Ruth Wagner zum 75. Geburtstag in Darmstadt
Claudia Schulmerich
Darmstadt/Wiesbaden (Weltexpresso) – Natürlich gratuliert der heutige Wissenschafts- und Kunstminister Boris Rhein (CDU) der früheren Wissenschaftsministerin und stellvertretenden Ministerpräsidentin Ruth Wagner (SPD) Hessens, die heute ihren 75. Geburtstag feiert.
Ruth Wagner übernahm 1999 in einer CDU/FDP-Koalition unter Ministerpräsident Roland Koch das Ressort Wissenschaft und Kunst und führte es bis 2003. Zuvor hatte sie schon als Landtagsabgeordnete in die Politik, vorwiegend die Kulturpolitik eingegriffen und war sowohl von 1987 bis 1991 wie auch von 2003 bis 2008 Vizepräsidentin des Hessischen Landtags.
Der Nachfolger Boris Rhein: „Ich gratuliere Ruth Wagner ganz herzlich zu ihrem 75. Geburtstag. In ihrer Zeit als Ministerin hat Ruth Wagner wichtige Weichenstellungen für das Wissenschaftsland Hessen vorgenommen. Bereits vor ihrer Amtszeit als Wissenschafts- und Kunstministerin setzte sie sich ganz besonders für den Erhalt unseres kulturellen Erbes ein. Ihrem Engagement aus den späten 80er Jahren ist es beispielsweise zu verdanken, dass wir in diesem Jahr das 25. Jubiläum des ‚Tag des offenen Denkmals‘ feiern konnten. Als Vorsitzende des Kuratoriums des Kulturfonds Frankfurt RheinMain übt sie eine wichtige Funktion aus, um die starke Position von Frankfurt RheinMain in einem Europa der Regionen zu festigen und weithin sichtbar zu machen. Dafür und für ihren vielfältigen ehrenamtlichen Einsatz für Kunst und Kultur bin ich ihr sehr dankbar.“
Man kann also gut sagen, daß sie immer in den Zentren der Macht saß, die Gymnasiallehrerin Ruth Wagner, die einst Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaften studiert hatte, auch als Lehrerin 12 Jahre nur tätig war und es durch ihre vielen Ämter zu einem ordentlichen Wikipediaeintrag gebracht hat. Unter dem Stichwort: LEBEN und BERUF, wird allerdings nur über den Beruf gesprochen und das weitere Stichwort PARTEI, das listet schnöde ihre FDP Ämter seit dem Parteieintritt von 1971 auf, da war sie 31 Jahre alt.
Sie war Landesvorsitzende ihrer Partei von 1995 bis 2005 und man kann sicher sagen, daß die Entwicklung des Bundeslands Hessen eine andere gewesen wäre, wenn sie nicht gegen den Wunsch und Wille der Bundespartei in Februar 2000 für den damals angeknacksten Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) die Steigbügel gehalten hätte. Denn der war eigentlich schon weg, weil wenige die CDU-FDP Koalition in Hessen wollten. Undank ist der Welten Lohn. Denn bei den Landtagswahlen 2003 errang die CDU die absolute Mehrheit. Es blieb Koch nicht nur Ministerpräsident, sondern er konnte das ohne Steigbügelhalter tun. Damit waren die FDP und ihre Ministersessel weg (kamen aber wieder, derzeit wieder weg und von den Grünen besetzt).
