Tierschutzjahr 2015: ein Rückblick der Albert Schweitzer Stiftung, Teil 1

 

Hans Weißhaar

 

Düsseldorf (Weltexpresso) - Das Tierschutzjahr 2015: ein Jahr voller bemerkenswerter Meldungen, Veröffentlichungen und Entscheidungen. Doch was davon lässt sich als wirklich richtungsweisend für den Tierschutz einstufen? Die Stiftung blickt auf einige der wichtigsten, vor allem politischen (Fehl-)Entwicklungen des Jahres.

 

 

Gutachten zur »Nutztierhaltung«

 

Eine der wichtigsten Veröffentlichungen des Tierschutzjahrs erfolgte im März mit dem Gutachten »Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung« des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (WBA beim BMEL). Erhebliche Defizite in der gegenwärtigen Tierhaltung werden darin aufgezeigt, Tierschutzziele ausformuliert und realisierbare (Sofort-)Maßnahmen empfohlen. Mit Blick auf die aktuelle Massenproduktion und den -konsum von Tieren wird nicht zuletzt auch dezidiert für eine »Reduktion der Konsummenge« plädiert.

 

Da die Umsetzung der Beiratsempfehlungen mit einigen Verbesserungen für die Tiere einhergehen würde, forderten im Oktober sieben Tierschutzorganisationen beim BMEL die Berücksichtigung des Gutachtens und eine klare Kursänderung bei der Tierhaltung ein. Und das Ministerium? Das zeigte über das gesamte Jahr hinweg nur ein demonstrativ geringes Interesse an der Arbeit seines Beirats. Mitte Oktober wurde schließlich endgültig bekannt, dass das Ministerium dem Gutachten enttäuschenderweise keinerlei Handlungsauftrag entnimmt.

 

 

Haltung von Legehennen

 

Im November verkündete der Verein für kontrollierte alternative Tierhaltung (KAT), dem fast alle Legehennenhalter in Deutschland und viele in weiteren EU-Ländern angeschlossen sind, dass ab dem 1. September 2018 ausschließlich Eier von Hennen mit intakten Schnäbeln im KAT-System vermarktet werden dürfen. Kritisch zu beobachten bleibt noch die tatsächliche Umsetzung des Ausstiegs aus dem Schnabelkürzen, die – richtig vollzogen – eine merkliche Erhöhung der Haltungsstandards für Legehennen erfordert.

 

Als grundsätzlich erfreulich kann im Bereich der Legehennenhaltung auch der im November auf Bundesratsebene beschlossene Ausstieg aus der Käfighaltung von Legehennen bis 2025 (in einigen Fällen bis 2028) gelten – auch wenn der Ausstiegszeitraum insgesamt als zu lang einzustufen ist und Käfigeier – wie schon jetzt – auch danach noch als Importware in verarbeiteten Lebensmitteln vorkommen können. Die Einführung einer bislang noch nicht vorhandenen Kennzeichnungspflicht auch für verarbeitete Eier zu fordern, bleibt trotz aller Erfolge unserer Käfigfrei-Kampagne unumgänglich.

 

Äußerst enttäuschend war eine Pressemitteilung des BMEL vom 11. November 2015: Anstatt nach einer im September gefällten Bundesratsentscheidung einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der die Tötung von aktuell rund 45 Mio. männlichen Küken (Nachkommen der Legehennen) verbietet, ließ Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt zum wiederholten Male durchblicken, dass er eher auf Forschung und die Entwicklung »praxistauglicher Alternativen« und freiwillige Vereinbarungen setzt. Es bleibt allerdings offen, wie schnell solche Alternativen letztlich tatsächlich am Markt etabliert sein könnten. Zudem lösen sie auch das Grundproblem nicht: die Zucht von Legehennen auf eine hohe Legeleistung, die wirtschaftlich unverwertbare männliche Nachkommen hervorbringt, die dann eben nicht erst nach der Geburt getötet, sondern schon vor der Geburt aussortiert werden – die ethischen Probleme werden verschoben anstatt sie grundsätzlich zu lösen.

 

 

Haltung von Mastputen

 

Mit einem Beschluss vom 6. November 2015 brachte der Bundesrat eine gesetzliche Festschreibung von spezifischen Mindestforderungen bei der Haltung von Mastputen auf den Weg. Da solche Mindestforderungen bislang noch nicht gesetzlich existierten, war dieser Beschluss längst überfällig. Bemerkt werden muss, dass der beschlossene Entwurf zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung aus Tierschutzsicht noch viele Defizite aufweist: so etwa die zu hoch angesetzten Besatzdichten und ein fehlendes Verbot zur Beendigung des Kürzens von Schnäbeln auch bei Mastputen.

 

 

Schweinehaltung

 

Seit Anfang Dezember wird in Niedersachsen eine Prämie an Tierhalter ausgezahlt, die ihren Schweinen nicht mehr die Ringelschwänze kürzen. Eine Maßnahme, die insgesamt zwar in die richtige Richtung geht, letztlich aber doch eher befremdlich bleibt: Es werden Prämien für das Unterlassen einer Praxis ausgezahlt, die ohnehin verboten ist aber weiterhin routinemäßig praktiziert wird. Inwieweit das niedersächsische Modell auch in anderen Bundesländern aufgegriffen wird, muss weiter verfolgt werden.

 

Abzuwarten bleiben auch die Auswirkungen eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg, mit dem im November die bisher üblichen Größen von Kastenständen zur Haltung von Sauen als zu klein bewertet wurden. Dazu unterstützen wir auch eine Verbandsklage.

 

 

Rinder

 

In Deutschland leben noch immer 27 % aller Milchkühe in der sog. Anbindehaltung, mit der die Tiere zu fast völliger Bewegungslosigkeit gezwungen werden und vielen Schmerzen, Leiden und Schäden ausgesetzt sind. Daher begrüßten im November mehrere Tierschutzorganisationen die Initiative des Bundeslands Hessen, das einen Antrag zum Ausstieg aus der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern in den Bundesrat einbrachte. Da im Dezember eine unbestimmte Vertagung des Antrags erfolgte, ist sein Erfolg derzeit noch nicht abzusehen. Die Thematik »Anbindehaltung« verbleibt damit in einem höchst unbefriedigenden Zustand.

 

Unbefriedigend bleiben auch die Ansätze des Bundeslandwirtschaftsministeriums zum vollkommen inakzeptablen Sachverhalt, dass jährlich rund 180.000 trächtige – d. h. nichts anderes als schwangere – Rinder geschlachtet werden. Angestrebt wird kein grundsätzliches Verbot der Schlachtung aller trächtigen Rinder. Stattdessen wird derzeit ein »Abgabeverbot hochträchtiger Tiere im letzten Drittel der Trächtigkeit aus dem landwirtschaftlichen Betrieb zum Zwecke des Schlachtens« geprüft. Was mit den im Nachsatz genannten »unvermeidbaren Ausnahmefällen« genau gemeint ist, wird nicht weiter erklärt, lässt allerdings nichts Gutes erahnen. Fortsetzung folgt.