m eschenbachSCHLESWIG-HOLSTEIN-MUSIKFESTIVAL 2019, Teil 2/2

Wolfgang Mielke

Hamburg (Weltexpresso) - Das zweite Konzert, das wir hörten, fand knapp einen Monat später, am 10.8.2019 im Rahmen und in den Hallen der Nord Art in Rendsburg-Büdelsdorf statt. Die Nord Art Kunstausstellung feierte gleichzeitig ihr 20jähriges Bestehen. Auf einem Grundstück von 60.000 qm werden verschiedene moderne Plastiken ausgestellt. Dazu in der 22.000 qm großen Carlshütten-Halle der ehemaligen Eisengießerei auch Gemälde und andere Kunstwerke, die weniger wetterfest sind.

Diese Kunst-Ausstellung wird durch das Ehepaar Johanna und Hans-Julius Ahlmann finanziert, deren Urgroßeltern schon mit der 1827 gegründeten Carlshütte seit 1883 leitend verbunden waren. Berühmt wurde die Carlshütte durch ihre emaillierten Badewannen. Allerdings musste die Carlshütte 1974 Teilkonkurs und 1997 Totalkonkurs anmelden. Die metallenen Badewannen waren durch neue Kunststoffwannen verdrängt worden. Zwei Jahre danach aber wurde die Nord Art gegründet.

m klnagschaleDie Carlshütte bildete nun den Veranstaltungsraum für drei Konzerte um die Musik von Bach herum. Das erste, mit Saxophonen, ging unter in einem grandiosen Gewitter; der Klang der Saxophone wurde durch den auf das Hallendach prasselnden Regen sozusagen erschlagen. Der zweite Teil zeigte eine schwarzafrikanische Combo, geschickt und mit Witz und Humor von ihrem älteren Dirigenten geleitet, die mit metallenen Klangschalen berühmte Stücke Johann Sebastian Bachs (1685 – 1750) spielten. Eine Klangschale ist ein halbkugelartiges silberfarbenes Becken, das von außen zuerst an eine Trommel erinnert. Innen befindet sich eine Metallschicht, die, als ausgehöhlte Kugelform das ganze Innere ausfüllt. Man sieht die Musiker mit einem Klöppel (oder auch zweien) diese innere Kugelform an verschiedenen Stellen anschlagen, - und staunt darüber, dass dabei verschiedene Töne erzeugt werden können; und fragt sich natürlich, wie das möglich ist. Das Rätsel löst sich erst nach dem Konzert, wenn einem die Musiker in diese Klangschalen Einblick gestatten. Man sieht dann, das die auch innen silber-glänzende Oberfläche der inneren Halbkugel-Metallhaut nicht einfach glatt und ununterscheidbar ist, sondern etwa wie ein Leopard gefleckt. Die Flecken sind optisch voneinander abgesetzte Felder. Nun gilt es nur noch zu lernen, welches Feld welches Ton erzeugt. Nicht einfach, denke ich!

Es ist ganz reizvoll, die bekannten Bachstücke auf diese Weise zu hören. Das greift stauenenswert ineinander. Es sind ja ungefähr 15 Musiker beiden Geschlechts am Werke; und die Klangschalen haben verschiedene Tonumfänge, um ein wirkliches Orchester zu bilden.

Nach eine kurzen Pause kommen die Musiker wieder an ihre Plätze, und einer setzt sich nun auch an das bereits zuvor schon aufgebaut gewesene Schlagzeug. War der Bach sozusagen das SHMF-Pflichtprogramm, erklingen jetzt afrikanische, südamerikanische und karibische Rhythmen und Töne. Der Bann ist regelrecht gefallen, jetzt erst spielen die Musiker frei, gleichsam aufgehend in ihrem Element. So ist das ein neuartiges, unterhaltsames Konzert-Erlebnis. 

Den Abschluss bildet ein 'richtiges' klassisches Orchester, geleitet von Christoph Eschenbach. Gute Dirigenten sind heute so rar geworden wie gute Regisseure. Oft bekommt man nur noch schwaches Mittelmaß geboten. Für den, der große Dirigenten zu erleben das Glück hatte, ist das oft nicht nur traurig und vor allem bestürzend, sondern geradezu zum Auswachsen! 

Christoph Eschenbach aber ist ein guter, nein, mehr als das: ein beachtlicher Dirigent! Auch hier steht zunächst Johann Sebastian Bach auf dem Programm, das passend "Orchesterrausch mit Bach" heißt; aber ebenso Paul Hindemith (1895 – 1963).  Den Höhepunkt bildet aber Bernd Alois Zimmermanns (1918 – 1970) "Musique pour les soupers du Roi Ubu – Ballet noir en sept parties et une entrée" von 1966 – 1968, das sich auf das Theaterstück des französischen Schriftstellers Alfred Jarry (1873 – 1907) von 1896 bezieht. 

Das ist ein grandioses Musikstück, dissonant, aber auch wieder harmonisch, rhythmisch bewegt und auch wieder beruhigend. Der Musikwissenschaftler Jörn Pieter Hiekel (*1963) schreibt über diese Komposition: #"Und selbst in der einzigen nahezu reinen Zitatenkomposition Zimmermanns, der #'Musique pour les soupers du Roi Ubu' #(1962-1967), entpuppt sich das auf den ersten Blick harmlos-heitere Gefüge bei genauerer Wahrnehmung als bissige Satire. (...) Das Werk (...) spricht permanent gleichsam durch die Maske anderer – mit einer Verfahrensweise, die auch bei Jarry selbst wiederzufinden ist. Dabei gibt es sowohl plastisch hervortretende Sinn­mo­men­te als auch schwer en­trät­selbare An­spielungen. Durch eine mit bewussten Irrefüh­rungen arbeiten­de Tech­nik der 'Über­klebung' prallen musikali­sche Elemente unter­schiedlich­ster Her­kunft scharf aufein­ander. Manches wirkt bewusst penetrant und überzogen. Erkenn­bar wird eine beson­dere Vorliebe für banal-verfrem­dende und ironische Mo­men­te: etwa durch Karikatu­ren bestimmter Darstel­lungs­formen wie zum Beispiel Marsch- und Trauermusik. (...) Das bewusst Anachroni­stische, Verquere zielt auf erhel­lende oder verstörende – aber die Perspekti­ven mögli­cherweise auch weiten­de – Bezüge zu jenem Kontext, in den es jeweils einge­bun­den ist. So erst ist es zu verstehen, wenn Zimmermann mit Nachdruck darauf hinweist, die grotesk-heite­re Außenseite verberge ein 'war­nendes Sinngedicht, makaber und komisch zugleich'."#

Der Eindruck, dass Christoph Eschenbach hier eine ebenso durchdachte wie treffende Interpretation gelungen ist, macht sich, so scheint es,  zu recht allgemein im Publikum dankbar und von echter Begeisterung getragen sichbar.

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