Wohlgemerkt: nicht nur die Politik der EZB - was aber kommt danach?

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zugegeben, im Verlauf des Sommers fällt es einem zunehmend schwerer, sich der leidigen monetären Geldpolitik des EURO-Großraums zu widmen. Dennoch: der Abgrund, in den zu blicken ist, ist das eigentlich Reizvolle daran.

 

Schlimm, dass weltweit soviel über Geld geredet werden muss. Was ist das für eine Gattung, die sich nicht über diese Art Beschränktheit zu erheben vermag, sich einfach nicht nach menschlichen Maßgaben auf die Reihe kriegt. Hinzu kommt ein Zusammengehörigkeitsproblem des EU-Raums. Das Manko: so wie der Hegemon Deutschland sich nicht wirklich zu den übrigen bekennt – wie auch diese weder zu ihm noch zur Gesamtheit -, so bekennen sich generell auch nicht die einen zu den anderen, der Norden nicht zum Süden, der Osten nicht zum Westen. Anstelle der früheren Bündniskonkurrenz ist die Allseitskonkurrenz getreten. Und darin liegt eben das Problem. Dem europäischen Gegenwartsbewußtsein fehlt die 'Kritik des Nichterkennens': Die europäischen Staaten sind nicht in der Lage, sich unter dem Blickwinkel gemeinsamer Orientierungen untereinander zu erkennen, so wie das in den USA möglich ist.

 

Gegenwärtig gibt Viktor Orban den ungarischen Steppenchef, um von der gescheiterten Modernisierung, die auch andere Oststaaten kennzeichnet, abzulenken.1989 war Ungarn progressiv, aus Budapest kamen Anrufe, um eine gerade entwickelte OCR-Software zu kommunizieren. Heute ist Ungarn ein Land des antimodernen Ressentiments.

 

Die Heinrich Böll-Stiftung gab ihm Rahmen der Reihe 'Böll Economics' einen Abend zum Thema: 'Die Politik der Europäischen Zentralbank – ausgereizt?' - Es referierte Dr. Silke Tober, Referatsleiterin Makroökonomische Grundlagenforschung, Geldpolitik vom Institut für Makroökonomie und Konjunktur-Forschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf; es moderierte Karsten Tessmar, Diplom-Volkswirt der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen. Das IMK ist neben dem DIW das Institut, das sich vom vorherrschenden Strom des neoklassischen Mainstreams weiter abgesetzt hält. Die anschließende Diskussion wurde aus dem gut informierten Publikum bestimmt, vom Podium aus wurde moderiert.

 

 

Die EZB hat ausgereizt

 

Am Schluss des Abends stand die Auskunft und Erkenntnis: 'Die Geldpolitik der EZB ist ausgereizt', das Anleihe-Kaufprogramm ist stumpf geworden, 'Fiskalpolitik, sozialpolitisch agieren' wäre an der Zeit. Die Zinsen sind bei Null, es gibt kaum Inflation, die Unternehmen investieren nicht. Im Rahmen von Geldpolitik gibt es keine wirkungsvollen Instrumente mehr. Anders gesagt: Geld alleine, das – abgeworfene - 'Helikoptergeld', schafft`s nicht mehr. Niedrige Zinsen regen einen Wirtschaftsprozess im Umfang der Kaufkraft früherer Tage – sieht man von fragwürdigen Immobiliengeschäften ab - nicht mehr an, die geringe Inflation deutet auf ein Lohnsummenproblem hin; während die Unternehmen sich mit Investitionen zurückhalten, weil sie um die prekäre Binnennachfrage wissen.

 

Das deutsche Modell des Exportüberschusses ist nur die Fassade des in vielen Jahren geschwächten Masseneinkommens, bedingt nichts als ein schillerndes Elend, das im übrigen nach außen hin anfällig ist.

