Marek Janowski leitete die Berliner Philharmoniker am 14., 15. und 16. September
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Es ist schon manch einer in hohem Alter zu spätem Ruhm aufgestiegen, denkt man an Claudio Abbado, der erst zu einer Ikone wurde, als er die Berliner Philharmoniker schon nicht mehr als Chefdirigent leitete, oder an Günther Wand, den die Klassikwelt als genialen Bruckner-Dirigenten anbetete, als er mit über 70 seine zweite Karriere als Chef des Orchesters des Norddeutschen Rundfunks begann.
Mit Marek Janowski scheint es nun ähnlich zu gehen, wobei es ein hübscher Zufall ist, dass der gebürtige Pole in Wuppertal aufwuchs, wo Wand einst geboren wurde.
Nicht, dass Janowski bislang nichts aufzuweisen gehabt hätte. Im Gegenteil: Als Leiter des Berliner Rundfunksinfonieorchesters, das er im vergangenen Jahr leider verlassen hat, war er eine feste Größe in Berlin, vor allem sein viel beachteter konzertanter Wagnerzyklus aus dieser Ära ist unvergessen. Und auch die Berliner Philharmoniker hat er erstmals sogar schon 1976 als Gast geleitet.
Aber sein jüngster Abend mit den Berlinern, den er nun gab, wo er wieder ganz frei- und mittlerweile 78 Jahre alt ist, war doch ein ganz besonderer.
Das fängt schon damit an, dass Janowski nicht nur Bruckners Vierte auswendig dirigierte, sondern auch die drei wenig bekannten Orchestervorspiele zu Hans Pfitzners Oper „Palestrina“, die er der Symphonie voranstellte.
Sie entpuppten sich als wunderbare Entdeckungen mit ihrem melodischen Reichtum und ihren kontrastierenden Stimmungen. Das erste, in dem die Holzbläser solistisch stark hervortreten, mutet sehr lyrisch an, das zweite fegt wie ein stürmischer Wirbelwind durch die Philharmonie und exponiert stark das Blech, das immer wieder zwischen das ungestüme Rasen in den Streichern Versatzstücke aus einem Choral anstimmt. Das dritte schließlich tönt wieder weniger bewegt und verströmt eine dumpfe, düstere Atmosphäre.
Die Gelegenheit, diese Raritäten derart exquisit zu hören, wird es wohl so bald nicht wieder geben, versammelten die Philharmoniker doch allen voran mit Albrecht Mayer (Oboe), Emmanuel Pahud (Flöte) und Stefan Dohr (Horn) einige ihrer besten Bläser, die – gewohnt nervenstark- allesamt makellos, geschliffen fein und klangschön ihre Soli intonierten.
Bruckners Vierte habe ich in letzter Zeit mehrfach exquisit gehört, mit Christian Thielemann wechselweise am Pult seiner Sächsischen Staatskapelle Dresden und der Berliner Philharmoniker, oder auch unter Bernhard Haitink. Aber nun kommt mit Janowski in dieser Liga unter den noch lebenden großen Brucknerdirigenten einer dazu. Das zeigte sich etwa auch daran, wie es Janowski gelang, die Streicher zu einem beseelten Spiel zu bewegen. Denn auch dieses Spitzenorchester spielt keineswegs von allein, unter anderen Dirigenten habe ich die Cellogruppe wenngleich auch stets technisch brillant, schon weniger sensitiv erlebt. Das Cellothema im zweiten Satz ging ganz ins Innerste.
Zu feiern galt es allerdings auch hier abermals die erstklassigen Bläsersolisten, allen voran die stark geforderte Hörnergruppe, die ihre weihevollen Hymnen makellos sauber über allem erstrahlen ließ und vor allem im kraftvoll pulsierenden Scherzo wunderbar aufspielte mit den denkbar edelsten Klängen.
Es war bei alledem zu spüren, dass Janowski ganz in sich ruhte wie ein Fels in der Brandung. Entsprechend ging er die einzelnen Sätze auch an, stets mit dem richtigen Tempo, tendenziell eher langsam, halt so, dass sich der große Orchesterapparat im weit gefächerten Spektrum prächtig entfalten konnte. Verdiente Ovationen für einen wunderbaren Abend!
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