Fritz Stern zum Neunzigsten

 

Richard Adamstaler

 

Kassel (Weltexpresso) - Nicht über Fritz Stern soll hier gesprochen werden; wir wollen Fritz Stern an seinem 90. Geburtstag über uns sprechen lassen, über die Deutschen, mit denen er so schlechte Erfahrungen gemacht hat und die ihm doch so viel bedeuten.

 

Um dem Naziterrors zu entgehen, mussten seine Eltern die schlesische Heimat verlassen und sich ein neues Leben in Amerika aufbauen. Als Historiker hat sich Fritz Stern unter anderem mit dem „feinen Schweigen“ beschäftigt, in das viele Deutsche verfielen, als die Nationalsozialisten ihr Schreckensregiment errichteten.

 

Das feine Schweigen sei nahe am verderblichen Schweigen, sagte er am 10. November 1998 während eines Vortrages an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seine große politische Bedeutung habe das Schweigen mit der Politisierung Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg bekommen. Die Rücksicht auf das eigene Land habe dabei eine gewisse Rolle gespielt. Sie gehöre „zu einer gewissen deutschen Neigung, Kritik als Nestbeschmutzung zu begreifen – und das fast bis ans Ende des 20.Jahrhunderts“, Dabei seien die „Nesthygieniker“ meist diejenigen gewesen, die dem Land viel Schaden angetan hätten.

 

Hitler habe aus seinen Absichten kein Hehl gemacht. Trotzdem wurde das Schweigen nicht gebrochen. Ohne das Mitwirken der Eliten wäre die rasche Durchsetzung der Diktatur unmöglich gewesen, und so kam es zur Eskalation des feinen Schweigens zum feigen Schweigen – und natürlich auch zur massenhaften Anpassung und begeisterten Zustimmung.

 

Es darf nicht überraschen, dass die meisten Deutschen nach 1945 geschwiegen haben. Sie waren sich ihrer eigenen Opfer bewusst, aber sie gedachten nicht des Untergangs Millionen anderer, nicht des Mordes an sechs Millionen Juden und an dreieinhalb Millionen russischen Gefangenen, an beinahe sechs Millionen Zwangsarbeitern. Schließlich ist es doch zum Durchbruch der grausamen Wahrheit gekommen.“

 

Unsere Stimmen, die Stimmen von Forschern, werden heute leicht übertönt von den Propagandisten, den ‚terribles simplificateurs“. Noch gefährlicher sind die Medien, die mit dem Grauen der Vergangenheit spielen, die das Höllische trivialisieren. Die Trivialisierung des Holocaust ist auch ein Betrug an den Opfern. Wir wissen, dass Bilder aus Fernsehen oder Film Eindrücke vermitteln, die viel unmittelbar sind als unsere Worte – und dass in der heute gepflegten Erinnerungswelt der historische Kontext oft völlig vergessen wird. Ich glaube, wir Historiker tragen hier besondere Verantwortung. Das ‚feine Schweigen’ hat diesem Land viel Leid angetan. Die Passivität, das Schweigen der Anständigen waren für den Erfolg des Nationalsozialismus mindestens ebenso wichtig, wie das Brüllen der Begeisterten.“

 

(Der Wortlaut des Vortrages kann nachgelesen werden in Fritz Stern, Das feine Schweigen, Historische Essays, C.H.Beck, München 1999.)

 

Über Fritz Stern

 

Geboren wurde er am 2. Februar 1926 in Breslau und er heißt Fritz nach seinem Paten Fritz Haber, der als Chemiker den Nobelpreis erhielt. Vater und Großvater waren Ärzte, seine Mutter Käthe Brieger war promovierte Physikerin (!) und innerhalb der Didaktik der Mathematik sehr bekannt. 1938 konnte die Familie in die USA fliehen, seine gesamte Ausbildung durchlief Fritz Stern also in den Vereinigten Staaten, wo er sich von Anfang an einen Namen machte, Hochschullehrer wurde und als Historiker als „der bedeutendste US-amerikanische Historiker deutscher Geschichte“ gilt.

In Deutschland war er nach dem Krieg wiederholt und hatte Gastprofessuren inne. 1987 hielt er die Festrede zum 17. Juli im Deutschen Bundestag und wenn so herausgestellt wird, daß er dies als erster ausländischer Staatsbürger tat, muß man schon schlucken, weil einem deutlich wird, daß den aus Deutschland Geflohenen nicht sofort nach 1945 - und auch nicht danach - die deutsche Staatsbürgerschaft angetragen wurde, ob sie sie haben wollten oder nicht. So viele verpaßte Gelegenheiten für Deutschland. Fritz Stern hat für sein altes Vaterland sehr viel getan, aber auch aufrechtes Verhalten gefordert.