Schwieriges Umfeld für Politik: Planungsdezernent Cunitz und Immobilienwirtschaft halten sich moderat beim „Wohn-Dialog“: 'Wohnen für alle' eine Utopie?“, 25.03.2015 IMMOB Teil 2
Heinz Markert
Frankfurt am Main – (Weltexpresso) Etwas 'Neugutes' ist zu vermelden: die Milieuschutzsatzung für Frankfurt am Main ist qua Parlamentsbeschluss in Kraft, zunächst für Bockenheim, wo Investorendruck im Vormarsch ist. Bis zum Frühjahr 2016 ist die Einrichtung dieser Schutzvorrichtung für weitere Stadtteile geplant. Damit könnte den Luxussanierungen und Umwandlungen in Eigentumswohnungen Paroli geboten werden.
Das Allgemeinzuständliche
Es gilt: die Politik steht unter dem Druck eines privat-ökonomischen, von Anlegerinteressen getriebenen Bauens, befindet sich im Defensivbereich. Das ist Folge des Credos, das Rot-Grün in den Gerhard-Schröder-Jahren mehr oder weniger dogmatisch übernommen bzw. erfüllt hatte, weil es dem Zeitgeist entsprach: Privat geht vor Staat. Die Finanzkrise hat daran nur wenig geändert, die Interdependenz von großen Geldvermögen und fiskalisch schwachem Staat bzw. Parlament bleibt ausgeblendet, man findet sich im Gefolge der Finanzkrise irrationalen Zeitläufen alternativlos ausgeliefert.
Cunitz hielt sich im Dialog mir den Vertretern der Immobilienwirtschaft immer in Wehrstellung, ließ sich aber den Schneid nicht abkaufen – was immer auch die Realität noch bringt –, er hielt sich unbeirrt im Rahmen seiner Möglichkeiten gegen die indirekt und vermittelt in Stellung gebrachten Gruppeninteressen der Privaten.
Für den kritischen Beobachter stellt sich die Frage, ob denn in dieser großen Welt der immer bedrängteren sozialen Gemeinwesen das privatwirtschaftliche Reditekalkül über Form und Struktur eines neu erstehenden Stadtteils – wie dem Europaviertel - befinden dürfen sollte. Ob die Politik selbst noch in der Lage ist, diesen dem geschichtlich alten Menschenwesen nicht günstig gestimmten Interessen zu widerstehen. An den schon erstandenen Bauten der letzten wenigen Jahre fällt auf, dass sie – bis auf wenige Ausreißer – einen charakteristischen Kasernen- und Verwahrarchitekturcharakter aufweisen, dass Begegnungszonen stiefmütterlich gehalten sind und es an Abenteuerraum für Kinder - Motto: Dickicht und Dschungel - fehlt, obwohl dies so wesentlich für Kinder ist. IMMOB Teil 1 sprach von viel von gutem Umfeld und Begegnungsplätzen in der Wiener Solidarökonomie des Bauens – um noch einmal an den Kontrast zu erinnern. 30 Prozent gemeinnützige Bauten sind für eine grüne und umweltstädtisch geplante Großstadt wie Frankfurt zu wenig.
Es herrscht ein Webfehler der Stadtpolitik, die sich das Heft über Jahre hat aus der Hand nehmen lassen oder es selbst, aus welchen Gründen auch immer, abgegeben hat. Warum wird nicht an die Epoche von Ernst May angeknüpft und eine städtische Entwicklungsgesellschaft gegründet, die selbst federführt und den Laden schmeißt? Die EZB stellt das günstige Geld bereit. Der Vorteil wäre, dass eine übergeordnete Planung im Architektursinn durchsetzbar wäre. Problem nur: Ressourcen hierfür wurden abgebaut, das entsprach der neuen Losung. Es fehlt an einer gemeinschaftlichen Kraft der Politik.
