Berliner Fashionsweek 2014, Teil 3
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - In Paris präsentierten Jean Paul Gaultier und Stella McCartney auf der letzten Haute-Couture-Woche seidene Jogginghosen. Doch der glamouröse Stoff für Märchenprinzessinnen und Filmgöttinnen hat viel von seinem Glanz verloren. Minderwertige Billigseide ist zu einem Massenartikel geworden, die im fernen Osten unter unsäglichen Bedingungen produziert und gehandelt wird.
Die einst so sanft und erotisch die menschliche Haut umschmeichelnde Seide ist meist, aufgrund der üppig verwendeten Chemikalien zu ihrer Herstellung, körperschädlich geworden.
Seide ist eine uralte, in China entwickelte tierische Naturfaser, die man aus den Kokons der Seidenraupe, der Larve des Schmetterlings „Seidenspinner“, gewinnt. Seit einigen Jahren wird dieses Material (wieder) ökologisch produziert, die Seidenraupen sind nicht länger überzüchtete, lebensunfähige und blinde Tiere, sondern leben artgerecht in Wäldern aus Maulbeerbäumen. Auf künstlichen Dünger, Antibiotika und wachstumsfördernde Hormone wird verzichtet. Die Tierchen ernähren sich von giftfreiem Futter, dadurch enthalten die Seidenstoffe keine hautfeindlichen Rückstände. Die Arbeitsbedingungen sind menschenwürdig und zur Weiterverarbeitung werden keine Gifte und Schwermetalle genutzt.
Jedoch verschweigen ökologische Textilfirmen verschämt, dass die Seidenraupen durch heißen Dampf oder kochendes Wasser getötet werden, um die Seidenfäden unversehrt zu gewinnen. Denn zum Schlüpfen ätzen und beißen die Schmetterlinge ein Loch und zerstören die Fäden, die bis zu 2000 m lang sein können. Der Legende nach, ließ vor Tausenden von Jahren eine chinesische Kaiserin eine versponnene Seidenraupe aus Versehen in ihren heißen Tee fallen. Als sie den Kokon herausholte, entdeckte sie das Geheimnis des langen Seidenfadens.
Die eingesponnenen Raupen werden seitdem durch kochendes Wasser getötet, deshalb bieten manche Ökofirmen keine Seidenteile an: „Obwohl wir den luxuriösen Touch von Seide lieben, haben wir uns entschlossen sie nicht zu nutzen, denn sie ist sehr tierfeindlich“, schrieb uns das holländische Label Jux. Kleinere indische und chinesische Initiativen gewinnen mittlerweile hochwertige Seide ohne die Raupen zu töten.
„Sie dürfen Schmetterlinge werden“
„Sie dürfen Schmetterlinge werden“, wirbt die Firma cocccon (siehe Foto). Vor zwei Jahren bei der Berliner Fashion Week war ihr indisch-deutsche Designer Chandra Prakash zum ersten Mal mit seiner „gewaltfrei hergestellten Seide“ zu Gast. Stolz zeigte er Fotos aus seiner Heimat, auf dem wenige Arbeiterinnen kurz vor dem Schlüpfen der Raupen kleine Schnitte am Kokon anbringen. Nach dem Schlüpfen verzwirbeln sie die nur leicht beschädigten Fäden von Hand.
In der Qualität unterscheidet sich diese Seide von Wildseide, bei der die leeren Kokons von wild lebenden Raupen eingesammelt werden. Die von den Schmetterlingen verätzten und zerbissenen Fäden werden zusammengefügt, aber dadurch entstehen Garnverdickungen, unregelmäßige Optik sowie wenig Glanz.
Jetzt erklärte Prakash auf der Fashion Week, dass cocccon jetzt 100 Mitarbeiter habe, weil der Betrieb enorm wachse. Seine Heimatregion Jharkhand ist eines der ärmsten indischen Bundesländer, obwohl man dort seit jeher Seidenraupen züchtet. Doch die Menschen verkaufen die Seide zu billig an Zwischenhändler, die enorm daran verdienen. Cocccon gibt den Menschen Arbeit zu fairen Löhnen, produziert giftfrei und stellt selbst Seidenstoffe und Kleidung ohne Vermittler her. Mittlerweile siedeln sich auch wieder Seidenweber in dieser Region an. Natürlich ist die gewaltfrei hergestellte Seide (noch) wesentlich teurer, als traditionelle Ökoseide.
Menschen die Seidenkleidung tragen, müssen wissen, dass billige Seide sie selbst schädigen kann, außerdem fördern sie indiskutable Umwelt- und Arbeitsbedingungen. Vor traditionell ökologisch hergestellter Seide, dem die Raupen zum Opfer fallen, soll hier nicht gewarnt werden. Jeder muss für sich entscheiden, ob das brutale Töten der Seidenraupen ethisch zu rechtfertigen ist. „Listen to the voice of Buddha!“, forderte schon Ende der 70er-Jahre die New-Wave-Band Human League in ihrem Song Being Boiled:
„Listen to the voice of Buddha / Saying stop your sericulture / Little people like your offspring / Boiled alive for some Gods stocking / Buddha's watching…“ (Hört auf die Stimme des Buddhas / beendet das Züchten der Seidenraupen / die Kleinen sind wie Eure Kinder / kocht sie nicht für irgendjemandes Socken / Buddha sieht Euch…)
Die Metamorphose der Seidenraupe
In ihrem Leben durchläuft die Seidenraupe drei Stadien - von der kleinen, gefräßigen Raupe über die Verpuppung in ihrem Seidenkokon bis hin zum Schmetterling. Zunächst legt das Schmetterlingsweibchen des Seidenspinners etwa 300 bis 500 Eier. Innerhalb von 14 Tagen schlüpfen die Raupen, die sich dann selbst in einen Kokon mit einem Seidenfaden einspinnen.
Der Verbrauch
Über 6 kg frische Kokons sterben für 1 kg Filament-Seide. Filament ist Seide, die direkt vom Kokon abgehaspelt wird. 1 kg solcher Qualität ergibt 5 bis 6 T-Shirts. Anders ausgedrückt, 475 Seidenraupen erzeugen 1kg frische Kokons und benötigen dafür 30 kg Maulbeerblätter. Für ein T-Shirt sterben also rund 500 Kokons.