Was aber Wikipedia völlig unterschlägt, ist Ruth Wagners Verbandszugehörigkeit zum Hessischen Philologenverband, der sich heute Gewerkschaft der Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer nennt und Teil des Dachverbandes des dlh ist, was für Deutscher Lehrerverband Hessen steht. Dabei war sie nicht nur Mitglied im Philologenverband, sondern vertrat diesen im HPRL, dem Hauptpersonalrat der Lehrer, der heute HPRLL heißt, also Hauptpersonalrat der Lehrer und Lehrerinnen – und zwar beim Hessischen Kultusministerium. Das ist die oberste Personalvertretung der damals über 50 000 Lehrende zählenden Schulbelegschaft, weil Bildung in den SPD-Zeiten von den damaligen Kultusministern, Schütte, von Friedeburg, Krollmann (alle SPD) , als sozialdemokratischer Auftrag ernst genommen wurde, was sich änderte, als Hartmut Holzapfel (ebenfalls SPD) Kultusminister wurde, der sich nicht nur seinen Genossen in Schulfragen entfremdete, sondern als Hauptgegner die GEW, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft des Landesverbandes Hessen, im Visier hatte. Er hatte damals sogar im Ministerium Weisung gegeben, zu den Fachgesprächen nur Mitglieder des dlh einzuladen, und auf Nichteinladung sämtlicher GEW-Funktionäre gedrungen. Klar, daß er schon lange aus seiner Gewerkschaft GEW ausgetreten war, die wiederum die ständisch genannten Lehrervertretungen als von gestern erklärten.
Bis heute weiß man, daß die Abstinenz vieler Lehrer und Lehrerinnen bei den Landtagswahlen 1999,die traditionell SPD wählten, auf die rüde und nicht als sozialdemokratisch wahrgenommene Amtsführung von Holzapfel beruht. Dazu sagt ein weiterer Wikipediaeintrag: „Obwohl die Forschungsinstitute einen Wahlsieg der rot-grünen Landesregierung sowie ein Hervorgehen der SPD als stärkste Partei vorhergesagt hatten, konnte die CDU mit 43, 3 Prozent deutliche zulegen ...“. Seither gab es in Hessen keine SPD-Landesregierung mehr und keinen SPD-Ministerpräsidenten noch Kultusminister.
Wer die Feinheiten, wer als Arbeitnehmer wo organisiert ist, heute nicht mehr nachvollziehen kann, der sollte in die Geschichte der Lehrerschaft und ihrer Organisationen eintauchen. Denn es gab und gibt an allen Schulen für diejenigen, die erkannt haben, daß man als Arbeitnehmer selbstverständlich ein Schutzbündnis gegen den Arbeitgeber braucht, diese beiden Alternativen: eine ständische Vertretung und eine gewerkschaftliche. Darum schmunzeln wir ja, wenn wir heute lesen, daß der Philologenverband „die Gewerkschaft...“ sei, denn vor 50 Jahren wäre so etwas Pfui gack gewesen für sich elitär verstehende Gymnasiallehrer und noch vor 25 Jahren lagen die Unterschiede beider Lehrerorganisationen gerade darin, daß die GEW sich als Teil der deutschen Gewerkschaftsbewegung verstand, was auch heute eine Grundaussage bleibt, also als Teil des DGB.
Warum das Ganze? Weil dies alles beim öffentlichen Begehen des 75. Geburtstags von Ruth Wagner wieder hochkommt. Denn mit dieser saß ich über Jahre im Hauptpersonalrat der Lehrer, aber ideologisch auf der anderen Seite, obwohl genau neben ihr. Sie wie gesagt für den Philologenverband(dlh), ich für die GEW. Aber wir saßen nicht nur gemeinsam im wohl 25köpfigen Hauptpersonalrat, die in den Wahlen bis heute immer noch stärker werdende GEW hatte eine Mehrheit errungen – das war nicht immer so – und der Zufall wollte es, daß ich direkt neben Ruth Wagner zu sitzen kam. Wir beide als Außenposten der beiden Fraktionen. Deshalb weiß ich auch, was Wikipedia verschweigt, daß sie sich intensiv ihr ganzes Leben hindurch um ihre Mutter gekümmert hatte und schon seit so vielen Jahren ihr Hobby – Malerei – richtig ausgebaut hat und Malwochen in Italien begeht und anderes mehr.
Wo so viele Leute ihr Privatleben hochhalten, finden wir es gut, wenn jemand vom Jahrgang 1940 auch heute noch mitmischt und sich kulturell auf die Seite derer schlägt, die mit Kultur nicht nur Leuchttürme meinen, sondern eine breite hochqualifizierte Kunst- und Kulturlandschaft im Rhein-Main-Gebiet fördern.
Herzlichen Glückwunsch also, Ruth Wagner