Was es braucht
Es braucht ein stark organisiertes Gemeinwesen, also Politik, BürgerInnengruppen, Genossenschaften und einen starken Staat, der Geldschwemmen nicht auf die Börse und in die Spekulationen des Schattenmarktes lenkt, oder in eine Immobilienblase für Gutbetuchte, sondern in die Entwicklung des Gemeinwesens investiert.- 'defacto' vom 01.04.2015 verbreitete, dass Olaf Cunitz den Privaten, nicht aber den Genossenschaften den Vorzug bzw. Zuschlag gebe. Schon hier überwiegt eine selbstvertrauenslose Mißtrauenskultur der modernen Obrigkeit gegenüber den bestimmt und ambitioniert auftretenden Nichtmehruntertanen des Internetzeitalters. Ein Problem liegt auch in der Grundstücksvergabe: sie darf sich nicht gewinnorientiert am Markt orientieren, es braucht eines Förderabzugs, der sich kurz- und langfristig gesellschaftlich rechnet. Infrastrukturinvestitionen müssen auf das kommende Sozialprodukt und die zukünftige Wirtschaftsleistung bezogen werden, dann sind sie auch gerechtfertigt.
Frankreich lieh sich bis in die Siebziger Jahre Geld für Nettoinvestitionen direkt von der Zentralbank, bis man dazu überging, das Geschäft die Banken machen zu lassen. Wäre es beim alten Zinssatz geblieben, dann hätte es nicht den exponentiellen Zins- und Zinsesezinseffekt gehabt, an dem heute die Gesellschaften auch leiden – sollen!
Der Dialog um den Frankfurter Kulturcampus, eine genuin gesellschaftliche Angelegenheit der BürgerInnengesellschaft F-Bockenheims, ist ins Stocken gekommen. Was fehlt, sind kommunale Ressourcen – sachliche wie menschliche - und Strukturen, auch Mittel, die eigentlich gesellschaftlich erwirtschaftet sind – nur eben fehlallokiert -, um Stadtteile oder areale Projekte zu entwickeln. Einzelne Zampanos oder alteingefahrene Interessengruppen des Geldes oder der Ideologie vermögen das nicht zu leisten. Weit- und Langsicht ist gefragt. Es wäre ein freier und mutiger Geist an der Zeit.
Der Wohn-Dialog im Disput
Im 'Wohn-Dialog', anberaumt im Gesellschaftshaus Palmengarten, waren im wesentlichen vertreten: Olaf Cunitz, Bürgermeister und Planungsdezernent; Ludger Stüve, Regionalverbandsdirektor, von 2001-2012 Bürgermeister der Gemeinde Schöneck; Jürgen Conzelmann, von Conzelmann Grundstücksbeteiligungsgesellschaft; Axel Kaufmann, Ortsvorsteher für F-Bockenheim, Kuhwald, Westend - und Banker.
Frankfurt am Main ist als Wohnstadt gefragt. Nicht nur, weil sie Arbeitskräften Unterkunft gibt, sondern auch weil sie Kultur zu bieten hat. Es gibt einen Zug auch in die Gegenrichtung, aus der Großstadt ins Umland, z.B. in den Wetteraukreis oder Main-Kinzig-Kreis. Er beläuft sich auf neuerlich 27.475 Vorgänge insgesamt (nach Hermann Immobilien). Ältere zieht es zurück in die Stadt, aber auch gegenläufig hinaus in die Peripherie. Für Frankfurt sind nach städtischer Planung 30.000 Neu-Wohneinheiten für die nächsten 3 Jahre versprochen, Planungsrecht besteht für 12-13000. Es stehen vor allem Konversionsareale, aber auch gewisse Ackerflächen zur Verfügung. Die Frage der Akzeptanz in der bestehenden Bevölkerung ist eine Herausforderung. Was ist machbar, wo sind die Grenzen des Wachstums? Der Begriff 'Wachstumsstandort Frankfurt' fiel, ein sprachlich obsoleter Ausdruck, der wenig sagend und großsprecherisch ist.
Nachverdichtung für ein Mehr an Wohnraum wurde nicht erst jüngst Formel. Baulückenerlaß, Liegenschaftsfond und gemeinschaftliche Projekte sind Stichpunkte, deren Näheres die Netzrecherche liefern kann. Ein öffentlicher Euro zieht etliche private nach. Soziale Infrastruktur und gefördertes Wohnen sind drängende, existentielle Themen. Die Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerungen durch die Prozesse der Gentrifizierung, weltweit vor sich gehend, wurden zu einem zu Recht heiß gegessenen Thema. Um 2012 mehrten sich die Artikel hierzu sprunghaft. Schäden schlug die Finanzkrise mit ihren Auswirkungen auch auf die kommunalen Finanzen. Ein Deal des Ausgleichs mit den dafür Verantwortlichen ist niemals zum Thema geworden, auch ein Versäumnis der Politik, die auf Alzheimer bei den Betroffenen rechnet. Die Politik kuscht vor diesen Kreisen.
