hz Pussy Riot Maria Aljochina 1 opt.2017Pussy Riot kamen mit ‚Riot Days‘ auf zwei Tage nach Frankfurt – einzige Station in Deutschland, Teil 1/2

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gespannte Erwartung im Mousonturm am Abend des 21.09.2017: Auftritt von Pussy Riot, die einem Performancekunst-Kollektiv von vornehmlich gut einem Dutzend Frauen entstammen. Die achtsam Eingetretenen fiebern dem Post-Punk-Aufstand gegen die Orthodoxie einer Welt entgegen, die den politischen Abstieg vorantreibt. Alle harren des musikalischen Rumors, der da kommen wird. Der Punk ist eine Marke, die der Menschheit erhalten bleibt, solange die Verhältnisse danach sind.

Marija Aljochina und Band geben dann alles, das volle Brett. Der sich schlängelnde Sprechgesang wird im Hiphop-Punk-New-Metal-Stil rausgehauen. Weit über eine Stunde lang. Er ist eine ununterbrochene Deklamation der Entwicklungen und Vorgänge um Flucht und anschließender Untersuchungs- und Lagerhaftodyssee sowie kruder Polizeistaatsmethoden. Einschränkend ist anzumerken: der Polizeistaat ist russisch, noch nicht aus dem Hause Ägypten oder Syrien. Er trägt auch tollpatschig-kafkaeske Züge, wie der am Tisch vor dem Einlass gehandelte Bericht von Mascha Alechina darlegt, auf dem der Gesang aufbaut.

hz Pussy Riot Maria Aljochina 3 opt.2017In Videotechnik wird der stenografierte Gesangstext in Englisch auf die Bühnenrückwand projiziert. Es ist, als ob eine neue Zeitrechnung an diesem Abend anbrechen sollte. Neue Rosas und umgetaufte Männer sind gekommen. Letztere machen ein Viertel der Anwesenden aus. Kultur schafft neue Typologien, auch das Neu- Approbierte formt sie gleich wieder um, will nicht nur wiederholen, muss umschaffen, sprengt auch noch die letzte Konvention, sollte sie sich halten wollen. Punk ist der Ausdruck für eine Dauerrebellion, nicht nur im Geiste Jugendlicher.

Endlich geht‘s los, rasch wird die Bühne geentert: Punk Manifesto, book, show, ‚much punk as possible‘, Nebelschwaden wabern. Eine Punkmesse bricht los. Es kann als Tatsache gelten, dass Pussy-Riot künftig in Sachen Öffentlichkeitsarbeit viel unterwegs sein werden, das wird noch ein Riesenprojekt, denn die Zeiten sind hässlich, der Kampf von oben ist gerade erst so richtig in die Puschen gekommen.


Russland ist kein einheitlicher Block

Trotz allen Putinismus‘. Nicht alle russischen Priester finden sich in Konformität mit dem orthodoxen System; ein Priester hat sich vom Patriarchen losgesagt, spricht vom ‚unheiligen Geschlechtsverkehr zwischen Kirche und Staat‘ (‚Ein russischer Skandal‘, Phoenix, 2013). ‚Der Patriarch brettert mit einer 680 000-Dollar Yacht durch die Gegend, während freiwillige Helfer Feuerholz für Kriegsveteranen sammeln‘.

Es gibt also noch unabhängige Ansichten und Meinungen in Wladimir Putins Russland, in dem Politik und Religion eine verhängnisvolle Verbindung eingegangen sind, wie ‚Kater‘, eine der Frauen aus dem berühmt gewordenen Protest-Kollektiv im moma-Magazin vom 06.12.2011 erklärte.


Ein Clip, der Epoche machte - juristisch geht es um eine Ordnungswidrigkeit

In einem Prozess, der das aufgeklärte Russland und die Welt in Empörung versetzte, wurden Pussy Riot am 17.8.2013 für ihren Auftritt in der Christ-Erlöser-Kathedrale – durch das Absingen des genial fabrizierten Punk-Gebets ‚Gottesmutter, Jungfrau, jage Putin davon‘ - wegen ‚bandenmäßigem Rowdytum‘ zu 2 Jahren Lagerhaft verurteilt (Lagerhaft!). Der Begriff Rowdy wurde zu Zeiten des Stalinismus aus dem Westen übernommen. Katja bekam Bewährung, sie hatte die Gitarre in der Christ-Erlöser-Kirche nur abgestellt. Verurteilt wurden Nadeschda Tolokonnikowa (22), Maria Alechina (24) und Jekaterina Samuzewitsch (30). Der Auftritt dauerte 40 Sekunden. Das Gerichtsverfahren war ein politischer Schauprozess. Putin hatte die Modernisierung versiebt, er war verunsichert. Die angeklagten Frauen wurden für ihre Unbotmäßigkeit im Gerichtsverfahren in Käfigboxen gehalten und vorgeführt.
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Foto: © Heinz Markert

Info:

Maria Aljochina wurde unterstützt durch die Sängerin und Saxofonistin Anastasia Ashitkova, den Vokalisten Kiryl Masheka und Schlagzeuger und Sänger Maxim Ionov.

Das Protokoll eines an der undiskutierbaren Forderung der Moderne nach: Rechtsstaatlichkeit, Einhaltung der Menschenrechte und Achtung der Menschenwürde scheiternden Staatsgebildes kam passend zum Konzert: Mascha Alechina,‘Tage des Aufstands‘, 290 Seiten, ciconia ciconia, Berlin 2017. Die Schrift ist eine ‚Fundgrube‘ für das Nachleben des Poststalinismus und Kleinbürgerfaschismus.

Pussy Riot haben ein T-Shirt herausgebracht, auf dem steht: Everyone can be Pussy Riot