Norbert Lammert und DIE MOORSOLDATEN im Deutschen Bundestag. Nachschlag 4

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Manchmal kommt alles zusammen. So ging es uns mit der Meldung, daß Norbert Lammert (CDU), Präsident des Deutschen Bundestages, zum 71. Jahrestag der Befreiung des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen in der Feierstunde im Deutschen Bundestag, wo mit der in Wien geborenen Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger eine KZ-Überlebende die Gedenkrede hielt, daß also Norbert Lammert daraufhin das „Lied von den Moorsoldaten“ sang. Weizsäcker hätte das gefallen.

 

Nein, so spontan war das nicht und es ist uns auch viel lieber, als daß er es alleine gesungen hätte, daß Norbert Lammert dies vorherbedacht in einem Arrangement erklingen ließ und in der Feierstunde sprach: „Meine Damen und Herren, zum Abschluss dieser Gedenkstunde, nach der Ansprache von Frau Klüger, wird der RIAS-Kammerchor das „Lied der Moorsoldaten“ anstimmen. Es ist zum musikalischen Synonym für den Durchhaltewillen auch unter den extremen Bedingungen von „Unfreiheit und Willkür“ geworden.

 

Bereits im August 1933 erklang es zum ersten Mal – Häftlinge im Konzentrationslager Börgermoor im Emsland sangen die Strophen, die der aus politischen Gründen inhaftierte Schauspieler Wolfgang Langhoff mit seinem gleichgesinnten Mithäftling Johann Esser verfasst und die der elsässische Kommunist Rudi Goguel vertont hatte. Offenbar erkannte die SS zunächst weder die Brisanz noch die Eingängigkeit des Marschliedes, das innerhalb kürzester Zeit Verbreitung in den Lagern fand.

 

Als es verboten wurde, war es längst zur Hymne derer geworden, die – wie Wolfgang Langhoff nach seiner Flucht 1935 schrieb – „hinter Stacheldraht im eigenen Land gefangen“ waren. In diesem Lied schwingt die quälende Monotonie schwerster Fronarbeit mit. Zugleich hält es die Hoffnung wach auf ein Ende des „Winters“, auf einen Frühling, der die Rückkehr in eine befreite Welt verheißt.“

 

Das hat er schön gesagt und richtig auch und wir empfinden dieses erstmalige Erklingen vom LIED DER MOORSOLDATEN im Deutschen Bundestag als so etwas wie Versöhnung, die im Jahr 2016 vielleicht einzutreten anfangen kann, mit dem, was in der jungen nachfaschistischen Bundesrepublik an Ignoranz, ja Gemeinheit über die ausgegossen wurde, die zu Zeiten der Nazidiktatur als einzige Gruppe geschlossen und unter Aufbietung von Leib und Leben gegen das verbrecherische System der Nazis aufbegehrt hatten: deutsche Kommunisten. Sie ehrten weder den damaligen Widerstand, noch hörten sie auf, sie in Westdeutschland überall zu bekämpfen und zu sagen: „Geh doch nach drüben!“ Nein, wir wollen das jetzt nicht vertiefen, aber es scheint uns wirklich der Zeitpunkt gekommen zu sein, wo in Deutschland über politische Wahrheiten des Dritten Reiches erneut gesprochen werden muß, einschließlich vom Weiterleben solcher Ausgrenzungen wie die Verfolgung von Kommunisten in der BRD.

 

Wir vermuten, daß Norbert Lammert beiträgt, die Brücke zu schlagen, deren Pflöcke Richard von Weizsäcker als Bundespräsident Westdeutschlands mit seiner Rede vom 8. Mai 1985 für die alte Bundesrepublik eingeschlagen hatte, als er den 8. Mail 1945, der immer als Tag der Kapitulation mit einem negativem Beigeschmack galt, als „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ und damit als positiven Tag, über den man sich freuen darf und muß, bezeichnete. Das war längst überfällig, aber für manche ewig Gestrigen …

 

Auf der anderen Seite der Brücke sind all diejenigen, die in der DDR mit dem Wissen um den Widerstand der Kommunisten gegen die Nazis aufgewachsen sind, vielleicht eher zu viel hörten, d.h. nicht zu viel Informationen über Leute und deren Taten, aber doch als leicht gebetsmühlenhafte Erinnerungskultur, wie alles, was von oben verordnet wird, das Feuer im Inneren eher erlöscht, als antreibt.

 

Was die in der DDR Aufgewachsenen den Hiesigen – wir reden immer von der Menge, nie vom einzelnen - voraushaben, ist sowohl das Wissen um den Widerstand gegen die Nationalsozialisten wie auch die emotionale Wärme diesen Menschen gegenüber. Ein Film wie ELSER, der 2015 an einem doch eigentlich prominenten Beispiel vom persönlichen Widerstand eines einzelnen als Spielfilm erzählt, wurde eigentlich überhaupt nicht öffentlich wahrgenommen. Da haben es manchmal Dokumentarfilme einfacher. Sie veralten nicht. Das müßten Spielfilme auch nicht, aber bei Dokumentarfilmen ist es eher so, daß sie, wenn sie Jahr für Jahr gezeigt werden, einen Mehrwert erhalten.

