Beitrag zu Ideologie und Elend der Entwicklung neuer Wohngebiete - ADFC-Tour durch die neuen Frankfurter Stadtteile; Teil 1/2

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Im Bausektor ist Power am Werk, aber sie verpufft leicht oder gerät auf schlechte Wege, versinkt im Sumpf der Architektur als Ideologie, durch Profitaussichten angespornt. Es fehlt die übergreifende Idee, etwas wie Grips bei der Sache.

 

Das erforderte ein vielfach interdisziplinäres Entwickeln, das Zeit und Muße braucht. Nur mit Geld und Kapital reicht es vorne und hinten nicht. In Österreich gibt es indes eine lange und erfolgreiche Tradition der heilsamen und gedeihlichen Art des Schaffens von Wohnraum: die öffentlich fördernde und gemeinnützige Wohnraumpolitik. Vergleiche die Links unten.

 

 

Götze Wohneigentum

 

In Zeiten, die von Unsicherheit gekennzeichnet sind und aufgeladen mit Konflikten, ist Immobilienbesitz umso gefragter; als ob die Immobilie Sicherheit gewährleisten könne gegen die Wechselfälle von Arbeit und Leben oder gegen die Unkalkulierbarkeit, die das gesellschaftliche System bereithält. Ein Urreflex bricht sich Bahn. Man und frau will sich mit Refugien und gleichsam Schutzräumen Sicherheiten zulegen. Aber das schafft zusätzliche Risiken. Reiche Griechen begeben sich auf Märkte im Norden, um sich dort mit der Göttin Sekurität auf einem erhitzten Sektor gegen mögliche unruhige Verhältnisse rückzuversichern. Das war 2013 tatsächlich zu erleben. Architektur als Zuflucht und Festung. Wer die Finanzen stemmen kann, geht mit, selbst wenn das Familienbudget überzogen wird und es ganz eng wird. Diese Abhängigkeit aber bindet und macht unfrei.

 

Immobilienbesitz bleibt in jedem Fall aber doch das, was die Motten und der Rost fressen. Die Sicherheit der eigenen vier Wände bleibt ein Trugschluss. Wer die Finanzierung durch hat, steht vor der nächsten Erneuerung, wenn nicht gar Sanierung. Dirk Müller meint, dass Schulden nie wirklich eigentlich zurückgezahlt werden können. Werden Nachkommen das ihnen Zugefallene halten können oder landet es auf dem Markt der Spekulation, die dann gerade ausbleibt, gar konterkariert wird? In Villengegenden der Fünfziger und Sechziger Jahre finden sich zunehmend aufgegebene, gleichsam abgeschriebene, von Erben nicht angenommene Anwesen. Die haben keine Zeit oder nicht die nötigen Mittel. Über Jahre lagern Kartons unter dem Eingangsdach.

 

Das überzeichnet angestrebte Besitzenwollen von Wohneigentum ist ein intellektuelles Ungeheuer. Es hat seine begrenzte Zeit – es reicht nur soweit, wie die Kinder noch nicht flügge und dem Haus entfleucht sind. Für Kinderlose ist es ganz verfehlt. Manche trennen sich kurz nach dem Erwerb. Die Altvorderen hocken später in Wohnungen oder Häusern, die ihnen zu groß wurden und die die Jungen nicht selten für unzeitgemäßen Schamott halten oder zumindest gar nicht nicht schätzen. Dann wird er also nach 30 Jahren auf den Markt der Spekulation geworfen, die dann vielleicht gerade nicht greift oder zusammengebrochen ist. Denn Zeiten und Verhältnisse ändern sich eben bislang unabwendbar. Wie und wo wollen, ja müssen Nachkommen denn später leben und sich reproduzieren? Werden sie nicht gar weit fortziehen und auf interkontinentalen Wegen 'wandeln' müssen?

 

Langfristig ist zu groß geratener Wohnraum, das Schloss im Neubaugebiet ein Fluch. Wer bosselt schon gern endlos am eigenen Heim, gar Schloss herum, oder lässt bosseln. Wer will später, wenn die selbstbestimmte Zeit umso wichtiger geworden ist, sich noch mit den Zerwürfnissen auf Eigentümerversammlungen konfrontieren, wenn man mal wieder sich nicht einig ist, ob energetisch saniert werden soll oder nicht. Diejenigen, die souverän verfügen und finanzieren können, sind erst recht dem Fluch ausgesetzt, denn selbst jene, die sie vorausschicken und die sie für sich handeln oder verwalten lassen, wollen kontrolliert sein. Ohnehin: der Finanzkram und das Verwaltungsmäßige wird zur Fessel. Da ist dem bequemen Mieten von öffentlichem Wohnraum der Vorzug zu geben. Dieser wird durch die Verantwortlichen einfach weitergereicht.