Der Anteil der Anleger liegt bei 30%. Wie man vom Angstsparen spricht, so lässt sich andererseits von der Magie des Betongoldes reden. Ob es nicht ebenso der Angst- und Unsicherheitsbewältigung dient? Verbandsdirektor Stüve und Ortsvorsteher Kaufmann vertraten in ihren Diskussionsbeiträgen mehr den vernetzten Ansatz, redeten aus ihren Erfahrungen und Versuchen, etwas schlichtend und konstruktiv zu regeln, wenn Verdrängung am Werk ist. So etwas wie 'Eastgate Living' lag mehr dann im Interesse von Hermann Immobilien. Es ist nicht ohne zwiespältigen Reiz, zu vernehmen, wie eine bestehende Welt in Planung gerät und umgemodelt wird, als ob vorher jeweils an der Stelle nur Niemandsland gewesen wäre. Auf gedeihliches Entwickeln für Menschen aber kommt es an. Die Vertreterinnen und Vertreter der härteren Wirtschaftsliga legen allzu leicht Weh und Klage ein wegen angeblicher Überregulierung und Behinderung (wie im Fall auch der Mindestlohn-Aufzeichnungen), etwas von Zwangsbewirtschaftung durch Staat und versammelte Gesellschaft klingt an. Doch aber sind die Erträge der Handelnden nicht die schlechtesten.
Ein widersprüchliches Geflecht – wohin treibt es?
Immerhin steht doch der Ortsvorsteher redlich mehr auf der Seite von Polizist, Krankenschwester und Reinigungskraft, Leuten also, die als Basisdienstleister Teil der Gesellschaft sind, der in Frankfurt noch eine bezahlbare Wohnung finden sollte. 'Grundstück' Conzelmann rechtfertigt ausdrücklich die zu erhaltenden Bestände, aber es seien zu wenige da. Also bauen, bauen, bauen. Auf dem Henninger-Gelände entstehen Luxuswohnungen, wie auch in jedem der neuen Baugebiete erheblich an Zahl. Das ergibt das Sahnehäubchen auf dem Renditekuchen. 70 Prozent privat finanziert und im Preissegment bei 4000 Euro/qm bedeuten: Zurückweichen vor dem Druck der Gentry. Hätte hier nicht mehr herausgeholt werden können oder stand die Koalitionsdisziplin dagegen? Sind die mittleren Einkommensbezieher nicht in der Gefahr, von der Schuldenfalle eingeholt zu werden? Wer kennt schon kommende Zeiten? Ob die Mittelstandskinder die ererbten Wohnungen dereinst werden nur halten können?
Die erweiterte Kappungsgrenze für Mieterhöhungen beträgt nach der aktuellen Gesetzeslage 20 Prozent auf drei Jahre. Neubau (auch wiedervermieteter) sowie umfassende Modernisierungen bilden generell die Ausnahme. Wo kein Kläger gegen Verstöße ist, kann das, was der Markt hergibt, exekutiert werden. Die Nachbarschaft liefert uns Beispiele dieser Art. Herr Conzelmann sprach von einer 'mords' Preisentwicklung. Dem nicht eingleisig gepolten Bürger entsteht der Eindruck, dass die Welt jetzt Planspiel ist mit den Menschen als Marionetten, die im großen Laborversuch getestet werden.
Die gegensätzlichen Interessen zwischen Politik und Immobilenbranche wurden im Dialog relativ moderat gepflegt. Man kennt sich. Es ist merkwürdig für einen an der Frankfurter Aufklärung geschulten Zeitgenossen, wie wenig wirklich kooperativ und über den eigenen Tellerrand hinaus in den wesentlichen und gattungsmäßigen Zusammenhängen gedacht und geplant wird. Ob es da nicht doch eine zauberlehrlingshafte - siehe Goethes Faust - Rolle des überreichlichen Geldes gibt, die den Blick vernebelt und die Vernunft verstellt?