 

Das gilt für jeden Fall für DER JUNKER UND DER KOMMUNIST von Ilona Ziok. Da geht es um kommunistischen und um den adligen Widerstand gegen Hitler und zwar nicht abstrakt, sondern beispielhaft an zwei Menschen, die im selben Ort lebten. Allerdings nicht unter den selben Bedingungen, sondern gewißermaßen an den jeweiligen Enden der sozialen Differenz. Der eine ist Carl-Hans Graf von Hardenberg (gest.1958), der andere der Arbeiter Fritz Perlitz (gest. 1972). Beide kannten sich schon aus den heftigen Kämpfen gegeneinander in den 30er Jahren in Neuhardenberg und trafen sich 1944 im Konzentrationslager Sachsenhausen wieder, was beide überlebten. Hardenberg gehörte in den Kreis des 20. Juli 1944, dessen Attentäter zum großen Teil dem Adel entstammen, Perlitz gehörte zu denen, die die Knochenarbeit des kommunistischen Widerstands auf sich nahmen, die wenige überlebten.

 

Zu einer Aufführung des Films hatten wir geschrieben: „Das ist nur die Kurzfassung einer spannenden Feindschaft, die zur Freundschaft wurde und die politische Kraft zeigt, die erwächst, wenn Konservative und Kommunisten sich gegen Hitler stellen. Eine harte Bewährungsprobe für die Verbindung ist dann die Übernahme des durch die SED enteigneten Schlosses Neuhardenberg, für das – Zufall – Perlitz als SED-Kreissekretär zuständig wird, während die von Hardenbergs im Westen leben. Nach 1989 wendet sich das wiederum ins Gegenteil. Die Familie von Hardenberg kehrt zurück und wird geehrt, Fritz Perlitz soll dagegen aller Auszeichnungen verlustig sein und vergessen werden. „

 

Und wie alles in der erwähnten Art auf einmal zusammenkommt, hat auch mit den wenigen Tagen zu tun, die zwischen dem 27. Januar als Befreiung von Auschwitz und dem 31. Januar als Todestag von Richard von Weizsäcker zu tun. Denn der tritt in DER JUNKER UND DER KOMMUNIST ebenfalls im Interview auf. Dazu meinten wir: „Der tief menschliche und gleichzeitig hochpolitische Film hat in der Thematisierung von proletarischem und adligem Widerstand gegen die Nazi-Diktatur wichtige Unterstützung durch den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker erhalten. Er führt im Film aus: 'Als Deutsche ehren wir das Andenken der Opfer des deutschen Widerstands, des bürgerlichen, des militärischen und glaubensbegründeten, des Widerstands in der Arbeiterschaft und bei Gewerkschaften, des Widerstandes der Kommunisten.' Damit hat er zusammengeführt, was zusammengehört, zuvor aber immer nur getrennt und von einer unterschiedlichen Klientel für sich abgetrennt gefeiert wurde: der notwendige gemeinsame Widerstand gegen die Diktatur.

 

Auf jeden Fall wird es höchste Zeit, daß im Westen Deutschlands dieses unmenschliche Vergessen der vielen Jahrzehnte Westdeutschlands gegenüber dem kommunistischen Widerstand nun zugunsten einer zutreffenden Geschichtsschreibung in die breite Öffentlichkeit getragen wird.

 

In diesem Sinne interpretieren wir die öffentliche Intonation im Bundestag vom LIED DER MOORSOLDATEN und freuen uns darüber. Natürlich wünschen wir auch, daß Norbert Lammert weiterhin Weltexpresso liest.

 

 

 

Und gerne noch einmal das Lied der Moorsoldaten

 

 

Die Moorsoldaten

(Lagerlied von Börgermoor)

 

Wohin auch das Auge blicket,

Moor und Heide nur ringsum.

Vogelsang uns nicht erquicket,

Eichen stehen kahl und krumm.

Wir sind die Moorsoldaten

und ziehen mit dem Spaten

ins Moor.

 

 

Hier in dieser öden Heide

ist das Lager aufgebaut,

wo wir fern von jeder Freude

hinter Stacheldraht verstaut.

Wir sind die Moorsoldaten

und ziehen mit dem Spaten

ins Moor.

 

 

 

Morgens ziehen die Kolonnen

in das Moor zur Arbeit hin.

Graben bei dem Brand der Sonne,

doch zur Heimat steht der Sinn.

Wir sind die Moorsoldaten

und ziehen mit dem Spaten

ins Moor.

 

 

Heimwärts, heimwärts jeder sehnet,

zu den Eltern, Weib und Kind.

Manche Brust ein Seufzer dehnet,

weil wir hier gefangen sind.

Wir sind die Moorsoldaten

und ziehen mit dem Spaten

ins Moor.

 

Auf und nieder gehn die Posten,

keiner, keiner kann hindurch.

Flucht wird nur das Leben kosten,

Vierfach ist umzäunt die Burg.

Wir sind die Moorsoldaten

und ziehen mit dem Spaten

ins Moor.

 

Doch für uns gibt es kein Klagen,

ewig kann's nicht Winter sein.

Einmal werden froh wir sagen:

Heimat, du bist wieder mein.

Dann ziehn die Moorsoldaten

nicht mehr mit dem Spaten

ins Moor!

 

Text: Johann Esser, Wolfgang Langhoff (1933)

Musik: Rudi Goguel (1933)

 

Foto: Sehr schwer, ein gemeinsames Foto von Norbert Lammert und Richard von Weizsäcker zu bekommen, leider nicht im Bundestag.

 

Über DER JUNKER UND DER KOMMUNIST

 

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