Die Misere des Einzelhandels setzt sich fort – hier am Beispiel Frankfurts

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Einzelhandel ist schon ein schöner. Regelmäßig wird er über eine seiner tatsächlichen oder vermeintlichen Interessenvertretungen (Wirtschaftsförderung oder Handelsverband, Joachim Stoll) verlautbarend tätig, um von der Stadt eine Begünstigung oder Förderung oder so etwas wie einen Anschub zu erhalten, damit die Geschäfte wieder runder laufen. Wie illusionär aber ist dieses Ansinnen!

 

So glauben seine Repräsentanten oder Fürsprecher auf den unterschiedlichen Ebenen, dass die Begünstigung des Autos ihm bessere Angebotsbedingungen verschaffe. Als kritische Begleiter meinen wir: eher nicht, denn die Aufenthaltsqualität in einer Stadt ist einer der wesentlich begünstigenden Umstände für Handel, Wandel und Beständigkeit im Einzelhandelsgeschäft, selbst wenn seine autofixierten Vertreter das partout nicht wahrhaben wollen. Die Stadt ist trotz imposanter Skyline noch immer unwirtlich. Die heftige Autonutzung ist ein wesentlicher Grund hierfür.

 

Alexander Mitscherlichs Schrift 'Die Unwirtlichkeit unserer Städte' wurde zu keiner Zeit ernst genommen. Die Stadt ist noch immer zu autogerecht. Es brächte aber wenig, ausgerechnet die Verkehrsanlage Hauptwache zu einem nach außen gekehrten begrünten Wohnzimmer und Repräsentationsfetisch mit Schiller als Monument zu machen, wie gefordert wurde. Das lockt Flaneure an. Die Jugendlichen brauchen ihre Skaterfläche auf diesem Geviert, von dem aus der weite Blick von der Balustrade auch in den Abgang zur B-Ebene fällt, auf dessen Treppe mittags Paare und Singles sitzen, die ihre Mittagsmahlzeit schlecken.

 

 

Jahr für Jahr dieselben Klagen

 

Jedes Jahr erreichen uns sehr ähnlich lautende Artikelüberschriften; wir überantworten die Stücke stets dem Archiv, weil wir uns für Frankfurter Belange interessieren und Ergebnisse publizieren. Die ca. 10 Meldungen, die zum Thema in Minutenschnelle zusammenkommen, sprechen eine deutliche Sprache. Ein Panorama von bröckelnder Gesellschaft offenbart sich. Der Untertitel der Schreckensmeldung, wie oben verzeichnet, lautet: 'Studie sieht inhabergeführte Geschäfte durch Onlinehandel und Ketten gefährdet' (FR 13.08.2015). Hinzuzufügen wäre noch: auch durch gierige Vermieter, die ganz von Sinnen und ohne Verstand Mieten verdoppeln; die durch ihr Wüten gar das eigene Geschäftsmodell untergraben und ein Toben exerzieren, das in der Konsequenz die ganze Gesellschaft zum Ziel hat und ins Mark trifft, wenn Qualitätsware – und die hatten die Ältesten schon - nicht mehr geboten wird und die Wege zum Kaufakt länger und beschwerlicher werden.

 

Egal ob Saturn Hansa zumacht oder die Gold- und Silberschmiede Hilgenfeld aus dem Oederweg vetrieben wird, weil die Miete verdreifacht wurde, das jeweils Rausgekugelte zieht auf die Dauer auch das noch Verbliebene mit. Die Gold- und Silberschmiede Hilgenfeld wurde im Februar 2014 zum krassen Fall, der für Empörung sorgte im Zusammenhang mit dem Trend zur Verdoppelung oder gar Verdreifachung der Mieten im Oederweg, nach dem Verkauf von Immobilien mit einliegenden Läden.

 

Die Wirtschaftsförderung der Stadt aber tat kurz zuvor noch kund, dass sie nicht einzugreifen gedenke, da es sich schließlich 'juristisch gesehen' um 'Verträge zwischen Gleichen' handele. 'Das regeln Angebot und Nachfrage' (Ania Obermann, Geschäftsführerin FR 09.02.2015). Im Unterschied zu Mietverträgen für Wohnungen gibt es auf dem Sektor der Ladenmieten nämlich 'keine schützenswerte Partei', nach dem Motto: es war ja immer so.

