hwk 0Eine Einschätzung nach der Berliner Fashion Week

Hannah Wölfel und Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Schlabberpullover und Jesuslatschen bestimmen längst nicht mehr die Öko-Mode, denn seit einem Jahrzehnt gibt es in diesem Bereich erstaunliche Entwicklungen. Auf der letzten Berliner Fashion-Week präsentierten die Öko-Aussteller ausgefallene, elegante oder sportliche Kleidung, die sich kaum noch von anderen Textilien unterscheidet.

bild 4Aber - die angebotene, nachhaltig produzierte Kleidung hat es gleichsam in sich und bringt die Besucher zum Staunen: Da gibt es seidenartige Kleider aus Bambus, faszinierende Schuhe aus Fischleder, recycelte indische Saris, coole Hanfklamotten oder Regenjacken und Retro-Badesachen aus aufbereiteten PET-Flaschen.

„Zunächst geht es um Sie, Ihre Haut nimmt die Giftstoffe der Textilien auf“, sagte uns Designerin Magdalena Schaffrin bereits vor vielen Jahren über nachhaltige Mode, „deshalb sollte jeder Käufer Interesse haben, dass Rohstoffe giftfrei angebaut, schadstoffarm und umweltfreundlich weiterverarbeitet werden.“ Damals gab es gerade mal 16 Aussteller in dem von ihr ins Leben gerufenen „Green Showroom“. Parallel zur Fashion Week wurden dort nur luxuriöse und sündhaft teure, aber giftfreie Kleider und Accessoires für Frauen angeboten.

Doch die Spannweite nachhaltiger und fair produzierter Textilien hat sich in den folgenden Jahren beträchtlich erweitert und differenziert. Mittlerweile sind bei der Messe 180 Aussteller vertreten, die ein riesiges Angebot ethisch vertretbarer Kleidung präsentieren. Einige erfolgreich gewordene Firmen kommen gar nicht mehr auf diese Messe. Auch in den anderen Ausstellungshallen der Fashion Week ist viel von fairer und ökologischer Mode die Rede. Die Preise für Straßen- und Alltagskleidung sind häufig günstiger geworden. Inzwischen hat ein grundsätzliches ökologisches Umdenken stattgefunden, das sogar große Modeketten und Discounter zwingt, auf Nachhaltigkeit zu achten und Öko-Baumwolle zu verwenden.

bild 5Doch Nachhaltigkeit heißt ja nicht nur schadstofffreie Baumwolle anzubauen, denn auch die benötigt extrem viel Wasser und Unkraut-Vernichter. Im Gegensatz zu ihr wurden Pflanzen - wie Hanf und Leinen oder Fasern aus Brennnesseln und Bambus - wieder entdeckt, die wild wie Unkraut wachsen und wenig Feuchtigkeit brauchen. Sehr viele Firmen nutzen diese Rohstoffe, die sehr fein versponnen werden können.

Bei der Färbung und weiteren Verarbeitung werden Giftstoffe vermieden oder ausgetauscht. Die vegetabile Ledergerbung wurde wieder entdeckt und weiter erforscht, um das schädliche Chrom - etwa durch Rhabarber - zu ersetzen. In der Regel werden die billigen, wenig nachhaltig produzierten Klamotten weltweit zur Weiterverarbeitung hin- und her geflogen, darum spalten Transportfragen auch die Hersteller: Manche lassen ihre Waren nur in Europa produzieren, andere verarbeiten die in Nepal oder Vietnam gewonnenen Materialien vor Ort. Bei fairen Löhnen und gesunden Arbeitsbedingungen kann das die Entwicklung armer Regionen sehr fördern.

bild 2Neben dem mittlerweile weit verbreitetem Re- und Upcycling propagiert die italienische Designerin Rossana Diana ihr „Firstcycling“: Aus modischen Gründen werden sehr viele hochwertige Stoffe niemals verbraucht, die sie nun aufkauft und daraus ausgefallene Kleider designt. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Nachhaltigkeit ist die solide handwerkliche Weiterverarbeitung guter Rohstoffe. Die neuen pflanzlichen oder recycelten Substanzen sind zwar (noch) etwas teurer, aber die Langlebigkeit fördert die Wertschätzung bei den Käufern und entschädigt für höhere Preise.

