Smartphone V03 Dorfkrug Portrait

Was sie ist, was man mit ihr machen kann und wer sie überhaupt ins Leben gerufen hat und warum

Susanne Tenzler-Heusler

Vor ein paar Tagen ging eine neue App an den Start, die das klassische Versicherungs- und Finanzwesen auf den Kopf stellen möchte.  Die Dorfkrug-App verspricht Solidarität, Transparenz und nie gekannte Effizienz. Wir sprachen mit den drei Personen hinter der App unter anderem darüber, wie der Dorfkrug funktioniert, wie sie den Gemeinwohl-Gedanken integriert ist und wie wichtig heute der Datenschutz ist. 

 

Smartphone Landscape 01Thomas Kunz: CEO und verantwortlich für Management, Führung und Kommunikation

Quirin Münch: verantwortlich für Digitalisierung und Strategie

Ronny Tschörner: verantwortlich für IT-Systeme und Prozesse

 

Sie wollen das Versicherungswesen neu denken? Was meinen Sie damit konkret?

Thomas Kunz: Die Versicherungswirtschaft hat in Deutschland einen eher schlechten Ruf, und dass, obwohl die Deutschen Versicherungsweltmeister sind. Insgesamt gibt es in Deutschland 463 Millionen Versicherungsverträge (Quelle: GDV, PKV-Verband Zahlen von 2021). Jeder deutsche Haushalt hat im Schnitt mehr als sechs Verträge. 

Versicherung bedeutete vom Grundgedanken her, dass sich eine Gemeinschaft gegenseitig unterstützt. Diejenigen, die von einem Schaden betroffen sind, erhalten von dem eingesammelten Geld die Möglichkeiten, den entstandene Schaden zu regulieren. Problematisch bei herkömmlichen Versicherungen sind die Verwaltungskosten, die Provision und die Steuern, die aus den Beiträgen der Kunden bezahlt werden. Für die Regulierung der Schäden bleiben somit oft nur 50% der eingezahlten Beiträge. Das bedeutet einen Wirkungsgrad von 50%. 

Diesen Wirkungsgrad sehe ich als deutlich zu gering an. Die Grundhaltung, mit der hohe Provisionen gerechtfertigt werden, zeigt sich in einem populären Vertriebs Spruch: „Versicherung werden verkauft, nicht gekauft“.  Diese Haltung entmündigt die Kunden.

Neu denken bedeutet für mich, diesen Wirkungsgrad erheblich zu erhöhen. Mit der Dorfkrug App peilen wir einen Wirkungsgrad von über 95% an. Verwaltung und Bürokratie fallen weitgehend weg, es fallen auch keine Provisionen, Verwaltungskosten, Kosten für Rechtsstreitigkeiten oder Steuern an, da wir eine spendenbasierte Lösung gewählt haben.  

 

TK 1Wie sind Sie auf die Idee zur Dorfkrug App gekommen? 

Thomas Kunz: Ich beschäftige mich seit über 38 Jahre mit der Finanzbranche in unterschiedlichsten Funktionen. Im Moment arbeite ich als Geschäftsführer eines Versicherungsunternehmens. Als ich im Jahr 2015 überlegte, wie die Versicherungswirtschaft weiterzuentwickeln sei, wurde der Hund sehr guter Freunde krank. Friedel war nur wenige Wochen alt und musste operiert werden. Eine Tierkrankenversicherung gab es für Friedel nicht. Die OP und der Aufenthalt in der Tierklinik mussten aus eigener Tasche gezahlt werden. Ich fragte mich, wie ein System aussehen könnte, das die Vorteile der gegenseitigen Absicherung nutzt und nicht gleichzeitig einen Großteil des Geldes für den Verteilungsprozess des Geldes benötigt. Die Lösung war ein Zusammenschluss von Menschen, die sich gegenseitig zusichern, in Fällen, wie der notwendigen Tier-OP oder anderen finanziellen Schieflagen, füreinander einzustehen. 

Nach etwas Recherche fand ich heraus, dass die Ursprünge der Versicherungswirtschaft genau so funktioniert hatten. Menschen versicherten sich gegenseitig der Hilfe in Krisensituationen. Ob beim Wiederaufbau zerstörter Gebäude oder bei der Versorgung von Menschen und Tieren. So verteilen sich für Einzelne unangenehme Rechnungsbeträge auf viele Schultern. Da diese Verabredungen oft im Dorfkrug getroffen wurden, war der Name für die Idee auch klar.

