William Forsythe lässt im MMK die Grenzen zwischen Tanz und bildender Kunst zerfließen

 

Sabine Börchers und Hans Weißhaar

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - So interaktiv wie nie zuvor präsentiert sich das MMK Museum für Moderne Kunst in seiner neuen Ausstellung. Zu verdanken hat es das dem Choreographen William Forsythe, der in Frankfurt erstmals zwölf seiner Installationen aus den Jahren 1994 bis 2015 zeigt.

 

Welche Erinnerungen weckt der Name William Forsythe in einem, die nun gar nichts mit Museum, sondern mit aufrührendem, völlig neuartigem Tanz auf den Städtischen Bühnen begann. Einst war das Tanztheater sogar die dritte Sparte und Forsythe ein gleichberechtigter Künstlerischer Direktor. Und erst die Partnerschaft des Ensembles mit Paris, wo ihn auch die Frankfurter hin begleiteten und er Triumphe feierte. Lange her und hier weiß eigentlich keiner, warum es zu Ende ging. Aber jetzt zur Hommage.

 

Wo derzeit im Eingang des MMK Museum für Moderne Kunst noch eine weiße Wand ist, werden sich die Besucher in wenigen Tagen selber sehen. Eine Kamera erfasst dann alle hereinkommenden Museumsgäste und überträgt ihr Bild auf eine mehrere Meter große Leinwand. Weil diese das Aufgenommene mit leichter Verzögerung anzeigt, verzerren die Gesten der Gefilmten und zerfließen im Raum. Wer sich bewegt, scheint zu tanzen. Diese zufällige Bewegungsabfolge hat einer der renommiertesten Tänzer und Choreographen unserer Zeit initiiert, der Amerikaner William Forsythe.

 

Seit 30 Jahren ist sein Schaffen mit Frankfurt verbunden. Hier erneuerte er von 1984 an als Direktor das Ballett Frankfurt und gründete 2004 The Forsythe Company. Was aber nur wenigen Frankfurtern bekannt sein dürfte: Forsythe erarbeitete nicht nur richtungsweisende Ballettchoreographien und experimentelle Tanztheater. Zu seinem außergewöhnlichen Werk zählen auch diverse raumbezogene Installationen, die die Grenzen zwischen Tanz und bildender Kunst ausloten. Die bislang größte Werkschau aus den vergangenen 20 Jahren ist nun unter dem Titel „William Forsythe. The Fact of Matter“ zum ersten Mal im MMK 1 zu sehen und zu erleben. Denn bereits die Eingangsinstallation „City of Abstracts“, die erstmals im Jahre 2000 an der Hauptwache zu sehen war, macht deutlich, was den Besucher im Museum erwartet – eine Ausstellung, in der er persönlich gefordert ist, geistig wie körperlich.

 

 

Bewegungen und Befindlichkeiten

 

Forsythe entwickelt kaum Anschauungs-Objekte. Seine Auseinandersetzung mit dem Körper bringt meist auch den Betrachter dazu, sich mit seinen eigenen Bewegungen und Befindlichkeiten auseinanderzusetzen. Die Ausstellung ist die interaktivste, die das für seine experimentellen Schauen – etwa im Jahre 2003 „Das lebendige Museum“ – bekannte Haus je gezeigt hat, bestätigt der Kurator Mario Kramer. Nur wenige Schritte nach der Kamera-Erfahrung in „City of Abstracts“ steht der Besucher vor einer weißen Wand. Lediglich die unteren 70 Zentimeter öffnen sich zu einem tiefen Raum und lassen am Ende einen Durchgang erkennen. „A Volume, within which it is not Possible for Certain Classes of Action to Arise“ lautet der etwas sperrige Titel des Werkes, das auf dem Bühnenbild des Balletts „The Defenders“ basiert, das Forsythe für die Ausstellung aber neu und statt für die Tänzer nun eben für die Besucher konzipierte. „Der Raum ist begehbar“, lesen diese als Objektbeschreibung. Etwa auf Schreibtischhöhe schwebt ein für das Museum maßgeschneiderter Kubus, unter dem die Besucher hindurchkriechen, sich rollen oder robben können. Gefühle wie Unentschlossenheit, Beklommenheit oder gar Platzangst inklusive.