 

Es ist auch die Schuldenbremse, die die Krise nährt, 'sie sollte aus der Verfassung wieder raus'. Einschränkung: Nettoinvestitionen dürfen sein – werden aber zu wenig genutzt, das Thema der Chancen für die Zukunft wird nicht verstanden. Über die Psychologie aufgrund eines Verschuldungsverbots ist nicht hinwegzugleiten, sie zieht hinab. Wenn Griechenland noch auf dem BIP-Stand von 2012 wäre – mit 300 Mrd. Defizit – dann hätte es heute 'nur noch 168 Mrd. Defizit'. Es wurde aber kaputtgespart. Das BIP sackte ab. Die 60 Mrd. monatliche Spritze bis 2016 – 1100 Mrd. laufen bis dahin auf - helfen nicht mehr, um der auch durch externe Weltmarkteinflüsse drohenden Hyperdeflation, die sich selbst nährt, zu entgehen, das Pulver ist verschossen. 'Programme müssen ausgeweitet werden', um der deflationären Gefahr zu entgehen. Diese müssen 'fiskalisch' angelegt sein.

 

 

Die Trippelschrittpolitik der Bundeskanzlerin

 

Ein weiteres Problem waren und sind: Angela Merkels 'Trippelschritte'. Merkel schritt zu kurz, blieb zu zögerlich. Draghis Diktum von 2012: '...werden alles Notwendige tun...whatever it takes', hätte früher kommen müssen, so denkt die USA. Die Tradition der Amerikaner gründet mehr im 'Sign on', es ergeht der Ruf, sich zu ermächtigen, sie sind die Urväter des Ankurbelns und der Expansion, wissen aber auch, dass sie als der Super-Hegemon immer oben treiben werden. Kein US-Staat hat die Probleme, die wir in Europa haben, das aber keinesfalls zu klein ist für ein großes Projekt. Ein Durchmarschieren im Stil der Fed würde in Europa, speziell von der Deutschen Schule, als Tabubruch angesehen. Hausaufgaben konnten hier also nicht genügend gemacht werden. Die Dimension der Hypotheken- bzw. der US-Schrottimmobilienkrise und ihrer Folgen war für europäische Gemüter zu unheimlich, der Schock sitzt Steinbrück und Merkel noch heute in den Gliedern. Es wurde immer zu zaghaft agiert, auch gegenüber den verantwortlichen Akteuren der Krise, die noch kaum zur Rechenschaft gezogen wurden und weiter agieren.

 

Die Griechenlandkrise, die auch durch das Zutun der Finanzoligarchie verursacht war, die Griechenland gezielt in die Eurozone hineinmogelte, wurde durch Merkels konkretistischen Pragmatismus verschärft. 'Wenn Griechenland am Anfang gerettet worden wäre' ('kein Land verlässt den Euroraum'), dann wäre 'der Teufelskreis nicht gekommen, der dann kam' und sich etablierte. 2009 wurden die Zinsen erst nochmal erhöht. '2010 hätte man die Vertrauenskrise im Keim ersticken müssen'. Die Griechenlandkrise hatte das Krisenszenario ausgeweitet. Aufgrund des Zögerns stiegen die Zinsen auf 7-10 Prozent. Anfang Mai 2010 wurde beschlossen griechische Staatsanleihen zu kaufen. Entspannung trat ein.

 

 

Zerwürfnisse im europäischen Haus

 

Für die in Schwierigkeiten geratenen Länder ergab sich das Problem der Zange zwischen steigenden Zinsen und dem Fiskaldiktat: Ihr müsst sparen, kürzen, 'fiskal in Ordnung bringen'. Die Wirtschaft kollabierte. Allein nur 'fiskalische Restriktionen zu verschärfen, ist verfehlte Politik'. Sie treibt die Krise an. Hinzu kommen in Europa die politischen und institutionellen Defizite: das Bröselige, das Europa kennzeichnet. Kein Zusammenspiel, wenig Einigkeit, nur Kleinlichkeit und Kleingläubigkeit: mit Katholizismus, Protestantismus, Ethnizismus, Familiarismus, Rückfall in Stammes- und Hordenmentalität, die Deutsche Ideologie des Hegemon, Sparstrumpfmentalität des schwäbischen Hausmeisters, Grand Nation, Wettbewerb im Tricksen um Steuerverkürzung, England first usw.

