Der Online-Handel in und mit China boomt

 

Uwe Peter Timm

 

Frankfurt (Weltexpresso) - Der chinesische Staat unterstützt mit gezielten Fördermaßnahmen die Entwicklung des grenzüberschreitenden Online-Handels, um breite Bevölkerungsschichten am zunehmenden Wohlstand partizipieren zu lassen. Mehr als 650 Millionen Verbraucher nutzen in dem asiatischen Land offiziell schon das Internet.

2013 wurde mit umgerechnet annähernd 192 Milliarden Euro mehr über das Internet eingekauft als in den Vereinigten Staaten von Amerika, und für dieses Jahr werden Online-Umsätze von umgerechnet 486 Milliarden Euro erwartet. Was die Verbindung von stationärem Handel mit E-Commerce angeht, liegt China nach einer Studie von PwC auf dem sechsten Platz und damit deutlich vor Deutschland (Platz zwölf).

Mit dem ‚Internet Plus‘-Programm hat die chinesische Regierung von 2015 an die staatliche Förderung des Online-Handels stark ausgeweitet. Dies schließt auch die internationale Expansion chinesischer E-Commerce-Unternehmen durch vereinfachte Verwaltungs- und Zollverfahren sowie die Vergabe von Förderkrediten ein. Die Antriebskräfte des boomenden Online-Handels für Unternehmensgründungen, Wachstum und Beschäftigung in Chinas Wirtschaft sollen weiter gestärkt werden. Zugleich versucht Chinas Regierung, neue Regeln für den schnellen technologischen Wandel zu setzen. Dabei sind Chinas Regulierer nicht immer erfolgreich, wie etwa die Beschwerden auf den Feldern von Produktqualität im Online-Handel oder Online-Finance zeigen“, erläutert Professor Sebastian Heilmann, Direktor des China-Think Tanks MERICS in Berlin.

Gleichwohl trägt die staatliche Strategie Früchte. Am schnellsten entwickeln sich gegenwärtig diejenigen Unternehmen, die ausländische Importwaren an Endverbraucher im Inland verkaufen. Die Chinesen schätzen hochwertige Qualitätsprodukte besonders aus Europa wegen ihres Prestigecharakters. Vor allem aber auch deswegen, weil sie sicher sein können, dass es sich dabei um Originale handelt und nicht um Fälschungen, wie bei vielen inländischen Erzeugnissen. Am beliebtesten sind derzeit neben Luxusartikeln und Baby-Produkten Lebensmittel. Ein nicht unerheblicher Teil der 1,3 Milliarden Menschen zählenden Bevölkerung bildet inzwischen eine Mittelschicht, deren Nachfrage permanent zunimmt. Nach einer McKinsey-Studie zählten 2012 schon 68 Prozent der städtischen Haushalte zur Mittelklasse, 14 Prozent davon zur oberen Mittelschicht. Bis 2022 sollen ihr mehr als 75 Prozent zuzurechnen sein.

Germany Trade & Invest, die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, hebt hervor, dass ausländische Unternehmen, die von diesen Umsätzen profitieren wollen, ihre individuelle Online-Strategie gut planen müssen. Im Jahr 2014 seien im „Reich der Mitte“ schon 43 Prozent der Käufe über Smartphones getätigt worden, was bedinge, dass Online-Angebote auf Mobilgeräte chinesischer Produktion abgestimmt sein sollten. Wer größere Volumina legal absetzen wolle, komme um eine lokale physische Präsenz nicht herum. Bei der Auswahl China-spezifischer Produkte sei qualifizierte Beratung unabdingbar.

Eine kostengünstige Möglichkeit, hochwertige Waren europäischer Hersteller im chinesischen Markt zu platzieren, sind Handelsplattformen. Das am 17. November 2015 in der Industriezone von Chinas größter Stadt Chongqing offiziell eröffnete Euro Brand Center (EBC), in China Haiyuehui genannt, ist eine solche grenzüberschreitende, multinationale Unternehmung. Gründer Dengwen Zhang und sein mit dem europäischen Merchandising beauftragter Partner Kevin Martin vom Frankfurter Investor Oakland Capital starteten Ende November mit der Online-Plattform. Von Mai 2016 an sollen chinesische Konsumenten in einem eigens errichteten Shopping Center auch offline einkaufen können. „Zusammen mit der Förderpolitik des Staates und mit dem effizienten Abwicklungsprozess von der Organisation über Einkauf und Logistik bis hin zu After Sales Service und Werbung verschaffen sich teilnehmende Unternehmen einen Handelsvorteil von 30 bis 50 Prozent im Vergleich zum Wettbewerb“, erklärt Kevin Martin.

Die Initiatoren haben nach eigenen Angaben schon einhundert Hersteller aus verschiedenen europäischen Ländern unter Vertrag genommen, die mehr als 3000 Produktarten über die Handelsplattform anbieten werden. Man hat eine Niederlassung in Deutschland gegründet und überdies Verkaufsteams in Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien und den Niederlanden etabliert. Zur Eröffnungsfeier Mitte November sind neben hochrangigen Repräsentanten der Stadt Chongqing und der chinesischen Regierung auch Delegationen mit politischen Vertretern aus Umbrien sowie Geschäftsleuten aus Italien und Belgien gekommen.

