Eine Exkursion durch die neu errichteten Frankfurter Stadtteile mit dem ADFC, Teil 2/2
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Am letzten Samstag fuhr frau und man mit dem ADFC die neuen Stadtteile in Frankfurt ab, einfach auch um erneut zu sichten; auch wenn alles zu Sehende schon nicht mehr ganz neu ist und auch wenn 'nur erneuert', d.h. weitgehend sach- und denkmalgerecht restauriert wurde, oder noch wird - wie im Riederwald.
Überall wird gebaut oder schon Gebautes verändert. In Frankfurt fehlt es an Wohnraum, der für die überwiegende Mehrheit – auch im Maßstab der Gesamtlebensverhältnisse - bezahlbar bleiben muss. Mit jedem Mal Abfahren des schon nicht mehr ganz Neuen lässt sich eine neue Sinnspur finden, entdecken oder in die Gänze des Entstandenen hinein schlagen. Der Fahrstreckenführer, der uns leitete, war ADFCler und zugleich einer, der beruflich Mietern hilft, also im Wohnfach beheimatet ist.
Riedberg
Die Tour ging zunächst auf den Riedberg. Er ist mit 6 000 Wohnungen für 15 000 Menschen das größte der neuen Baugebiete. 4 000 Wohnungen für 10 000 Menschen sind fertiggestellt. In Frankfurt fehlen relativ kurzfristig 50 000 Wohnungen. In den kommenden drei Jahren kommt ein umfangreicher Neubestand hinzu. Wegbereitend für die Riedbergbesiedlung waren die Neubauten bzw. Neugründungen für die naturwissenschaftlichen Fachbereiche der Universität: der Biologie, Chemie und Physik. Einzelne dieser Bauten überzeugen unvermittelt unter anderen mit dem Biologicum und dem Otto-Stern-Zentrum. Diese sind nicht von einer 08/15-Manier gezeichnet. Auch die Grundschule Riedberg nicht (Foto oben).
Die oberen Wohngebiete des Riedberg erscheinen größtenteils als eher dürftig; es handelt sich um eine eigentümliche Modearchitektur, die gesichtslos ist, mit der man sich nicht anfreunden kann; die zusammengewürfelt erscheint und auf Dauer sich 'sattsehen' lassen muss. Ganz anders wiederum verhält es sich mit den am südlichen Fuß des Riedbergs liegenden Repräsentanzbauten des Mertonviertels, die dort schon einige Jahre liegen. Hier wurde überwiegend explizit architektonisch kreativ gehandelt. Auf dem Riedberg gibt es in Hanglage mancherlei Solitäre und Villengebiete, die zum Teil in etwa der klassischen Moderne nahekommen oder auch einen synthetischen Stil aufweisen. Diese vermögen zu überzeugen. Sie sind flächenschluckender als die mehrstöckigen Bauten des oberen Allerlei.
Sie teilen das Gebiet aber auch in zwei Klassen. Das Meiste gehört dem Bereich des Verwahrens an, steht unter dem Einfluss der kasernenartigen Bauweise, mit zu wenig Grün und zu durchgeregelter residualer Natur im Anbetracht von Familien mit Kindern und Jugendlichen. Frankfurt benötigt eine eiserne Vorschrift für den Freiflächen- und Grünanteil, und zwar vornehmlich kinder- und jugendadäquat. Es kann nicht sein, dass das nur dem Bereich Verlegenheit angehört. Grün, im solitären Bereich nebenan, muss überall wohnungsnah zu erreichen sein, darf nicht abgeschnitten sein durch Verkehrsanlagen und trennende Schienenstränge. Oben auf dem Riedberg dominiert die durchaus teuer zu bezahlende, aufgeschichte Architektur der Kante und Großfläche. Eine schlaffe Sterilität lässt sich auf dem Kamm nicht verhehlen.
Preungesheimer Bogen
Nächster Haltepunkt zum Begutachten und Innehalten war der Preungesheimer Bogen. Von allen Neubaugebieten vermag dieser am meisten zu überzeugen. Ganz kinder- oder jugendlichengerecht ist der Bogen auch nicht. Die kahle Fläche in der Horizontalen wie Vertikalen herrscht zumindest teilweise auch vor. Anders verhält es sich mit den Villenarealen. Sie sind nicht spießig, vermitteln etwas von Dörflichkeit, die entspannend und beruhigend über allem liegt. Eine Holzhausreihe sticht, den Blick einfordernd, gleich heraus. Die Evangelische Kirchengemeinde überzeugt mit ihrer Architektur und hält Angebote für die Jugend bereit. Einzelne Stellen und Grünzüge zum Verweilen und für einen schweifenden Blick geeignet, der gelingt und haften bleibt, ermöglichen Eindrücke und Atmosphären, die so etwas wie den natürlichen Paradieszustand - aber mit Kultur vermittelt – im Ansatz simulieren. Stellen dieser Art gibt es in Frankfurt nur wenige. Renaturierung der Zivilisation ist hier das Motto.