 

Hinzu kommen 'die Schatteninstitutionen', die Troika, der Rat, die Konstrukte für Rettungen, die nur vorübergehender Natur sein können. Die 'Beteiligung des EU-Parlaments' ist durch Interessenkonflikte und die Kapitulation vor unappetitlicher Lobbyarbeitswühlerei zerfasert. Wer sich in Brüssel nur ein Bier bezahlen lässt, ist schon bestochen. Ein Parlamentarier wie Günter Verheugen hat sich immer der Ansprechbarkeit entzogen, er schwebte im Orbit. Eine natürliche Adresse und elektronische Ansprechbarkeitskennung war zu seiner Person nie zu ermitteln. Er baggerte immer nur für Industrieinteressen und gegen die BürgerInnen (bei den Schadstoffgrenzwerten und den Verpackungsgrößen).

 

Austritt ist übrigens auch keine Lösung. Mit oder ohne Austritt: die Probleme wären immer ähnliche gewesen. 'Wenn alle ein eigene Währung gehabt hätten, wäre es schlimmer gewesen'. Abwerten und Inflation: ein fast sicheres Kapitel, für die meisten. Die EU und gemeinsame Währungszone kompensierte bislang eher und war daher geboten.

 

Das eigentliche Problem aber sind in Europa die chronischen Leistungsbilanz- und Wettbewerbsunterschiede. Hier hat Gerhard Schröders Agenda große soziale Schneisen der Zerstörung quer durch Europa geschlagen und tut es weiter. Heiner Flassbeck textet: 'Nur Deutschland kann den Euro retten', mit dem Zusatz: 'der letzte Akt beginnt', 2015. Deutschland muss im Interesse des relativen Konzepts des Ausgleichs und der Balance seine unfair überhöhte Wettbewerbsfähigkeit – durch Lohnunterbietungswettbewerb – drosseln, muss für die Anhebung von Löhnen und Gehältern sorgen.

 

 

Ein neuer EU-Lebensabschnitt muss kommen

 

'Geldpolitik ist ausgereizt'. Weil sie die Schwäche der Realwirtschaft nicht kompensieren kann, muss der Zivilsektor gestärkt werden. Von 'zivil' ist oft die Rede, es markiert unzweifelhaft den Unterschied zu Krieg. Die 'Fehler im System' kann die EZB nicht beheben. Dies erfordert eine Revision der Austeritätspolitik, die zwar keinem kranken Mann, aber einem kranken System entspricht. Krankheitszustände sind nicht ehrenrührig, müssen aber angesprochen werden. 'Rettungsschirm und Bankenunion reichen nicht'. Diese können nur vorläufige Hilfskonstrukte sein.

 

Der nächste Abend am 17. Nov. 2015, 19.30 Uhr handelt von den 'Alternativen zur Austeritätspolitik'. Gekündet ist bereits, dass wir Fiskalpolitik brauchen. Fiskal heißt: Haushaltstätigkeit, der Umgang mit Ein- und Ausgaben.

 

Foto:

Die neue EZB am Main im Osten der Stadt Frankfurt

 

Info:

'Die Politik der Europäischen Zentralbank – ausgereizt?', im Rahmen der Reihe: Böll Economics. - Mit: Dr. Silke Tober, Referatsleiterin Makroökonomische Grundlagenforschung, Geldpolitik vom Institut für Makroökonomie und Konjunktur-Forschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf; es moderierte Karsten Tessmar, Diplom-Volkswirt der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen · 31.08.2015 19.30 Uhr, Haus am Dom, Frankfurt am Main, Domplatz 3

 

Nächster Termin: 17.11.2015: 'Alternativen zur Austeritätspolitik'

 

www.Boell-Hessen.de