 

 

Konjunktur mit Deflation gepaart - Nachfrage bleibt unsicher

 

Weiteres kommt hinzu: 'Stadtluft macht arm' (FR 26.06.2014) und: '100 Mrd. zu wenig investiert', 'die multinationalen Unternehmen investieren mehr im Ausland als im Inland', auch weil zu wenig Nachfrage zu erwarten ist (Marcel Fratzscher vom DIW, Phoenix, Im Dialog 03.05.2015). Ein dritter Punkt aber ist: die Agenda 2010 der Schröderjahre war ein Enteignungsprogramm über Jahre für rechtschaffene Arbeitnehmer, die ein Viertel der Bevölkerung auf Armutstour geschickt hat, mit Leiharbeit, Werkvertragsmißbrauch, Befristungen, Niedriglohn, oktroyierter Teilzeit, mit Mini- und Midijobs, mit unterschlagenen Leistungen (für Feier- oder Krankheitstage), sowie mit verschärften Zumutbarkeitskriterien, die darauf hinauslaufen: Ausbildung und Qualifikation durchgestrichen, auf Hartz IV gesetzt und menschliches Potential in den Ofen getreten. Das sind nur wenige Stichworte – der nickeligen Grausamkeiten sind da so manche -; dahinter stehen zerstörte Lebensbiographien, familiäres Leid und gebrochene Versprechen eines Gerhard Schröder, Erbe von August Bebel. Er brach seine Wahlversprechen als Führer der SPD, um sich bei den Mächtigen lieb Kind zu machen und oben bei Tisch zu sitzen. Und wurde nach getaner Arbeit von diesen Leuten abserviert und sitzt seitdem zwischen allen Stühlen.

 

 

Mehr als 20jähriger Abbau von Löhnen und Gehältern

 

'Wenn man sich nur die Lohnentwicklung anschaut, stellt man sogar fest, dass es seit Mitte der 1980er Jahre praktisch keine Steigerung bei den preisbereinigten mittleren Verdiensten mehr gab' (Markus Grabka, Armuts- und Verteilungsforscher FR 04.07.2015). Über mehrere Jahre hatte die Kaufhauskette Karstadt schon einige Runden Verzicht aus dem 'Personal' herausgeholt, aber genutzt hat es kaum, lediglich den Finanzinvestoren: Berggruen oder Benko, Leute, die immer oben schwimmen bleiben; aber eben mit solchen und ähnlichen Tricks, zu denen auch die Aufspaltung der voll sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse in mehrere geringfügige, ungeschütztere gehörte, wurde Kaufkraft mit System ausgehöhlt. Wen verwundert da ein Artikel mit dem Titel: 'Konsumenten halten sich zurück' (FR 01.11.2014). Man kann sich denken, dass die Verunsicherung im Einzelhandel sich auch auf 'das Personal' auswirkt und nicht gerade zur Beratungsqualität aufmuntert.

 

Zum Thema 'Stadtluft macht arm' lautet die wesentliche Analyse von IW-Chef Hüther, einem Vertreter der Orthodoxie: das Land-Stadt-Gefälle sei das eigentliche Problem. Dieses werde größer. 'So sei die Kaufkraft in den Städten zwischen 2006 und 2012 kaum gestiegen oder sogar gesunken'. 'Über alle Regionen hinweg sind es stets dieselben Personengruppen, denen es am schlechtesten geht: Arbeitslose und deren Familien, Alleinerziehende, Migranten'. (FR 26.08.2014) Hinzuzufügen wäre: es gibt nicht nur schon die gesenkte Rente jetzt, die 'richtigen' Armutsrenten stehen wahrscheinlich noch bevor.

 

Woher also soll die Kaufkraft kommen, die den Einzelhandel wieder aus der Asche zieht und aufsteigen lässt. Wenn Karstadt in Frankfurt aufhören würde, hätte das ungute Auswirkung auf die ganze 'Zeil'. Die ist nicht so robust, wie gedacht wird. Würde Kaufhof Karstadts Part übernehmen, dann wäre wenig gewonnen, denn jenes Haus konzentriert sich seit einiger Zeit fast ganz auf das Segment Nobel und Edel, einfachere Kunden werden nicht mehr umworben. Man konzentriert sich auf den verbliebenen Rest; auch auf touristische Kundschaft, die aber leicht schwinden und fernbleiben oder gleich in den dafür geeigneteren Straßenzug abwandern kann.

