nicht zuletzt das bedrohliche Phänomen des IS angesprochen.
Der Referent, der bereits vor Jahren für eine „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit“ eintrat, hält eine solch große Initiative zur Bereinigung der Konflikte im Nahen Osten unter Beteiligung der Regionalmächte Iran, Saudi-Arabien, Türkei sowie der Großmächte (USA, Russland, China, Vertreter der EU) momentan für unwahrscheinlich, wenn auch weiterhin für wünschenswert. Realistischer sei die Hoffnung auf kleine Schritte der Verständigung in der Region. Aber er verhehlte nicht seine Skepsis hinsichtlich zu erwartender Ergebnisse. Verantwortlich dafür seien die jeweiligen Eliten in den Staaten Iran, Saudi-Arabien und Türkei sowie auch jene auf westlicher Seite. Wie diese regionalen Mächte ist auch das Syrien Assads Beispiel eines autoritären Systems, dem es letztlich nur um die eigene Machterhaltung gehe.
Worin besteht der Nutzen eines solchen Informationsabends?
Nachdenklichkeit und die ist ja in heutiger Zeit nicht das schlechteste.
Und immer wieder das Bemühen, Konflikte zwischen Staaten besser verstehen zu wollen.