Der Preungesheimer Bogen weist eine günstige Dehnung von Freiraum und Freifläche zwischen den Baukörpern auf und bietet gelingende Perspektiven mit breit gespannten Drauf- oder auch Durchsichten. Besonders reizvoll ist das Torhaus 'Herrenapfelstraße'; es ist nicht das einzige Element dieser Art im Umkreis. Auch das Kirchengemeindehaus hat etwas von Durchsicht und der Gravensteiner Platz. Auf dem Riedberg hat das Gymnasium auch etwas hiervon. Funktionsbauten haben fast immer einen höheren architektonischen Rang als die 'nur' zum menschlichen Wohnen genutzten. Ein wenig von Arkaden, bzw. von Arkadien, findet sich auch, es ist fern von dem, was Altbestände bieten, aber wenn die Proportion stimmt, kommt das hin. Das proportionelle Prinzip ist im Bogen gut eingehalten, auch um den Gravensteiner Platz.
Ein riesiges Plus ist die Anbindung mit der Linie 18 direkt bis in die Innnenstadt und der parallel geführte, gut befahrbare Fahrradweg gleicher Anbindung; bis auf die Verengung an der leider sehr autogeplagten Friedberger Landstraße.
Etwas wie Klotzcharakter ist im Preungesheimer Bogen weitgehend vermieden.
Weiter auf dem Weg: der Riederwald
Auf unserem Weg kamen wir auch am Hundertwasserhaus der Kita 130 vorbei. Da kam doch die Idee auf: was wäre, wenn Hundertwasser sich auf dem Riedberg hätte austoben können, was für ein gänzlich anderer Stadtteil zum Wohnen wäre dort entstanden. Das berühmte Humanum Ernst Blochs hätte tatsächlich wohl realisiert werden können. Man hätte ihn wenigstens zum Herren der Bauentwicklung machen können, der den Subalternen Anweisungen erteilt. Wie gesagt, es fehlt im postpostmodernen Bauen an einem Gesamtplan, der interdisziplinär angelegt ist und der auch die persönlich gestaltete Fensterumrandung (wie ehedem in Dietmar Schönherrs und Vivi Bachs abendlicher Sendung durch Hundertwasser konzeptionell eingeführt) als Richtlinie enthalten hätte.
Eher vorbei, aber doch auch noch schnell hindurch, ging es im Fall der Arbeitersiedlung Riederwald (1910 gegründet), neben dem Feuchtbiotop Riederbruch gelegen, das heute durch gigantomanische Verkehrsbauten bedroht ist. Diese Siedlung ist bis dato ein Vorbild für humanes öffentliches Bauen, das erschwinglich ist für den kleinen Verdienst, auch wenn die Gemächer heute als etwas zu klein empfunden werden dürften. Sie wurde vom Volks-Bau- und Sparverein Frankfurt am Main erbaut und ist im Gepräge des unverkennbar heimeligen 'Heimatstils' erbaut. Inzwischen mischt die ABG-Holding, schon viel kapitalnäher 'aufgestellt', mit. Die Gebäude und Züge werden nach und nach aufwendig und 'nahe dem Denkmal' saniert. Es gab eine Periode, die zum Abriss neigte und drängte, was aber durch zivilbürgerliches Engagement verhindert werden konnte (was bedeutet denn dann eigentlich nicht-zivilbürgerlich?).- Heute denkt man sich: schön, dass es diese Siedlung noch gibt und sie nicht dem Kahlschlagswahn anheimgefallen ist.
Die Hafeninsel
Über den Main nach Offenbach ging es dann recht holprig durch das Gewerbegebiet im Stadtteil Fechenheim. Die letzte Station wurde erreicht mit: die 'Hafeninsel', das Gebiet im gestreckten Umfeld der Mole. Früher war hier tatsächlich Hafen, als noch nicht mutwillig deindustrialisiert worden war. Hier werden vor allem Anleger angesprochen, die vermieten, aber auch Normalkäufer, die den überfragten Frankfurter Markt unterlaufen wollen.
Hier waren wir im Reich der Investorenarchitektur gelandet, mit der die bangen Reichen und die ein wenig zu was Gekommenen – hoffentlich bleibt es dabei - geködert werden. Investorenarchitektur heißt, dass Bauen nicht auch in einem Geist des Selbstzwecks von Ästhetik – wie zu Gründer- und Jugendstilzeiten – und im Dienst des Wohlergehens von Menschen und deren aufwachsenden Nachkommen erfolgt, sondern unterm Joch von Kapitalinteressen, die sich vornehmlich an Rendite und Gewinnmaximierung orientieren.