 

Wenn neue hinzugekommene Areale zur Verwertung anstehen, sollten Städte die Entwicklung selbst in die Hände nehmen und dies nicht Privaten überlassen; denn die handeln nicht im Interesse des allgemeinen Guten. Der Gemeinnützigkeit und Gemeinwirtschaftlichkeit ist der Vorrang zu geben. Es gibt ehrbare Baugesellschaften, die auf sozialen Wohnungsbau spezialisiert sind und einem gediegenen, langfristig angelegten, wohlverstandenen wirtschaftlichen Interesse nachgehen. Bürgerinnen- und Bürgergruppen, die heute gut gebildet und vorinformiert sind, sollten als Partner der Kommune akzeptiert werden und immer mehr einbezogen werden. Eine Idee von humaner Architektur, die auf viele Jahre und Jahrzehnte hin angelegt ist, sollte den Vorzug haben. Der zu geringe Anteil an öffentlicher Förderung - von 30 Prozent - bei der Finanzierung der neuen Frankfurter Stadtteile müsste – der Stadt Wien entsprechend – auf 70 Prozent erhöht werden. Das sollte auch im Europaviertel Anwendung finden.

 

 

Die Baubranche - eine gänzlich unharmlose

 

Den meisten Bauherren, Finanziers und privaten Absicherern ist Bauen und Wohnen kein laszives Herangehen, ein allgemein anzustrebendes Lebenlassen hat für sie kaum Gültigkeit und Wert. Das Ding muss schnellstens in schwerer Not durchgezogen werden, nicht endendes Richten und Rechten, ob es sich für den Profit rechne oder nicht, kann nicht ausbleiben. Es wird mit dem spitzen Stift gerechnet. Dementsprechend sehen die Städte und Stadtgebiete auch aus.

 

Das Hauptgegenargument, das gegen eine überhitzte Baukonjunktur zu richten ist, betrifft das heute über allem andern stehende Dogma der Gewinnmaximierung. Gefördert auch durch die Prestigeorientierung bei denen, die nachfragen, die sich damit ausliefern, finanziell oder baulich, gleich ob sie vermieten oder eigenwohnen. Dem kann nur wenig Gedeihliches entspringen. Allerorten wird jetzt das Eigenrecht der Kunst und Ästhetik am Bau und durch den Bau dem Profit geopfert. Das war mal anders. Aber jene Zeiten sind vorbei: Böcklinstraße, Tischbeinstraße, Franz Lenbach-Straße – ergreifendes Malerviertel - was sagt uns das noch in der Epoche nach der Substanz - der Funktion also? Schaut einmal wieder hin, damals hat man angestrebt, das Summum Bonum ins Bauwerk hinein zu gestalten.

 

Kritiker des heutigen Spiels sollten sich keinesfalls auf die schlicht ökonomische Argumentationskette einschwören und festnageln lassen. Das Wehklagen wegen der Kosten, das Gejammer um die Bürokratie, die hemme, ist lobbyistisches Gerede. Dreißig Prozent verdienen kaum genug zum Leben – wo immer sie arbeiten - und sollen sich keine Kultur mehr leisten dürfen, die Zinsen sind nahe bei null. Hier schlägt die Stunde der Kapitalsammelstellen, da der Run aufs prestigeträchtig exklusive Bauen sich als Hauptkriterium erweist und genug Reserven drin sein müssen, um die Maximalrendite, sowohl bei den Ausführern als auch bei den potentiellen Käufern zu realisieren. Prestigeträchtig am Bau gewirkt zu haben, will man dereinst den Globus verlassen. Für wessen Meinung über einen aber denn eigentlich?

 

Mit der inhaltslosen Finanzgetriebenheit ist auch eine Unmäßigkeit ausgebrochen, die die Potentiale der Vergangenheit und das geschichtlich Gewachsene an Mensch, Wert und Umwelt niederzuwalzen bereit ist. Erst wird's gekauft, dann wird’s überfahren, z.B. der Charme der alternativen Subkultur im lauschig-verwunschenen Kiez. Für einen bedachtsamen Umgang mit Menschen bedarf es einer Gesamtplanung auf der Höhe der Zeit - der Wissenschaft, der gesellschaftlichen Verfasstheit und der Zukunftsfestigkeit. Ästhetische Maßstäbe und das Anschließen an Vergangenheiten dürfen kein Verfemtes oder Obskures, aber auch kein nur beiläufig Beschworenes sein.

 

Frage: was wäre, wenn heute im Geist der Gründerzeit oder des Jugendstils mit all der Detailverliebtheit, die für jene Epoche typisch war und vom großzügigen Entwickeln eines Wohnkunstwerks geprägt war, gebaut würde - analog natürlich, nicht im Sinne eines bloßen Remake. In Offenbach kann eine kleine Zeile dieses damaligen Verständnisses mit dem Fahrrad am Bahndamm erkundet werden (wie mit dem ADFC gegen Schluss noch geschehen). Vorbeirauschende entzückten sich im Vorbeifahren sofort - Sehnsucht heftet sich an diese Bauten. Könnte es sein, dass wir so sehr dehumanisiert sind, dass wir Vergleichbares einfach nicht mehr hinbekommen? Hatte Adorno also doch recht als er vom Nachlassen der ästhetischen Kraft sprach? Fortsetzung folgt.

 

 

INFO:

 

Die Links von oben:

 

http://www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag/video/2354216/Versagt-die-Mietpreisbremse?

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/messe-a-maerkte/4601-wien-du-hast-es-besser-als-frankfurt

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/messe-a-maerkte/4602-webfehler-im-wohnbereich-selbstinteressenvertretung-statt-gemeinsinn