Eines der ersten Unternehmen, das einen Vertrag mit der Handelsplattform unterzeichnet hat, ist das italienische Familienunternehmen Merola aus Rom. Der Produzent verkauft seine hochwertigen Lederhandschuhe weltweit, seit kurzem auch in Kommissionsweise über das Euro Brand Center in China. „Wir glauben, dass anspruchsvolle chinesische Kunden Stück für Stück manuell gefertigte Handschuhe eines seit 1885 in diesem Metier tätigen Unternehmens zu schätzen wissen“, sagt Geschäftsführer Stefano Merola. Die Marke sei in Japan und Korea sehr bekannt, deshalb strebe man auch in China mit ausgewählten Partnern langlebige Geschäftsbeziehungen an. Diese seien froh, dass Merola seine Marke in China, Macau, Hong Kong und Taiwan habe schützen lassen. „Langfristig möchten wir in China Marktführer in unserem Segment werden.“ Um dieses Ziel zu erreichen, starte Merola den Online-Handel mit dem EBC und setze im Norden Chinas mit seinen kalten Wintern sowie in den großen Städten auf Warenhäuser. Handschuhe von Merola spielen übrigens in etlichen Filmen eine Rolle; Kate Winslet beispielsweise trägt sie in der „Titanic“-Version von James Cameron.

Auch für deutsche Unternehmen wie die Höchster Porzellan Manufaktur ist der wachsende asiatische Markt für Luxusprodukte ein attraktives Betätigungsfeld. „Wir sind seit zwei Jahren in Korea aktiv und haben seit längerem auch den chinesischen Markt beobachtet“, sagt Geschäftsführer Jörg Köster. Dort gebe es zwar preiswertes Gebrauchsporzellan aus Massenproduktion, nicht aber Manufakturware. Für die Chinesen sei Porzellan aus Deutschland „exotisch“, sie wüssten um die gute Verarbeitung und die lange Tradition. Andererseits ist sich Köster auch mancher die Nachteile bewusst: „Vor Kopien kann man nie sicher sein und für exklusives, handgefertigtes Porzellan interessiert sich letztlich nur ein kleiner Kundenkreis von etwa einem Prozent der Bevölkerung.“ Dennoch habe man sich für ein Engagement beim Euro Brand Center entschieden, „weil die das Geschäft exzellent machen.“ Zunächst beteilige sich die Höchster Porzellan Manufaktur online, um „einen Fuß in die Tür zu bekommen.“ Eine erste Lieferung sei via Containerzug von Duisburg nach Chongqing auf den Weg gebracht worden.

Mit frischer H-Milch dagegen ein alltägliches und ungleich risikobehafteteres Produkt distribuiert die Omira GmbH aus Ravensburg inzwischen online über das Euro Brand Center. „Als sich das EBC uns vorgestellt hat, klang das Angebot ziemlich interessant“, sagt der für den Export zuständige Verkaufsleiter Paul Wrobel. „Wir finden es gut, neue Unternehmen zu unterstützen und gemeinsam mit ihnen zu wachsen.“ Omira habe schon mehrere Partner in China, aber die Partnerauswahl sei schwierig. „Das Konzept des EBC hat uns überzeugt.“ Generell seien die Risiken des Exports von Milchprodukten nach China nicht zu unterschätzen. „Da ist der lange Transportweg, die Haltbarkeitserwartungen sind in China höher als in Europa, und neben dem finanziellen Risiko gibt es ein nicht berechenbaren wirtschaftspolitisches Risiko, denken Sie nur an Einfuhrbeschränkungen oder plötzlich geänderte Vorschriften“, gibt Wrobel zu bedenken. Omira hat seit langem Kunden nicht nur in den EU-Ländern, sondern mit auch in Fernost und in arabischen Ländern. „Die Konsumgewohnheiten dort haben sich gewandelt, deswegen versprechen wir uns Dynamik in diesen Märkten.“ Die erste Ladung des Basisproduktes Milch ist nach China verschifft.

Hierzulande berät Sonja Müller als Direktorin des China Competence Center bei der IHK Darmstadt & Frankfurt exportwillige Unternehmer. Auch sie verweist auf die Risiken, die es im China-Geschäft zu berücksichtigen gilt. „Manche bekommen ein Problem, weil sie sich schlecht vorbereitet haben, weil sie den zeitlichen oder finanziellen Aufwand unterschätzen.“ In China sei es für deutsche Unternehmen schwierig, geeignetes Personal zu finden und es mangele an Markenschutz wegen der großen Schattenwirtschaft. Als weitere Hemmnisse nennt sie das wegen der chinesischen Firewall vergleichsweise langsame Internet und den zunehmenden lokalen Protektionismus.

Wer die konsumfreudige Bevölkerung im viertgrößten Land der Erde also mit Produkten europäischer Herkunft begeistern möchte, sollte einen kompetenten und zuverlässigen Partner haben. Dieser kann Europäer vor Fallstricken wie hohen Kosten oder Rabattzwängen bewahren, die das Internet als Absatzkanal birgt. „Verlässliche Handelsplattformen, die dem ausländischen Hersteller Vertriebswege zum Endkunden sowohl online als auch stationär ebnen, bieten den Vorteil einer auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmten Preispolitik – damit es nicht zu Kannibalisierung kommt und sich der Markteinstieg am Ende lohnt“, so Kevin Martin.