 

Ersetzt der Dorfkrug jegliche Versicherung?

Thomas Kunz: Nicht automatisch jede. Eine Hausfinanzierung (Gebäudeversicherung gegen Brand) abzusichern, wäre noch etwas gewagt, die Bank wäre mit der Absicherung des Kredites über die Zusicherungsgemeinschaft noch nicht wirklich zufrieden. 

Aber alle Versicherungen(sparten), die von der Stiftung Warentest als „nice to have“ eingestuft werden können sofort von Dorfkrug übernommen werden. Mittelfristig ist aber auch mehr möglich.

Wenn bei Dorfkrug eine Gemeinschaft von 1.000 Personen über einen längeren Zeitraum nachweist, sich erfolgreich, sagen wir mal zu 85%, gegenseitig bei der Bezahlung von eingereichten Fälle und somit Rechnungen unterstützt zu haben, ergibt sich die Sicherheit durch gemachte Erfahrung und nicht durch vermeintliche vertragliche Absicherung. 

 

QMWie lange haben sie die App entwickelt?

Quirin Münch: Die ersten konzeptionellen Ideen haben wir 2018 entwickelt. Der komplette Prozess vom Prototyp bis zur Veröffentlichung dauerte bis 2023. Auf diesem Weg sind neben kreativen und technischen Modifikationen auch einige Anpassungen z.B. bei der Wahl des Finanzdienstleisters notwendig gewesen, um die sensiblen Finanzprozesse sicher über die App abbilden zu können. 

Die Entwicklungszeit hätte wohl auch kürzer sein können, aber wir wollten auf so einem sensiblen Feld unseren künftigen Nutzern 100 Prozent Qualität bieten und haben deshalb viel Zeit und Liebe zum Detail in das Produkt gesteckt.. Wir finden, dass sich die Geduld gelohnt hat. Jetzt freuen wir uns darauf, mit der Gemeinschaft die App im Praxistest optimieren zu können. 

 

Für wen haben Sie den Dorfkrug entwickelt? 

Thomas Kunz:  Dorfkrug ist für jede und jeden. Alle Lebensbereiche, die eine auf Gegenseitigkeit beruhende Hilfe vorstellbar machen, sind denkbar. Überall wo Geld fließt, lässt sich die Dorfkrug App nutzen. Natürlich wird eine Zielgruppen-Spezialisierung nötig sein, Gruppen werden sich nach Interessen, Hobbies und sonstigen Lebensbereichen zusammenschließen. Die Innovationskraft des Systems Dorfkrug wird hierbei jedoch an die Nutzer übertragen. Diese bestimmen, für welche Ausrichtung und Ausprägung die App genutzt wird. Spezielle Zielgruppen, die von einem gleichartigen Risiko bedroht sind, können sich genauso zusammenfinden, wie Gruppen die gemeinsamen Interessen verfolgen.
Im ersten Fall können das Tierbesitzer sein, die sich gegenseitig bei der Begleichung der Tierarztrechnung unterstützen, im zweiten Fall Musikbands, die sich gegenseitig Finanzhilfe für Investitionen in z.B. Instrumente oder Aufnahmen geben.

 

Was heißt für Sie Gemeinwohl? 

Thomas Kunz: Gemeinwohl bedeutet, dass sich die wirtschaftlichen Interessen dem Wohl einer Gemeinschaft langfristig unterordnen. Gewinn erzielen ist unter dieser Leitlinie für ein Unternehmen eine Nebenbedingung und nicht der Hauptunternehmenszweck. Am besten beschreibt das der Spruch: „Geld kannst du nicht essen.“ Wir dürfen die Ressourcen der Erde nicht durch Profitgier vernichten.  Der Erhalt der Ressourcen muss den wirtschaftlichen Interessen untergeordnet sein.

Das aktuelle System ist mit Globalisierung, Klimawandel und Auswüchsen wie dem überbordenden Finanzkapitalismus an seine Grenzen gekommen. Wir brauchen eine neue Art des Wirtschaftens. Die Gemeinwohlorientierung bietet gute Ansätze, sich da weiter rein zudenken. Sie dient als Reibungsfläche für die notwendigen zukünftigen Entwicklungen. 

 

Beschreiben Sie den Dorfkrug in einem Satz? 

Thomas Kunz: Vertrauen statt Versicherung! Im Dorfkrug hilft (sich) die Gemeinschaft 

Quirin Münch: Die richtige Alternative zur richtigen Zeit. 