Natürlich ist auch das Angebot für Veganer erheblich gewachsen, so werden Gürtel, Knöpfe usw. nicht mehr aus tierischen Produkten gefertigt. Farbenfrohe Schuhe oder Taschen aus Kork und anderen Naturmaterialien erleben eine beachtliche Renaissance.

bild 1Claudia Lanius versucht seit 25 Jahren „ökologische Materialien in Einklang mit fairen Arbeitsbedingungen, femininen Silhouetten und perfekter Passform“ zu bringen. Sie freut sich im Gespräch mit dieser Zeitung, über „die vielen neuen Konzepte von begeisterten und euphorischen jungen Leuten. Die Öko-Mode ist nicht eingeschlafen wie mir einst prophezeit wurde.“ Diese Jungen sind oft humorvoll und propagieren: „Ist halt Bio, ging leider nicht anders“ oder „Hanf? Tragen statt rauchen.“ „Wir wollen die Modeszene aufmischen“ verkündet etwas vollmundig Aci Tuncer von Knowledge und präsentiert in diesem Jahr einen Rucksack mit Solarzellen zum Aufladen des Notebooks


HINTERGRUND

Wir verwenden im Text den Begriff Öko-Mode und -Messe, obwohl die Produzenten und Aussteller selbst gerne in Anglizismen wie Green oder Ethical Fashion, Green Showroom, Eco Design usw. sprechen.


DAS ENDE DER FASHION WEEK BERLIN?

Seit 2011 ist die Frankfurter Messegesellschaft Träger und Förderer der Berliner Öko-Messe. „Uns gibt es seit über 700 Jahren“, sagte uns damals ein Sprecher, „wenn wir uns für etwas engagieren, dann hat das auch eine Zukunft.“

Die Fashion Week Berlin war über ein Jahrzehnt lang ein Gemisch unterschiedlicher Verkaufsausstellungen und versuchte zweimal jährlich den gleichnamigen Glitzershows in Paris, New York oder Mailand hinterherzuhecheln, was aber nie richtig gelang. Nachdem sich nun Mercedes Benz als Träger des Berliner Messegeschäfts zurückzieht, wollen sich die diversen Aussteller wieder auf Nachwuchsdesign, Öko-Mode und den frechen „Berliner Chic“ konzentrieren. „Arm aber sexy“, meinte dazu die Berliner Zeitung.

bild 3WAS TUN?

Nicht nur wenn man wenig Geld zur Verfügung hat, könnte man weniger aber qualitativ bessere und langlebige Kleidung kaufen, die einem selbst sehr gut gefällt. Man sollte sie sorgsam pflegen, eventuell auch gebraucht kaufen und untereinander tauschen. Dadurch wird das Modische als Diktat quasi ausgebremst.Beim Kauf sollte man darauf achten, ob die Sachen unter ökologischen und fairen Bedingungen hergestellt wurden. Etwa auf Gütesiegel von GOTS, FAIRTRADE oder BLUESIGN achten.Gute Informationen zur Öko-Mode und zu Bezugsmöglichkeiten bekommt man im Internet bei utopia.de, gruenemode.de oder getchanged.de



Fotos: © Hanswerner Kruse
Titel: Blick auf die Öko-Messe

In der Reihenfolge 
Badeanzüge aus recycelten PET-Flasche
Bambusfasern weich wie Watte
Claudia Lanius zeigt einen recycelten indischen Sari
Rossana Diana modelt mit ihrem firstgecycelten Kleid für uns
Keine anorektischen Mädchen auf dem Laufsteg