Ein Musiktheater vom Metropolenrand arbeitet an der Subversion der Verhältnisse, Teil 1
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Apocalypse und Theodizee, diese zwei aufgeladenen und Problemlagen kennzeichnenden Begriffe, bilden die Diskussionsgrundlage für ein in Wort, Musik und Aufführungspraxis gelungenes Bühnenstück mit Darstellern unterschiedlicher Altersstufen und einem Instrumentalensemble, zu dem nicht zuletzt der Kinderchor den eigentlichen Glanzpunkt setzt.
Auch wer es – zum Agnostizismus tendierend - mit den Bindungen an religiöse Formate nicht gar so innig zu tun hat, während die biblischen Texte doch einiges Exemplarische zum Erbe der gefallenen Menschheit beizutragen haben, kann mit dem Aufgeführten ohne die normalerweise aufkommenden Widerstände über zweieinhalb Stunden mitgehen. Und dies mit einem Kinderchor, der voll durchhält. Text und Musik liefern keine süßlichen Gaben, die immer schon Gott und ewiges Leben oder Hölle im Besitz wissen und sich einer leidenschaftslos verbreiteten Botschaft hinzugeben bereit sind.
Die Strophen sind mit Realität und Wirklichkeit, mit Gesellschafts- und Kulturkritik, mit einer Verhandlung über die Weltlage durchsetzt, die sich im Aktuellen bewegt, sich nicht scheut, den Herrschenden die Leviten zu lesen, ohne aber holzschnittartig aufzutragen oder Propaganda für Jesus zu betreiben. Ulrike Streck-Plath hat für die Idee der Welterneuerung ganze Arbeit geleistet.
‚Welt nimmt schlimmen Lauf‘, - ‚wer lügt, liegt obenauf‘ (aus Lied 6)
‚Theodizee‘ ist auch der Vorname der Tochter aus dem Pfarrershaushalt, aus dem das Stück sich entwickelt - in dem es mit merkwürdigen Dingen zugeht, wie zu zeigen war -, in dem ganz wie in Familien üblich sich Generationen am Tisch verbal kreuzen. Für Tochter Theodizee (Anna Schiftner) und Sohn Theodor (Danny Ngando) ist es normal, die Apokalypse - im Licht der dauernden Katastrophe Weltgeschichte - und das Theodizeeproblem (der Versuch der Rechtfertigung Gottes vor den Übeln in der Welt/‘Wie kann denn Gott das bloß zulassen?‘) als anziehende, sich immer wieder neu aufschließende Interpretationsmuster der Universalgeschichte und der denkbaren Gott-Mensch-Beziehung zu erörtern.
Die große Anzahl schneidender Strophen der zehn Lieder sind keine religiösen Erbauungsmittel, es wird vom Jetzt gehandelt, auch vom Gestern im Heute, das fort west, aufgrund von alten Gruppen, die über die Jungen befinden, wie im Brexit. Gerade erst hat Finanzminister Schäuble die Lockerung der Rüstungsausfuhrbestimmungen gefordert. „Waffen werden produziert und verkauft und transportiert und dann werden unverdrossen Menschen totgeschossen. Schiffe fahren auf dem Meer, bringen viele Menschen her. Kinder sterben in den Fluten. Väter weinen, Mütter bluten. Wie viel Fremde dürfen rein? Wer darf nicht mehr bei uns sein“. (aus Lied 1 nach der Broschüre)
Ganz klar, das Stück legt sich mit den Herrschenden und ihren Praktiken an, auch Luther, auf den zu kommen ist, hält sich da nicht raus. Der Schluss mündet in den Showdown, wenn die Herrschenden selbst nicht mehr können, während die andern nicht mehr wollen wie jene möchten und sie daher den Bankrott der alten Praktiken und das Ende der bisherigen Geschichte eingestehen. Die Herrschenden arbeiteten nämlich immer mit Druck gegen die Gesundung und Heilung der Welt, indem sie Bedingungen schufen, die von Angst, Furcht und Einschüchterung durchherrscht waren. „Diese Angst hält uns mächtig“.- Geliebt wird nur, wer die gesetzten Bedingungen einhält.- „Zur Liebe gehören immer Bedingungen“. Nicht zuletzt aber ist es auch die Anonymität der Verhältnisse: „Niemand soll wissen, wie es wirklich ist. Das ist die Ordnung“. (S. 31 des Text- und Liedbuchs) Fortsetzung folgt
Foto: (c) hm
Info:
‚Apocaluther‘, von Ulrike Streck-Plath (Musik, Text, Leitung), Musiktheater für Kinderchor, Darsteller unterschiedlicher Altersstufen und ein Instrumentalensemble (Geige, Klavier, Cello, Schlagzeug). Aufführungen waren am 9. und 10. Juli 2016 im evangelischen Gemeindezentrum in Dörnigheim.
www.apocaluther.de