Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ruggero Leoncavallos I PAGLIACCI ist eine der Kurzopern (75 Minuten) des Verismus, die nun schon aus Gewohnheit meist mit Mascagnis CAVALLERIA RUSTICANA gekoppelt zum italienischen Opernabend wird. Was wir nicht wußten, verrät das Programmheft, nämlich, daß es Ende des 19. Jahrhundert deshalb so viele italienische Einakter gibt, weil der Verleger Sonzogno 1888/89 einen Wettbewerb für Kurzopern ausschrieb.
Aber nicht Leoncavallo gewann den Preis, der ging an Pietro Mascagni, aber nur deshalb weil DER BAJAZZO kein verkappter, sondern ein deutlicher Zweiakter mit Prolog ist, Ausschreibungsziel waren aber Einakter. Tatsächlich ergibt diese Kombination der Kammeroper mit dem IMPRESARIO von den Kanaren nicht nur zeitlich eine runde Sache, sondern bringt in zwei Punkten eine ausgesprochene Übereinstimmung: beide Sujets nehmen die Bühne, das Schaustellergenre zum Thema, sind also selbstreferentiell. Zusätzlich geht es inhaltlich ums gleiche Thema: Macht und Liebe und Liebemachen, darüberhinaus kommen nun aber die typischen Opernstoffe: Eifersucht und Tod hinzu. Die Männer sind die Macher, die Frauen die begehrten und getöteten Objekte.
Um das gleich vorneweg zu sagen: es handelt sich um eine richtig gute Aufführung, die man sich – unterstützt vom traumhaften, auch kühlen Ambiente im Palmengarten – auf jeden Fall gönnen sollte. Und die Kammeroper ist zuschauerfreundlich auch für die, die nicht mit der Oper aufgewachsen sind. Denn es wird deutsch gesungen – erstaunlich: wieder hat Alleskönner Thomas Peter für die deutsche Übersetzung gesorgt und das meiste kann man verstehen. Die Bühne bleibt wie zuvor, jetzt tritt Thomas Peter als Komödiant Tonio auf, der noch eine gefährliche Rolle spielen wird.
Erst einmal informiert er quasi als Prolog das potentielle Publikum in Kalabrien im Jahr 1865, es möge am Abend zur Vorstellung der Wandergruppe kommen, einer Gauklergruppe im Stil der Commedia dell‘arte, und das Besondere sei, daß ein Stück aufgeführt werde, das die Wirklichkeit nachahme. So war es tatsächlich, denn Autor und Komponist Leoncavallo hatte den Stoff von seinem Vater gehört, der ein Richter war. Und schon treffen im kleinen Ort die Komödianten ein, die von Canio (an diesem Abend souverän und gut verständlich: Emilio Ruggerio – schon wieder ein Impresario!) angeführt der bäuerischen Bevölkerung jetzt vom Stück erzählen, das am Abend aufgeführt wird: Komödie der Colombine.
Aber gruppenintern gibt‘s was ganz anderes, was sich mehr als andeutet. Da ist Nedda (Andrea Jörg), die feingliedrige Komödiantin und mit dem ältlichen Canio liiert, was sie aber nicht hindert, auf die Avancen attraktiver Männer einzugehen, nur die Anmache von Tonio ist ihr ärgerlich. Aber gerade diese hatten ja die Bauern mitbekommen und erzählen dies brühwarm dem eh schon deprimierten Canio, denn Menschen gegeneinander zu hetzen, sie eifersüchtig und rachsüchtig zu machen, ist nicht erst heute erfunden. Aber man muß Canio gar nicht anstacheln, er hatte Tonios Avancen seiner Nedda gegenüber mitbekommen, straft ihn mit Blicken und Worten und erwidert recht souverän und dennoch getroffen, seine Rolle als betrogener Mann spiele sich nur abends auf der Bühne ab.
Dann geht er nach Männerart einen trinken. Nedda singt nun in hohen Tönen von ihrem Dasein als Frau eines Alten, wo sie sich doch gerade in den jungen Bauern Silvio (Daniel Pohnert) verliebt hat, der sie auffordert, noch in der gleichen Nacht mit ihm zu fliehen. Und ausgerechnet Widerling Tonio kreuzte wieder ihren Weg und versucht sich ihrer zu bemächtigen, was sie abwehren kann, aber nicht mitbekommt, daß er sie und Silvio belauscht und alles dem eifersüchtigen Canio weitererzählt. Der eilt nach Hause, wo er nur seine Frau vorfindet und ihr erzählt, was er tun wird, wenn....
Der Abend ist gekommen und das intrigante Spiel beginnt. Colombine, die von Nedda verkörpert wird, hat vom Bajazzo, in den sich Canio nun verwandelt, genug, sie ist längst mit ihrem Verehrer, dem Harlekin, den der Komödiant Beppo (Giancarlo Paola, der Gitarrist vom ersten Teil) spielt, einig und weist die aufdringlichen Annäherungsversuche des Verehrers Tadeo zurück, was das Publikum mit Gelächter und Gejohle quittiert.
Doch nicht das interessiert den Canio, der hat den Worten der Colombine genau zugehört, die sie im Stück spricht. Es waren nämlich dieselben „Diese Nacht denn...und für ewig die Deine...“, die er am Tage belauschte, als die zu ihrem Liebhaber Silvio sprach. Stück und Wirklichkeit sind für Canio eins geworden und er versucht auf der Bühne, von Nedda den Namen ihres Liebhabers herauszubekommen, erst durch Fragen, dann durch Militanz und dann, als sie längst gemerkt hat, daß er nicht mehr seine Rolle spielt, den Bajazzo, sondern längst wieder zu Canio geworden ist und ihn zu beruhigen versucht, ersticht er sie, was wieder ihren Geliebten im Publikum, Silvio aufspringen läßt, um ihr zu Hilfe zu eilen, was er nicht kann, aber ins offene Messer des Canio läuft.
„Die Komödie ist zu Ende!“, das kann im nun auftretenden Chaos dieser Canio noch ausrufen, nachdem er sein Liebstes ermordet hat.
Eigentlich wollten wir die Geschichte nicht wiedergeben, die dramaturgisch zwingend ist, aber Details erfordert, denn Geschichten kann man nachlesen. Und deshalb kommt nun die Aufführung selber auch zu kurz. Aber das Beste, was man sagen kann, ist eben, daß sie überzeugend war, weil in der Aufführung eine Wahrhaftigkeit herrschte, die auf Bühnen nicht selbstverständlich ist. Da war ein Sog im Geschehen, eine Differenziertheit und Innigkeit und dennoch auch Komik und derbe Drastik. Die Hauptpersonen: Andrea Jörg sang schön und leidenschaftlich, Thomas Peter übernahm seinen widerlichen Part mit Verve und Emilio Ruggiero, der den Prinzipal gab, war rasend eifersüchtig und erstach lieber das Liebesobjekt, als es einem anderen zu gönnen. Wie im richtigen Leben dachte man und war froh, daß man nur eine Oper gesehen und gehört hatte. Aber was für eine und zudem in einer durchgängig einnehmenden Aufführung
Foto:
© Peter Rödel, Kammeroper Frankfurt
Info:
www.kammeroper-frankfurt.de
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