Fragwürdige Domination übt die gebogen gestreckte Massivwand direkt am Mainufer in Höhe der auslaufenden Mole aus. Sie war erzwungen durch den Umstand, dass am gegenüberliegenden Mainufer Firmen tätig sind, deren Lärm- und Geruchsemissionen die Wohnbauten auf Offenbacher Seite des Mains beeinträchtigen und rechtliche Streitigkeiten auslösen könnten. Der massive Riegel schirmt daher zum Main hin, seinem Luftraum und zum diesseitigen sowie gegenüberliegenden Ufer strikt ab. Blick auf den Main ist nicht mehr. An der Mainfassade liegen daher die versorgenden Räume der Riegelwohnungen; der Wohnbereich richtet sich ganz zur Mole hin aus. Ein Genuss des Mains und seines Uferbereichs samt Luft und Vegetation ist kaum möglich. Auf einen großzügigen Balkon kann nicht herausgetreten werden. Es gibt nur Zierbalkons und Applikationen, die der Wand in Sachen Optik einigermaßen gut tun. Ein schmaler Weg kann immerhin am Ufer begangen werden. Das Ufer droht im übrigen ohnehin viel zu sehr auszufallen durch die intensiv bebauten Flächen, die jetzt und kommend errichtet werden.
Offenbach hätte es gut getan, wenn hier weniger intensiv bebaut worden und ein größerer Anteil an Frei- und Erholungsfläche geblieben wäre. Letzteres hatte beim Ausbau von Grün- und Erholungsgebieten, z.B. auch an der Pouteaux-Promenade, in den Fünfziger und Sechziger Jahren in Offenbach Vorrang.
Der Massivriegel leistet also den Bauten, die an der Mole im Entstehen sind, Schutz und Schirm gegen eventuelle Beeinträchtigungen durch die Industrietätigkeiten von Frankfurter Seite her. Schade aber, dass die würfelförmigen Quader, die im Schutzbereich liegen, im Verhältnis zur Sanftheit der Mole viel zu brutal in Reihe geklotzt wurden . Dort prangt auch der Schriftzug 'Hafengold', der ganz unverblümt an Betongold bzw. Goldbeton assoziiert, um Bedarfte wie Unbedarfte magisch zum Kauf und Vermieten oder zum Selbstwohnen magnetisch anzuziehen.
Mit dem neuen, zur Bebauung ausgewiesenen Areal will das – übrigens durchaus zu Unrecht – viel gelästerte Offenbach in der Region wieder hochkommen, seinen Rang und Ruf erneuern. Ob das auf diese Weise gelingt, erscheint zweifelhaft. Dazu bedürfte es vor allem einer besseren Ausstattung der Kommunen seitens des Landes und des Bundes, nachdem über die letzten fünfzehn Jahre die Mittelallokation von den Arbeitnehmern weg hin zu den Unternehmen und Finanzsystemen gezogen bzw. gelenkt wurde, was zu Einnahmeausfällen in den Haushalten und Systemen der Daseinsvorsorge geführt hat.
Es besteht auch eine Gefahr der Gettobildung mit der Hafeninsel. Die Anbindung des Hafengebiets, das durch den Nordring doch arg abgehängt bleiben dürfte, könnte vielleicht mit einer Buslinie gelingen. Der verbreiteten Psychologie nach ist aber eher zu erwarten, dass das Auto wieder die Hauptrolle spielt, wofür auch Tiefgaragen und jede Menge Stellflächen für Autos den Vorrang bekommen werden, was schon das unsäglich hässliche, alles in der Nähe erschlagende Parkhausungetüm unmittelbar im Winkel von Carl-Ulrich-Brücke und Abfahrt in den Nordring anzukündigen scheint. Die große Kreuzung zur Stadt hin wird es schwer haben, den Kreuz- und Querverkehr auszuhalten. Die autogerechte Stadt, eigentlich ein Auslaufmodell – Leute wollen das auch nicht mehr, wie neuerliche Meldungen besagen – setzt sich aufgrund von phantasieloser Planung und Angst vor der monströsen Autoindustrie immer wieder durch. Hätte man hier nicht als Alternative eine Car-Sharing-Versorgung einrichten können, da doch die Autos ohnehin die meiste Zeit herumstehen und gar nicht gefahren werden oder im Parkhaus übereinandergeschichtet sind. Das Problem für die Offenbacher besteht darin, dass alles, was Offenbach liftet, zwar in die Erste Klasse rückt – ob zu Recht oder Unrecht- , das übrige aber weiter in den unteren Rängen des Abgeschriebenseins zurückbleibt.