 

 

Der Onlinehandel - mehr Symptom denn Garant

 

Der Online-Handel ist ein mehr sozialgeschichtlich zu bewertender Ersatz- oder Ausweichhandel für die, die sparen und mit spitzer Feder rechnen müssen. Abgesehen davon ist er auch ein Stück Kult. Aber im Ernst, wer will nicht ein T-Shirt vor dem Kauf anprobieren können und mit der prüfenden Hand begutachten. Auch das Auge, das auf eine Ware fällt, erkennt meist auf den ersten Blick, um welche Art und Qualität es sich handelt. Wer Qualität vorzieht, kauft auf lange Sicht im stationären Einzelhandel wirtschaftlicher. Artikel jedoch, die früher in kompletten Warengruppen gängig waren, fehlen heute oft ganz. Sie sind vielfach verschwunden. Bei Karstadt gefragt, ob ein Körbchen für die Geschirrspülmaschine – bei Karstadt gekauft - zu erhalten wäre, heißt es: 'wenn, dann nur direkt vom Hersteller'. Gut gekleidete Einzelne oder Paare wurden seltener im öffentlichen Raum, das fiel uns längst auf. Die gute Betuchung ist aus dem Alltagsgebrauch so gut wie verschwunden. Bei Kleidung herrscht Endzeitmode vor, die Konflikte assoziiert und damit spielt. Onlinehandel trägt kaum indirekt zum Fortbestand einer 'Zeil' bei. Eine Rechnung lautet: würde dieser dort seine Zelte aufbauen, um sich wieder zum erfahrbaren Handel der Füße und Sinne zu wandeln, müsste er Milliarden investieren (bei einem qm-Preis von 23 000 Euro).

 

 

Sterben der Kleinen Läden

 

Nicht nur zum Problem für Frankfurt geworden ist der Rückgang der kleinen inhabergeführten Läden (wie etwa der verschwundenen Konditorei Klein auf der Berger Straße oder dem exquisiten Laden für Ökomode 'Cillis Lädchen', ebenfalls 'Berger'; der schließen musste, weil sich niemand fand, der das persönliche Risiko übernehmen wollte). Insbesondere Läden also, deren Ware das Auge erfreut und die nachhaltig sind und Kultur generieren, sind betroffen. Goldschmied Hilgenfeld fand einen neuen Vermieter der seltenen Art: dieser entschied sich bewusst für das Gold- und Silberatelier, es kam ihm nicht auf maximale Miete an. Leider aber gibt es zu viele Vermieter, die es für normal halten, sich aus Höchstmieten zu bedienen, um den Porsche zu finanzieren.

 

 

Einzelhandel, denk dir was Neues aus!

 

Warum wendet sich der klassische Einzelhandel immer nur wehklagend an die kommunale Politik und will alles denkbar günstig gerichtet haben? Er hat es ja nun traditionell besonders mit der CDU, obwohl sich damit längst nicht alle Mitglieder vertreten finden, aber die hilft ihm auch nicht wirklich weiter. Die vertritt ihn wortreich, schiebt aber das Problem auf die hohen Ebenen der Verhältnisse und des Gangs der Dinge, sprich: die Konzentration im Einzelhandel. So findet der Einzelhandel ein ähnliches Schicksal wie der kleinbäuerliche Betrieb, der von den Funktionären des Bauernstandes und von der Politik über die Jahre so gut wie komplett aufgegeben wurde. Schützlinge waren nicht der Kleinbauer oder die Kleinbäuerin, man stand im Bund mit den Interessen der Agrochemie, der Futtermittelindustrie und der Schlachtfabriken. Könnte denn der Handelsverband in Person von Herrn Stoll sich nicht mal an die Bundesregierung wenden und sich dafür einsetzen, dass die Folgen der Agenda 2010 endlich zurückgedreht werden, damit die Konsumenten wieder mehr Geld in der Tasche haben, um den Handel zu beglücken?

 

In den Materialien, die aufgetan wurden, fand sich auch die Anregung, für die Kleinen Läden und Betriebe eine Milieuschutzsatzung zu schaffen, um die Mieten angemessen begrenzen zu können. Das ist eine Idee, die ernsthaft bedacht werden sollte.

 

*) FR 13.08.2015