 

 

An der Grenze des Möglichen

 

Anders als in anderen Ausstellungen, bei denen die Schilder an den Wänden meist den Titel und die Herkunft eines Werkes nennen, stehen darauf bei Forsythe zusätzlich Handlungsanweisungen. Wie wichtig sie sind, erläutert die Museumssprecherin Christina Henneke. Bei früheren interaktiven Installationen hätten sich die Besucher häufig nicht getraut, diese zu berühren. Bei Forsythe wird dagegen klar mitgeteilt, was möglich ist. Etwa bei der Installation „The Fact of Matter“, die bereits 2009 auf der Biennale in Venedig zu sehen war. Der Museumsgänger soll den Raum ausschließlich mithilfe der 200 in verschiedenen Höhen von der Decke hängenden Ringe durchqueren, so lautet die Handlungsanweisung. Kurator Mario Kramer weiß aus eigener Erfahrung aus Venedig, dass der Versuch einen schnell an die Grenze des physisch Möglichen bringt.

 

 

Komplizierter Aufbau

 

Noch sind die Handwerker im MMK 1 damit beschäftigt, die Deckenbalken abzuhängen, an denen die Ringe angebracht werden. Der Aufbau von „William Forsythe. The Fact of Matter“ ist komplexer als bei anderen Schauen. „Es ist wesentlich aufwendiger, die Kunstwerke aufzustellen, als Bilder an die Wand zu hängen, auch wenn man es der Ausstellung am Ende nicht ansieht“, sagt Kramer. Seit Monaten seien Architekten und Konstrukteure damit beschäftigt, zu planen, an welchen Stellen die Deckenbalken angebracht werden müssten und wie der Kubus in den Raum gehängt werden könne.

 

Ähnlich kompliziert war der Aufbau von Forsythes Werk „Nowhere and Everywhere at the Same Time, No.3“, der dritten und für das Museum neu produzierten Version seines Pendel-Waldes. Die 60 Lote können diesmal dank entsprechender Druckluftzylinder alle einzeln in Bewegung gebracht werden, so dass die Forsythe-Choreografie noch komplexer und unvorhergesehener wirkt. Auch hier wird das Ausweichen desjenigen, der den Raum durchquert, zu einem ungewollten Bewegungsablauf und damit der Betrachter zum Teil des Kunstwerkes.

 

 

Die Vergänglichkeit des Körpers

 

Doch mit dem Mitmachen, der Freude an Bewegung, lässt Forsythe, der vielfach international ausgezeichnet wurde und 2010 auf der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhielt, es nicht bewenden. Seine Werke sind tiefgründiger. „Die Ausstellung ist kein Spielplatz“, stellt der Kurator Mario Kramer fest. Wenn der Choreograph dem Besucher, der an den Ringen von der Decke hängt oder auf allen Vieren unter dem Quader hindurch kriecht, seine physischen und psychischen Grenzen aufzeigt, stößt er ihn zugleich auf die Vergänglichkeit seines Körpers, die Endlichkeit seines Daseins. „Es gibt weitere Werke, in denen Ähnliches anklingt, in denen er den Verlust oder das Scheitern thematisiert“, stellt Kramer fest. Es seien Werke, die neben allem Spielerischen durchaus nachdenklich stimmen sollen. So fordert der Künstler in einem Raum die Besucher auf, einen Staubwedel aus feinen Straußenfedern absolut still zu halten oder gibt in einem anderen die Handlungsanweisung, beim Betreten des Raumes keine Luftbewegung entstehen zu lassen.

 

 

Neubeginn statt Abschied

 

Im Frühjahr dieses Jahres hat William Forsythe seine Tätigkeit als künstlerischer Direktor der Forsythe Company beendet. Dass die Ausstellung im gleichen Jahr gezeigt werde, sei Zufall, sagt Kramer. Er versteht die Schau keinesfalls als Abschied des Choreographen von der Stadt, sondern vielmehr als Neubeginn. „In dieser Bandbreite hat die Öffentlichkeit sein Schaffen noch nicht gesehen. Ich denke, er ist mit 65 Jahren an einem Wendepunkt angelangt.“

 

Ich bin sicher, dass die Leute von der Ausstellung sehr überrascht sein werden“, betont Mario Kramer, der selbst, obwohl er Forsythe seit 25 Jahren kennt, seine Installationen erst vor vier oder fünf Jahren entdeckte. Nun will er, dass auch die Frankfurter den neuen Forsythe kennenlernen. Vom 17. Oktober bis zum 31. Januar 2016 haben sie die Gelegenheit dazu. Geht es nach Mario Kramer, sollte von der Ausstellung aber noch mehr als ein neuer Blick auf den Choreographen am Main zurückbleiben. Am liebsten hätte er für das MMK das eine oder andere Werk.

 

Foto: Stellenstellen  © Julian Gabriel Richter

Quelle-pia