Was haben Sie davon? Was ist das Geschäftsmodell (auch im Hinblick auf herkömmliche Versicherungen)?

Thomas Kunz: Das Geschäftsmodell ist auf die direkte Überweisung der Spenden von Konto „Nutzer A“ auf Konto „Nutzer B“ angelegt. Wir haben keinen Zugriff auf Geldmittel. Dorfkrug ist ein spendenbasiertes Zusicherungssystem. Die Nutzer sichern sich gegenseitig freiwillig Unterstützung zu. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen ist die Grundlage der Geschäftsidee. 

Durch die Gestaltung und das Wachstum der Gruppen können wir Missbrauch verhindern. Gruppenzutritte sind ab einer Größe von 333 Personen nur noch über eine Einladung eines Mitgliedes dieser Gruppe möglich. So kennen sich die Gruppenmitglieder gegenseitig. Eine Historie über das Verhalten in der Gruppe und somit eine Einschätzung der Reputation ermöglicht darüber hinaus gegenseitige Transparenz. Unsere Gebühr von 50 Cent (für Sammel- oder Einzelüberweisungen) bildet die Grundlage unserer Einnahmen. Ein Teil der Gebühr geht weiter an unsere Zahlungsdienstleiter, die den sicheren Geldtransfer gewährleisten. Das Geschäftsmodell leistet in erster Linie einen Beitrag zum Gemeinwohl und ist „im klassischen Sinne“ bei einer sehr hohen Skalierung des Systems wirtschaftlich.

 

Hat Ihnen persönlich der Dorfkrug schon geholfen? 

Quirin Münch: Die Zusammenarbeit, Kreativität und die Entwicklung der App hat mir besonders hinsichtlich des Ursprungsgedankens des Gemeinschaftsprinzips die Augen geöffnet. Eine App entwickeln zu dürfen, die dem Gemeinwohl zuträglich ist und komplexe Strukturen einfach denkt, finde ich sehr motivierend. 

 

Nehmen wir folgenden Fall an: meine Katze hatte Streit mit einer anderen Katze. Beide verletzten sich gegenseitig. Die Tierarztkosten belaufen sich auf 500 Euro. Ich habe das Geld nicht. Was nun? 

Thomas Kunz: Gegenseitige Hilfe funktioniert in unserem System in der Reihenfolge, Gruppe gründen, Mitglieder finden und dann Hilfe anfordern und erhalten. Das bedeutet für den vorliegenden Fall: Wenn die beteiligten Katzenbesitzer:Innen bereits im System Dorfkrug Mitglied entsprechender Gruppen sind, dann wird der Fall eingestellt und die Gemeinschaft hilft bei der Begleichung der Rechnungen. Falls noch keine Mitgliedschaft in einer Gruppe besteht, kann die Katzenbesitzer:In  einer Gruppe betreten und die Tierarzt-Rechnung als Fall einstellen und erhält Unterstützung. Wenn es keine entsprechend Gruppe gibt, kann die Katzenbesitzer:In eine Gruppe gründen, weitere Mitglieder werben und anschließend den Fall zur Begleichung der Arztkosten dort einstellen und erhält anschließend Unterstützung.

 

Ronny Tschoerner 1Zum Thema Datenschutz der User gibt es bekanntlich immer Fragen, wie schaut das in dieser App aus?

Ronny Tschörner: Sobald mit einer App personenbezogene Daten verarbeitet werden, muss der App-Anbieter die gesetzlichen Regelungen zum Datenschutz beachten, vor allem die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Wir sind für deren Einhaltung verantwortlich!

 

Was darf die App mit meinen Daten machen?

Ronny Tschörner: Gratis-Apps finanzieren sich häufig darüber, dass der Anbieter die personenbezogenen Daten verwendet und das Nutzungsverhalten auf dem jeweiligen Gerät auswertet. Die Daten können dann zum Beispiel durch den Verkauf passgenauer Werbeplätze oder den Verkauf der Daten verwertet werden. Das ist bei unserer App nicht der Fall! Wir finanzieren die Plattform durch einen Teil der Gebühren in den jeweiligen  Transaktionen. Der Datenschutz wird durch unseren Finanzdienstleister dargestellt

 
Fotos:
©

Info:

Die App „Dorfkrug“ ist für Apple und Android verfügbar.   

Detaillierte Informationen und Modellrechnungen sind auf der Website www.dorfkrug.org zu finden.