Die Kammeroper im Palmengarten bei gutem Wetter 2018, Teil 1: Der Impresario von den Kanaren
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gäbe es diese Oper (1724) von Domenico Sarro, am 24. Dezember 1670 in Trani, gestorben am 26. April 1744 in Neapel, nicht, man möchte glauben, daß der Impresario der Frankfurter Kammeroper, Rainer Pudenz, sie erfunden hätte. Das war ein starker Auftritt zur Premiere an diesem warmen Sommerabend in der Konzertmuschel des Palmengartens, dem bis Samstag, 18. August noch die Spielmittwoche, Freitage und Samstage folgen.
Daß der IMPRESARIO VON DEN KANAREN oder DORINA UND NIBBIO noch dazu eine Frankfurter Erstaufführung ist, Intermezzo in zwei Teilen genannt, mit dem Text von Pietro Metastasio und von Domenico Sarro komponiert, läßt glauben, daß er eine ausgegrabene Rarität ist. Aber schon die Oper Stuttgart, die Dresdner Semperoper und die Bochumer Symphoniker haben diese musikalische Petitesse aufgeführt, nur wird sie in der Übersetzung auf Deutsch durch Thomas Peter, der dann anschließend gleich die männliche Hauptrolle spielt, ach was heißt spielt, einfach den Impresario schlechthin verkörpert, zu einem intelligenten Spiel um Macht, Musik und Sexus.
Und daß das so elegant und pfiffig zugleich ausgeht, das ist Ingrid El Sigai zu verdanken, der Muse von Rainer Pudenz hätten wir fast gesagt, weil sie in den vielen Jahren eine so verläßliche Sopranistin für den Herrn der Kammeroper ist, ohne den es diesen musikalischen Sommergenuß nicht gäbe. Die Handlung? Schlicht, aber wie immer, wenn Kunst auf Geld trifft, eine Frau, die singen will, auf einen Mann, der das in Szene setzen soll – oder dann nicht mehr will, wenn die Frau Sperenzchen macht. Sie bekommen hier alle ihr Fett weg, in dieser Bar, die den Bühnenhintergrund (Bühnenbild: Frank Keller, Mateo Vilagrasa) einnimmt und wo ein Barista (Harald Mathes) so gekonnt Espressi serviert, daß man gleich selber einen haben möchte.
Erst einmal, nachdem der junge Dirigent George Jackson mit dem Orchester der Kammeroper freundlich begrüßt wurde, erleben wir die Diva Dorina (Ingrid El Sigai) wie eine Callas der mittleren Jahre: schlank, hochmotiviert, supernervös, exaltiert, aufgeregt, hektisch, eben wie man sich eben früher eine Primadonna vorstellte, die in die Jahre gekommen nicht mehr die Engagements nachgeschmissen bekommt. Dabei hat sie, die Tochter eines Clowns, bisher nur seine Darbietungen musikalisch untermalt. Kein Wunder, daß sie singend von ihren geringen Erwartungen spricht. Mit tiefer und lauter Stimme widerspricht ihr der erwartete Impresario beim Hereinkommen: „Seien Sie nicht so bescheiden...Nein, meine Liebe, erweisen Sie mir die Gnade...“ gurrt er um sie herum und bietet ihr eine Rolle, ein Engagement an der gerade eröffneten Oper in Gran Canaria an.
Sie schleichen umeinander herum im Spiel der Geschlechter gleichermaßen wie auch im Spiel um ein Engagement oder nicht. Denn natürlich muß Dorina auf seine Erwartung hin äußern, daß ihre Termine eigentlich schon alle besetzt sind – obwohl alles noch frei ist. Er führt das Opernhaus in Cran Canaria ins Feld. Und daß er doch eigentlich auch Komponist mit großem Erfolg ist, Sänger dazu, das ist doch schon was. Aber hier geht es weniger um die Worte und den Handlungsverlauf, sondern um das, was die Akteure daraus machen. Thomas Peter ist ein volltönender Bass-Bariton, der als Impressario erst gute, dann aufdringliche Statur macht, ein Kraftmensch mit Halbglatze auf viril gebürstet: Fünftagebart, offenes Hemd, grau glänzender Anzug – natürlich muß man sofort an die meToo Debatte denken, ob nun im heimischen Hersfeld oder im fernen Hollywood. Und daß dies so elegant und knallhart zugleich vor sich geht, dafür sorgt die Primadonna.
Die sieht erst mal berückend aus und hat die herrlichsten Kostüme zu bieten, denn sie führt einige der ihr möglichen Partien im Kostüm vor. Aber eigentlich will sie nicht vorsingen, denn als er bittend fordert: „Möchte Sie singen hören“, antwortet sie: „Bin total erkältet.“ Und doch hat sie ihm auf seine Angebote hin schon zuvor halb zugesagt: „Kann ich da widerstehen?“ Doch das gilt eindeutig dem Rollenangebot. Denn das was zwischen den Zeilen passiert, und was die Bühnenfiguren perfekt widerspiegeln, ist das Umgarnen, das der Impressario faktisch versucht, in dem er immer wieder Hand anlegen möchte, an ihr, der Diva. Und wie sie ihm dies tänzerisch, aber eindeutig, grazil, aber entschlossen verwehrt, dabei hätten wir der Diva El Sigai noch stundenlang zuschauen mögen.
Auch zuhören, aber damit gibt‘s Probleme, wenn man weit hinten sitzt. So gut das ist, daß hier nichts elektronisch verfremdet wird, also der natürliche Ton zum Tragen kommt, haben es Sopranistinnen generell immer schwerer, verständlich über die Bühnenrampe zu kommen. Aber man hört die Schönheit ihrer Arie und ihre Stimme wie ein Silberglöckchen: „Ich bin Laie, üben Sie Nachsicht...“
Und dann unterbricht ein Gitarrensolo (Giancarlo Paola) die Handlung, eine richtig schöne Schnulze aus Napoli, wie überhaupt das Ganze eigentlich dort spielt, wo der Komponist in seiner Zeit den Musikgeschmack bestritt. Des Gitarristen kurze Hosen, das rosa Jackett und der Strohhut sind so typisch, wie die Kleidung der Diva extravagant und vielseitig ist. Schon wegen der glänzenden Kostüme von Claudia Krauspe möchte man gar zu gerne in die Rolle der Diva schlüpfen, denn nach der bisherigen Eleganz legt sie nun noch eine Schippe Ägypten drauf, Kopfputz in Gold, Stufenrock aus Tüll, schwarz, Gold, Goldschmuck...“Lassen Sie sich von den Banausen doch nicht ...“ und singt eine Arie, die von Fesseln handelt, denn es geht um die gefesselte Kleopatra, eine Arie, die sie fürchtet.
Wie es ausgeht, ist eigentlich egal, denn es geht um das, was Rollenengagements bis heute vorausgeht. Allerdings legte ihr der Impresario einen schon von ihm unterschriebenen Vertrag vor, wo sie ihre Konditionen bestimmen kann. Doch, natürlich erwartet er Gegenleistungen amouröser Natur, weswegen die Verhandlungen scheitern...Keineswegs tröstlich, daß dies schon 1724 so deutlich ausgedrückt wurde, aber trostreich, daß dies von allen Seiten Thema wird, da kann Parodie und Witz nicht schaden, der allerdings nicht (mehr) plakativ ist, sondern geradezu subtil. Ein guter Auftakt für den musikalisch schwergewichtigeren Bajazzo nach der Pause.
Foto:
© Peter Rödler, Kammeroper Frankfurt
Info:
www.kammeroper-frankfurt.de