Projektstart mit Praxispartnern – Frankfurter Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur leitet Forschungsverbund
Eicke Holly
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Viele Pflegekräfte steigen aus ihrem Job aus. Sie sind frustriert von ihrem Arbeitsalltag, der oft durch Dokumentation der geleisteten Arbeit bestimmt wird und zu wenig Zeit für die Pflege lässt. Wie können die Pflegekräfte ihre Arbeitsabläufe stärker aktiv mitgestalten?
Darum geht es in einem Projekt unter Leitung des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität, das mit 1,3 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms „Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln“ finanziert wird.
Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des IWAK werden gemeinsam mit Kolleginnen der Universität Witten/Herdecke und drei hessischen Praxispartnern in den nächsten drei Jahren innovative Lösungen entwickeln. Die Auftaktveranstaltung des Projekts „Arbeitsprozessintegrierte Kompetenzaktivierung und -entwicklung in der Pflege“ – kurz AKiP – findet am 16. März (Montag) auf dem Campus Westend statt.
Die Lage hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr zugespitzt: Einsparungen in Krankenhäusern und Altenheimen sowie bei ambulanten Diensten führen zu einem enger getakteten Arbeitsalltag. Gleichzeitig müssen die Pflegekräfte zunehmend alte Menschen mit komplexen Krankheitsbildern und Demenz betreuen; häufig gibt es keine Angehörige, die Unterstützung leisten können. „Die Folgen dieser komplexen Anforderungen und der Arbeitsverdichtung zeigen sich in Abwanderung aus dem Beruf, einem schlechtem Berufsimage und einer hohen Krankheits- und Burnoutrate“, so Dr. Christa Larsen, Geschäftsführerin des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK). „Damit ist ein wichtiger Bereich in unserer Gesellschaft einem hohen Risiko ausgesetzt. Denn wir brauchen jede Pflegekraft und müssen deshalb dringend etwas tun, was in der Praxis wirklich hilft“, ergänzt Oliver Lauxen, wissenschaftlicher Mitarbeiter des IWAK.
Der Kostendruck im Gesundheitswesen ist enorm und die wirtschaftlichen Auflagen werden immer dominanter –das spüren die Pflegekräfte täglich. Doch wie lassen sich ökonomischen Zwänge im Arbeitsalltag abfedern? Wie können Pflegekräfte das Heft des Handelns wieder in der Hand nehmen? „Pflegekräfte brauchen dringend solche Kompetenzen, die ihnen helfen, aus der Vielfalt der komplexen Anforderungen zu selektieren, d.h. zu entscheiden, was sofort zu erledigen ist, was delegiert und was eventuell auch weggelassen werden kann“, sagt Larsen. „Wer dies schafft, der bleibt in seinem Beruf gesund und zufrieden“, ergänzt Lauxen. Die Erfahrungen von Pflegekräften werden in den bisherigen Arbeitsläufen viel zu wenig berücksichtigt, wissen die Experten – auch das erhöht die Frustration im Job. „Das soll in diesem Projekt anders laufen“, verspricht Larsen.
Gemeinsam mit den Praktikern sollen im tagtäglichen Arbeitsablauf Kompetenzen wie Priorisierung, Abgrenzung und Selektion eingeübt werden. Dazu gibt es bereits erste Konzepte in der internationalen Kompetenz- und Arbeitsprozessforschung. Diese Ansätze sollen genutzt werden, um ein spezifisches und innovatives Konzept für die Pflegebranche in Deutschland zu entwickeln. Das geschieht in Kooperation mit Prof. Ulrike Höhmann, die eine Professur für multiprofessionelle Versorgung chronisch kranker Menschen an der privaten Universität Witten/Herdecke innehat.
Um das Konzept in die Praxis zu transferieren, wirken drei Praxispartner in dem Forschungsverbund mit. Jeder repräsentiert einen Pflegesektor: Der Krankenhausbereich wird durch die Hochtaunus-Kliniken in Bad Homburg vertreten, die Altenheime durch die Gesellschaft für diakonische Einrichtungen in Hessen und Nassau in Darmstadt und die ambulanten Dienste durch die Häusliche Kranken- und Seniorenpflege Thomas Rehbein aus Wiesbaden. Bis Ende 2017 wird ein Handlungsleitfaden für die Pflegepraxis entwickelt. Erfahrungen und Konzepte aus dem Forschungsprojekt sollen möglichst breit gestreut werden. Ein mehr als 20-köpfiger Beirat, in dem u.a. Experten aus der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, den Gewerkschaften und den Verbände der Altenhilfe sowie den Krankenkassen und der Politik vertreten sind, trifft sich in den kommenden drei Jahren regelmäßig an der Goethe-Universität, um das Projekt fachlich und strategisch zu begleiten.
„Das Projekt zeigt, wie die Praxis von gesellschaftswissenschaftlicher Forschung profitieren kann“, stellt Prof. Birgit Blättel-Mink, Soziologin und Direktorin des IWAK, fest. Gerade Einrichtungen wie das IWAK stehen seit vielen Jahren für diese Form des hochschulischen Wissenstransfers der Goethe-Universität in die Region und in Hessen.
Hintergrundinfo:
Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 gegründet mit rein privaten Mitteln von freiheitlich orientierten Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern fühlt sie sich als Bürgeruniversität bis heute dem Motto "Wissenschaft für die Gesellschaft" in Forschung und Lehre verpflichtet. Viele der Frauen und Männer der ersten Stunde waren jüdische Stifter. In den letzten 100 Jahren hat die Goethe-Universität Pionierleistungen erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Chemie, Quantenphysik, Hirnforschung und Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Heute ist sie eine der zehn drittmittelstärksten und drei größten Universitäten Deutschlands mit drei Exzellenzclustern in Medizin, Lebenswissenschaften sowie Geisteswissenschaften."