Zu Besuch beim Restaurator des Archäologischen Museums Frankfurt, Teil 1/2

 

Konrad Daniel und Anja Prechel

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie andere in Büchern lesen, liest er in Steinen und Scherben: Thomas Flügen ist Steinrestaurator am Archäologischen Museum. Alles, was in Frankfurts Untergrund gefunden wird – vom römischen Sarkophag bis zum Wasserkrug aus der Neuzeit – landet in seiner Werkstatt. Und erzählt ihm bei seiner Arbeit die spannendsten Geschichten.

 

Restauratoren müssen perfektionistisch sein. Sagt Thomas Flügen, Steinrestaurator am Archäologischen Museum Frankfurt und Perfektionist. Wäre er keiner, ihm wäre eventuell eine kleine Sensation entgangen. Es landete eines Tages in seiner Werkstatt eine römische Steinkiste. „Eine Urne, in der die Römer vor 1 800 Jahren ihre Toten beisetzten“, präzisiert Flügen. Der kleine Sarkophag kam in situ, also so, wie er an der Ausgrabungsstelle gefunden wurde. Flügen befreite das Stück behutsam von Erde und Staub, untersuchte es Millimeter für Millimeter und machte eine überraschende Entdeckung. „In den Resten des Mörtels, der den Deckel und den Trog der Urne zusammengehalten hatte, fand ich Abdrücke von Stoffresten.“ Für einen Laien unspektakulär, für Archäologen ein kleines Fest. „Wir ziehen daraus Rückschlüsse über das Leben der damaligen Zeit. Mit der Entdeckung der Stoffspuren konnten wir nachweisen, dass die Römer die Überreste einer Leiche nach der Verbrennung nicht einfach zusammengefegt in die Kiste legten, sondern handverlesen und in ein Tuch verpackt hineingaben.“ Einen Befund wie diesen gab es bislang nicht.

 

 

Schatztruhe Boden

 

Was auf dem Gebiet der Stadt Frankfurt ausgegraben wird, wird im Archäologischen Museum und dessen Steinarchiv in der Borsigallee 8 aufbewahrt und je nach Fund von Thomas Flügen und seinen Kolleginnen gereinigt, untersucht und konserviert. Urnen wie die, an der Flügen die kleine Sensation entdeckte, tonnenschwere Sarkophage, ebenfalls aus der Römerzeit, Mörser, Mühlen, Keramikscherben und auch die antiken Grabplatten, die bei den Bauarbeiten in der Leonhardskirche gefunden wurden, lagern in der ehemaligen Industriehalle. „Alles – von 5.000 vor Christus bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagt der Steinrestaurator. Bedingung: Es müssen Bodenfunde sein. Und die kommen in Frankfurt und Umgebung häufig vor. „Das Rhein-Main-Gebiet war seit Menschengedenken Siedlungsraum, wegen seiner fruchtbaren Böden und der Wasserstraßen.“

 

 

Fundort Heddernheim

 

Für Archäologen ist die Erde unter der Stadt eine Truhe voller Schätze. Gefunden werden sie – meist bei Bauarbeiten – nicht etwa zufällig. „Für jedes Areal, jeden Ort oder Acker auf dem Territorium der Stadt Frankfurt besteht eine Bodenakte. Stellt ein Bauherr eine Voranfrage, wird diese Akte geprüft und das Denkmalamt um Stellungnahme gebeten“, erklärt Flügen. Weist die Akte auf mögliche Funde hin, nimmt das städtische Denkmalamt eine Grabung vor. An der Stelle, an der die neue Feuerwache in Heddernheim entstehen soll, fanden die Denkmalpfleger erst kürzlich römische Schmiedeessen.

 

 

Hinweis Feuerrand

 

Nun stehen sie, ummantelt von einem Aluminiumblech, gemeinsam mit einer Schubkarre voller Erde in Flügens Werkstatt und wirken eher wie ein arrangiertes Stillleben statt wie ein Arbeitsprojekt. Der Restaurator hantiert mit Gegenständen, die aus dem Boden kommen – und doch findet man in dem großen Raum keinen Krümel, der dort nicht hingehört. Die Arbeitstische blitzblank, der Schreibtisch aufgeräumt, die Werkzeuge in Reih und Glied. „Ein behutsamer Umgang braucht ein entsprechendes Umfeld“, sagt Flügen. Und hundertprozentige Aufmerksamkeit. Thomas Flügen deutet auf die roten Ränder, die die abgerundeten Schlitze der Essen einrahmen. Sie geben dem Restaurator einen entscheidenden Hinweis auf die Verwendung der Erdblöcke: „Da war Feuer im Spiel. Durch die Hitze ist der Löss in der Erde gebrannt und hat sich wie ein Ziegel rot gefärbt.“